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Bergsteigerdorf

Das Sellraintal: Seit 10.000 Jahren eine Reise wert

• 29. Mai 2020
5 Min. Lesezeit
von Werner Kräutler

Ein Sommerfrische-Ziel nahe Innsbruck, das schon von Menschen der Mittleren Steinzeit geschätzt wurde? Ja das gibt’s – wir lassen es aber meist „links liegen“. Werner Kräutler durchquert mit uns ein besonderes Tal in Tirol.

 

Sellraintal St. Quirin
Foto: Werner Kräutler
Sellraintal: Blick auf Oberperfuss
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Obwohl die Autofahrt von Innsbruck in „den Sellrain“, wie die Tiroler das Tal nennen, kaum 20 Minuten dauert, ist sie mehr als abwechslungsreich und führt in eine einzigartige Bergwelt.

Vor allem am Ortsausgang von Kematen präsentiert sich der Szenenwechsel spektakulär. Da ist Schluss mit lustig: Urplötzlich verkrallt sich die Straße in die Felsen der engen Mellach-Schlucht – überall sind Spuren der gigantischen Naturkräfte auszumachen. Nur zögernd öffnet sich das Tal dann bei Sellrain, bleibt aber immer noch ein riesiges V-Tal.

Die dramatische Einfahrt ins Sellraintal ist eines Bergsteigerdorfes durchaus würdig. Im Ort, der dem Tal seinen Namen gibt, übernimmt ein gewaltiger, steil aufragender grasbewachsener Südhang die Regie. Unschwer sind die Höfe im Steilhang zu erkennen. Sie scheinen wie Schwalbennester am Hang zu kleben. Und über den Häusern thront ein Kirchlein, das wie ein Bergkristall aus dem Steilhang wächst: die geheimnisvolle Höhenkirche von St. Quirin.

Bergsteigerdorf Sellraintal Fotschertal
Foto: Werner Kräutler
Das Fotschertal

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Sellrain: Ein Basislager für Bergliebhaber

In Sellrain geht das erste Seitental des Bergsteigerdorfes nach Süden ab: das Fotschertal. Es war vor etwas mehr als 15 Jahren Schauplatz einer Sensation: Archäologen der Uni Innsbruck unter der Leitung von Prof. Dieter Schäfer legten hier ein Jägerlager frei, das Menschen vor 10.000 Jahren errichtet hatten. Das eigentlich Erstaunliche dabei: die bei der Ausgrabung gefundenen mesolithischen Pfeilspitzen sind aus Silex gefertigt – ein Stein, der aus den Nördlichen Kalkalpen, dem Gebiet des Monte Baldo bei Verona und aus der Fränkischen Alb stammt. Also hunderte Kilometer entfernt vom Fundort. War das Sellrain schon vor 10.000 Jahren ein beliebter internationaler Treffpunkt? Man darf es durchaus annehmen.

See bei Praxmar im Sellrain
Foto: Tourismusverband Sellrain
See bei Praxmar

Millionen Alpenrosen verzaubern die Landschaft

Für mich gehört das Fotschertal aber auch noch aus anderen Gründen zu den interessantesten Tälern Tirols. Denn im Juni verwandelt es sich Jahr für Jahr in ein wundersames Blütenmeer. Millionen von Alpenrosenblüten tauchen die Landschaft in zarte Rosafarben mit einem Schuss ins Rostrote. Wer dieses Fest der Farben einmal gesehen hat, kommt jedes Jahr wieder. Es ist ein überwältigender Anblick, den sich wahre Naturfreunde nur ungern entgehen lassen. Auf der Wanderung von Sellrain zur Potsdamer Hütte wandelt man im Juni quasi auf der Farbpalette eines Landschaftsmalers.

