Der Überschreiter: Das Leben des Norman Dyhrenfurth
Foto: Norman Dyhrenfurth
Von der ersten Überschreitung des Everest bis zum Thriller mit Clint Eastwood: Der legendäre Filmemacher und Bergsteiger Norman Dyhrenfurth ist im Alter von 99 Jahren in Salzburg gestorben. Wir blicken zurück auf ein Jahrhundert-Leben und zeigen historische Aufnahmen. Am 29.9. bringt ServusTV zu seinen Ehren um 22:15 die Dokumentation „Norman Dyhrenfurth - Ein Leben wie im Film“.
Text: Andreas Lesti
ZINNEMANN, HITCHCOCK, MARILYN
Norman Dyhrenfurth wurde 1918, noch während des Ersten Weltkriegs, in Breslau geboren. 1936 wanderte seine Mutter, die jüdische Vorfahren hatte, in die USA aus, der 19-jährige Norman ging mit. In New Hampshire arbeitete er erst als Skilehrer und Bergführer, dann als Kameramann. „Als ich zum ersten Mal den Arnold-Fanck-Film Die weiße Hölle vom Piz Palü gesehen habe, wusste ich: Das ist der Beruf, den ich haben will.“ Der Film ist aus dem Jahre 1929, Fanck gilt mit seiner „entfesselten Kamera“ bis heute als Pionier des Bergfilms.
Nach dem Zweiten Weltkrieg, in dem er als US-Soldat auf den Aleuten war, kam er diesem Ziel rasch näher. Zunächst leitete er eine Filmproduktionsgesellschaft, bald darauf wurde er als Professor für Kinematografie an die University of California berufen. Wenn Dyhrenfurth aus dieser Zeit erzählt, verfällt er in den sympathischen deutsch-amerikanischen Sprach-Mix: Er lernte den austro-amerikanischen Regisseur Fred Zinnemann kennen und aus „wir“ wird „uia“, Alfred Hitchcock habe „kongratuliert“, Marilyn Monroe war „sloppy“ als „auditor“ in seiner Vorlesung.
AM LAUTESTEN RUFT DER EVEREST
Er war Anfang dreißig, Professor, hatte eine sehr angesehene Stellung, und doch war ihm das alles zu theoretisch. Die Berge riefen, und am lautesten rief der Höchste: der Mount Everest, der „dritte Pol“, der schon seinen Vater, den Geologen Günter Oskar Dyhrenfurth, in seinen Bann gezogen hatte.
Man darf nicht vergessen: Als Norman Dyhrenfurth sich für den Everest zu interessieren begann, war er noch nicht bestiegen und übte eine ungleich größere Faszination aus als heute. Norman Dyhrenfurth folgte dem Ruf des Berges zum ersten Mal 1952: Ein Jahr vor der Erstbesteigung durch Edmund Hillary war er bei einer Schweizer Expedition als Kameramann dabei.
Das änderte sein Leben. Nur drei Tage nach seiner Rückkehr aus Nepal hing er die Professur an den Nagel. „Ja“, sagt er nun, „man kann schon sagen, dass der Everest mich aus meiner akademischen Welt gerissen hat.“
Seinen intellektuellen Hintergrund merkt man ihm auch 63 Jahre später an, wenn er mitten in der Erzählung aufsteht, ein Buch oder einen Ordner aus dem Regal zieht und lächelnd sagt: „Alles merken kann ich mir nicht, aber ich weiß, wo es steht.“ Meistens fallen ihm die Bergnamen, Alpinisten oder Daten aber auch so ein. Dann legt Dyhrenfurth den Zeigefinger auf die Stirn, sagt, „Jetzt muss ich nachdenken“, und blickt drei Sekunden lang mit zusammengekniffenen Augen in sein Büro, als würde er von einem Berggipfel in die Ebene schauen. Und dann fliegt ihm die fehlende Information von irgendwoher zu: „Nanda Devi“, „Walter Bonatti“ oder „1. Mai 1963“.
An diesem Tag war er als Expeditionsleiter der ersten „American Mount Everest Expedition“ gemeinsam mit Sherpa Ang Dawa bis auf 8.700 Meter gestiegen. Dyhrenfurth gelangen dort oben spektakuläre Aufnahmen für den „National Geographic“-Film „Americans on Everest“. Nie zuvor wurde auf dieser Höhe gefilmt. „Das war der Höhepunkt in meinem Bergsteigerleben“, sagt er. Für den Gipfelsieg sorgte am gleichen Tag Jim Whittaker, der als erster US-Amerikaner auf dem Gipfel die Flagge seines Landes hisste.
27 TONNEN MATERIAL, 909 TRÄGER
Diese Expedition hatte Dimensionen, wie man sie heute nicht mehr kennt: Dyhrenfurth sammelte drei Jahre lang einehalbe Million Dollar, um alles zu finanzieren. Die 20 Bergsteiger und Forscher benötigten 27 Tonnen Material und Ausrüstung, die 909 Träger ins Basislager schleppten. Auch bergsteigerisch stießen sie in eine neue Dimension vor. Denn am 22. Mai gelang Tom Hornbein und Willi Unsoeld die Überschreitung des Mount Everest und damit die erste Überschreitung eines Achttausenders – über den Westgrat hinauf, über den Südostgrat hinunter.
Nachdem er auf 8.700 Metern gestanden war, die Alpinismus-Sensation verantwortet und Präsident Kennedy ihn persönlich geehrt hatte, ging es erstaunlicherweise bergab. Es wirkt fast so, als hätte Dyhrenfurth 1963 mit dem Everest auch seinen eigenen Zenit überschritten. „Ich war schon enttäuscht. Ich wollte kein Held sein, aber wenigstens eine anständige Arbeit“, sagt er und scheint sich noch heute darüber zu wundern, dass das nicht so war. Außer einen Job als „Fundraiser“ (Spendeneintreiber) hat man ihm nichts angeboten. Weder an der Universität noch im TV, wo er zuvor noch die Sendung „Expedition“ moderiert hatte. Im November wurde auch noch Kennedy ermordet.
1970 ging er zurück nach Europa – nach Salzburg, wo seine Freundin Maria Sernetz lebte. 1971, er war nun 53 Jahre alt, kehrte Norman Dyhrenfurth zum Everest zurück. Er leitete eine Expedition mit Bergsteigern aus zwölf Nationen, ähnlich wie es sein Vater in den 1930er-Jahren gemacht hatte. Doch bei der Expedition ging alles schief: Ein Inder erfror im Schneesturm, das Wetter war schlecht, das Essen auch, der Gipfelerfolg blieb aus, die Stimmung unter den „Primadonnen“ – wie die britische Bergsteiger-Legende Chris Bonington später sagte – kippte.
Am Ende wurde Dyhrenfurth im Basislager beschimpft und sogar mit Steinen beworfen. Er brach die Sache vorzeitig ab. Es war seine letzte Expedition. Ginge es hier um ein ganz normales Leben, dann könnte man diese Geschichte nun als „ereignisreich“ beenden. Aber hier geht es um Norman Dyhrenfurth.
EASTWOOD, CONNERY
Die Talfahrt war nach 1971 zu Ende, vielleicht, weil er mit dem Everest abgeschlossen hatte. Er drehte mit Clint Eastwood und Sean Connery Spielfilme (Im Auftrag des Drachen und Am Rande des Abgrunds) und produzierte zwei preisgekrönte Dokumentarfilme über Tibet. „Ach ja“, sagt er am Ende des Gesprächs in der Salzburger Altstadtwohnung, „ein Buch habe ich auch noch geschrieben. Aber das konnte ich noch nicht verkaufen.“
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