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Almrosenblüte im Fotschertal Sellrain
Foto: Werner Kräutler
Almrosenblüte im Fotschertal

Melkalmen als Gourmet-Stationen für Genusswanderer

Das Fotschertal ist aber auch Ausgangspunkt für eine Gourmet-Tour zu sogenannten Melkalmen. Also Almen, auf denen Milch gemolken und zu goldgelber Almbutter und zu Käse verarbeitet wird. Der Aufstieg vom Bergheim zur Almindalm lohnt sich, denn dort kann man einen hausgemachten Graukäse verkosten – quasi als Vorspeise. Und kaum eine Gehstunde entfernt, auf der Seigisalm, erwarten den Berg-Gourmet hausgemachte Knödel als Hauptspeise. Die Leber-, Speck- und Kaasknödel auf dieser Alm gehören meines Erachtens zu den Besten ihrer Art. Zusätzlich gibt es von der Terrasse eine geniale Aussicht auf das Inntal. Das Karwendel-Gebirge und die Nordkette liegen dem Gourmet samt der Landeshauptstadt Innsbruck im wahrsten Sinne des Wortes zu Füßen. Essen und Staunen.

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Almen im Sellraintal

St. Quirin, das gotische Juwel

Was man auch nicht versäumen sollte: eine Wanderung zum Höhenkirchlein von St. Quirin. Von Sellrain aus ist es ein etwas steiler Aufstieg, mit dem Auto geht’s wesentlich einfacher. Die im spätgotischen Stil erbaute Kirche gilt als kulturelles Juwel und eröffnet von ihrem Standort aus einen aufregenden Blick ins Inntal und auf die Landeshauptstadt Innsbruck. Vn St. Quirin kann man auf einem wunderbaren Wanderweg, dem Besinnungsweg, nach Gries gelangen.

Sellraintal St. Quirin
Foto: Werner Kräutler
Steilhang bei St. Quirin mit Blick ins Inntal
Wallfahrtskirche St. Quirin im Sellraintal
Foto: Werner Kräutler
Die Wallfahrtskirche St. Quirin ist schon von weitem sichtbar

Gries im Sellrain: Wo die Hirsche röhren

Ab Sellrain weitet sich das gleichnamige Tal in Richtung Gries. Die Hänge präsentieren sich nicht mehr so steil, die alten Weiler und Bergbauernhöfe sind jetzt gut sichtbar und flankieren die Fahrt. Gries selbst liegt irgendwie verträumt in einem kleinen Becken, dessen Ausgänge einerseits nach Kühtai und andererseits ins Lüsental nach Praxmar führen. In diesem Teil des Tales geht’s vor allem im Herbst rund: Dann nämlich röhren die Hirsche. Und das in einer kaum für möglich gehaltenen Intensität. Die Hirschbrunft-Wochen samt Führungen mit der „Tal-Legende“ Luis Melmer, dem Grand-Seigneur der Sellrainer Jäger, sind meist schon lange im voraus ausgebucht.

Hirschbrunftwochen in Praxmar
Foto: Werner Kräutler
Hirschbrunftwochen in Praxmar

Praxmar: Wo ein Skilift abgebaut und nicht mehr ersetzt wurde

Das Lüsenertal ist rund 10 km lang und wird von einem monumentalen Talabschluss mit drei mächtigen Dreitausendern gekrönt: Dem Zischgeles (3.004 m), der Schöntalspitze (3.003 m) und dem Gleirscher Fernerkogel (3.189 m). Der Lüsener Ferner tut das Seinige, um dem Talabschluss eine dramatische Note zu verleihen. Das dem Stift Wilten gehörende Tal war einst ein Jagdgebiet von Kaiser Maximilian I.

Bekannteste Siedlung ist der Weiler Praxmar – sie ist auch in mehrfacher Hinsicht einzigartig: Einerseits weil hier ein bestehender Lift kurzerhand abgebaut und nicht mehr aufgebaut wurde. Auch im Winter wird nunmehr auf sanften Tourismus gesetzt – was dem Lüsenertal bereits den Ruf eines einmaligen Langlauftales eingebracht hat.  Und andererseits findet sich hier Österreichs erster Skitouren-Lehrpfad. Er führt auf die Lampsenspitze und besteht aus einem interaktiven Lern- und Planungsmodul im Internet sowie aus sechs informativen Schautafeln an bedeutsamen Punkten auf dem Aufstiegsweg.

St. Sigmund: Fischgenuss auf höchstem Niveau

Den westlichen Abschluss des Bergsteigerdorfes Sellrain bildet die Gemeinde St. Sigmund mit ihrer unverwechselbaren Kirche des Heiligen Sigmund. Mit 1.500 m Seehöhe ist sie nicht nur der höchste Ort des Bergsteigerdorfes sondern auch des Bezirks Innsbruck-Land.

St. Sigmund im Sellraintal
Foto: Tourismusverband Sellrain
St. Sigmund im Sellrain

Es kommt doch irgendwie überraschend, dass gerade St. Sigmund eines der feinsten Fischrestaurants Tirols beherbergt: die Bergoase Forellenhof. Aber historisch ist das absolut folgerichtig. Hat doch dereinst Kaiser Maximilian hier in luftiger Höhe nicht auf seine geliebten Fischmenüs verzichten wollen und im Gossenköllensee schon vor mehr als 500 Jahren Forellen einsetzen lassen. Damals firmierten sie noch unter Namen wie „Vorhen“ oder „Vörhen“. Vor einigen Jahren wurden die letzten Exemplare dieser Urforellen gefunden – seit 2010 züchtet man sie in Tirol unter dem Namen „Maximilian-Forelle“ nach.

Bauernhöfe im Sellraintal

Zwei kleine Seitentäler mit viel Charme

Von St. Sigmund aus geht es südlich ins Gleirschtal mit der gleichnamigen Alm. Die Gleirschalm ist ein beliebtes Ziel für Wanderungen mit der ganzen Familie. Ein weiteres – das vierte und letzte – südliche Seitental nennt sich Kraspestal, das vor allem Skitourengeher abseits der Massengeherei sehr schätzen.

Mein persönliches Resumée

Das Bergsteigerdorf Sellrain ist wie geschaffen für einen Familien-Urlaub mit Kindern. Natur pur, leichte und vor allem interessante Wanderungen sowie ausgezeichnete regionale Kost runden das Bild ab. Was will man mehr von einem Sommerfrische-Ziel?

Wanderungen

Bergtouren

Map Sellraintal
Map Sellraintal

Infos und Adressen

Allgemeines
Das Bergsteigerdorf Sellrain liegt rund 30 km westlich von Innsbruck und besteht aus einer Troika der Gemeinden Sellrain (908 m), Gries (1.187 m) und St. Sigmund (1.513 m). Hier leben rund 2.100 Menschen.

  • Die höchste Erhebung im Bergsteigerdorf ist der Lüsener Fernerkogel mit 3.298 m, das Kerbtal wird von der Melach entwässert.

Anfahrt mit Bus

Das Bergsteigerdorf Sellrain wird mit der Postbuslinie 4166 von Innsbruck über Völs nach St. Sigmund/Haggen sehr gut erschlossen.

Essen

Bergoase Forellenhof
Alpengasthof Praxmar

Almen

Ein Markenzeichen des Bergsteigerdorfes Sellrain sind die bewirtschafteten Almen, auf denen auch noch Käse produziert wird.

Jeden Sommer ziehen die Hirten und Käser Anfang Juni mit ihren Tieren auf die Alm und bleiben dort bis Anfang September. Die urigen Almhütten sind für viele Wanderer ein beliebtes Ziel, dort können sie gleich die lokalen Spezialitäten verkosten. Die bekannteste ist der original Tiroler Graukäse.

  • Almindalm (Fotschertal, 6181 Sellrain; +43 664 27 188 44)
  • Seigesalm (Fotschertal, 6181 Sellrain; +43 664 79 156 38)
  • Furggesalm (Fotschertal, Sellrain 6181 Sellrain; +43 676 73 65 460)
  • Gleirschalm (St. Sigmund 17, 6184  St. Sigmund im Sellrain; +43 664 32 54 697)
  • Juifen-Alm (Juifen 1 , 6182 Gries im Sellrain; +43 664 54 220 90)
  • Lüsens-Alm (6184 St. Sigmund im Sellrain; +43 523 660 010)
  • Sonnbergalm (St. Sigmund 46, 6184  St. Sigmund im Sellrain; +43 664 93 47 501)

Offizielle Website Bergsteigerdörfer

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