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Liebe auf den ersten Griff

Aktuelles

5 Min.

26.02.2016

Foto: Dan Cermak

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Kurz nach der Hochzeit standen sie kurz vor der Scheidung. 18 Jahre später haben Daniela und Robert Jasper die schwierigste Route auf den Eiger eröffnet und genießen das Familienglück im Schwarzwald.

Text: Michael Hufnagel

Nix da. Da gab es keine Verabredung beim romantischen Italiener ums Eck. „Wir sind Kletterer“, sagt Daniela Jasper und lacht laut. Soll heißen: Kletterer sitzen in der frühesten Phase des Kennenlernens nicht in der letzten Kino-Reihe. Oder auf einem Parkbankerl, um einander stundenlang das Herz auszuschütten. Kletterer treffen einander zum ersten Rendezvous in den Bergen.

22 Jahre alt war Daniela, als sie sich 1993 gemeinsam mit einem Freund auch von strömendem Regen nicht davon abhalten ließ, im Basler Jura ihre Herausforderung zu suchen. „Da war sonst weit und breit niemand. Außer ihm.“ Robert Jasper, damals 25, fühlte sich an diesem Tag ebenfalls an der Seite eines Freundes vom Sauwetter angezogen.

Das Schicksal hatte einen Plan. Erstkontakt. Knistern am Felsen. Es schüttete. Extrem sollte es also beginnen. Und bleiben. Daniela und Robert verabredeten sich zum Klettern im Berner Oberland, zu einer Art extremem Wändchenhalten. Liebe auf den ersten Griff quasi. „Wir sind gleich am Anfang am selben Seil gehangen, was willst du mehr?“, sagt er. Die Übung gelang, es sollte der Beginn einer großen Abenteuerreise werden.


Zwei Kinder und ein Tibet-Terrier

Vier Jahre später heirateten sie. Und wo verbringen Kletterer ihre Hochzeitsreise? Zum Beispiel in Norwegen, um eine eheliche Erstbegehung einer 900 Meter hohen Steilwand zu wagen.

Es wäre beinahe ihre letzte geworden. „Das war ja völlig idiotisch“, sagt sie. „Stimmt, echt idiotisch“, sagt er. So gefährlich? „Nein, wir hatten die Idee, einen Film von unserem Aufstieg machen zu lassen, aber das ist immer mehr zur Arbeit geworden, der Aufwand immer spezieller, das Drehbuch immer länger. Am Ende haben wir vier Wochen lang nur mehr aufgeregt herumgewurstelt“, erzählt er, ehe Daniela Klartext redet: „Und dann standen wir kurz vor der Scheidung.“

18 Jahre später sitzen sie immer noch fröhlich vereint in der Stille ihres Schwarzwälder Einfamilienhaus-Gartens im deutschen Schopfheim (nahe Basel) und sind bereit, mit den Kindern Stephan (12) und Amelie (10) Klimmzüge für das familiäre Fotoshooting zu absolvieren.

Die Jungkletterer essen Erdbeertorte und verabschieden sich Richtung Freibad. Im Biotop schwimmen die Karpfen, der Tibet-Terrier Denga wälzt sich in der Wiese, und nichts an dieser Idylle lässt ein Leben im Grenzbereich erahnen.
 


Das Leben ist ein Rauf und Runter

Robert Jasper war schon als Kind von den Bergen fasziniert, der Leistungsgedanke erwachte früh, den Skisport ließ er trotz einiger Erfolge bald sein, weil: zu wenig Herausforderung.

„Du trainierst ewig, fährst dann zweimal runter, fertig. Ich habe mehr das große- Ganze, den Weg als Ziel gesucht. Einen Gipfel zu erreichen ist für mich nicht die Vision, sondern nur das i-Tüpfelchen. Das Rauf und Runter als Kreislauf ist für mich Lebensphilosophie.“

Als 17-Jähriger war er erstmals mit dem Eiger konfrontiert, der zum Berg seines Lebens werden sollte. Ab dann hieß es nur noch: „Wände, Wände, Wände!“ Immer mehr, immer steiler, immer schneller.

Der Extremgeist hatte Konsequenzen: „Mir gingen die Partner aus, ich wurde zum Einzelkämpfer.“ Spannend für Ausrüster und Sponsoren, das Profileben – inklusive Filmrollen und Vortragskarriere – hatte längst begonnen. Weltweit. In allen erdenklichen Disziplinen – vom alpinen Bergsteigen über Freeclimbing bis zum Eisklettern, ob in den USA, Kanada oder Chile, in Europa oder im Himalaya.

Wer Robert Jasper zuhört, der denkt: Na bumm! Oder: Der Zehnkämpfer der Berge.

Daniela begann als 16-Jährige. Sie suchte von Anfang an nur das Duell mit sich selbst. Sie war klein (1,53 Meter), flink, ehrgeizig. „Und ich war immer mit guten Leuten unterwegs. Ich wollte mich bei den Schwierigkeitsgraden schnell weiterentwickeln und hab die Normalos bald überholt.“

Lust auf Wettkämpfe entstand nie – außer beim Westernreiten. So entwickelte sie sich als ausgebildete Volksschullehrerin am Felsen zur Weltklasseathletin, ohne es zu merken.

Was Daniela und Robert einte: die Lust, abseits der extremen Trampelpfade neue Routen und Linien zu definieren und zu bewältigen. „Wer Achttausender sammelt, ist schnell fertig“, sagt er. Solche Expeditionen entsprachen nie ihrer Vorstellung.
Unbekannte Dimensionen waren der Reiz, die Wagnisse von Erstbegehungen. Um die hundert, das wissen sie nicht mehr genau, werden es wohl gewesen sein.

Die wichtigste war, eh klar, am Eiger. Wo sie gemeinsam die „Symphonie de Liberté“, eine Route im zehnten Schwierigkeitsgrad, eröffneten. Eintausend Meter Nordwand, brüchiger, gefrorener Fels, 27 Seillängen, null Grad im Hochsommer, Eiswasser, das über die Finger rinnt.

„Das ist schon sehr nahe am absoluten Limit“, erzählt Daniela. „Wir wollten die Verbindung schaffen zwischen diesem modernen Kletterstil und dem alten Bergsteigen in dieser mythischen Wand“, sagt Robert. Inklusive Nächtigung im Zelt am Felsen. Ist da überhaupt Schlaf möglich? „Natürlich“, lacht Daniela. „Ich sage immer: Das ist unser Tausend-Sterne-Hotel.“

Vertrauen ist auf dem Weg nach oben alles. Aber nach so vielen gemeinsamen Jahren ist die Sensibilität in der Partnerschaft, das Gespür, das Bauchgefühl zum Selbstverständnis geworden. Beide wissen: Das Handwerk muss man beherrschen. Den Rest diktiert die Natur. Und kein Gipfel ist so viel wert wie das eigene Leben.
 


Friede, Glück – und Gipfelküsse

Angst? „Wer behauptet, dass er die nicht hat, gehört zum Doktor“, sagt sie. „Wenn du die nicht hast, überlebst du nicht lange“, sagt er.

Und die Angst um den anderen? „Wir müssen uns im Grenzfall auch Schwächen eingestehen. Ich verlasse mich darauf, dass sie ihr Risiko kalkulieren kann“, sagt er. „Du musst Seil geben und ihn gehen lassen. Auch wenn es am Berg seltsam klingt: Man muss loslassen können“, sagt sie.

Und trotzdem kann es auch in luftigen Höhen zu emotionalen Auseinandersetzungen kommen. Etwa, wenn Robert im Eisfall in Kandersteg durch ein Schmelzloch kriecht, was Daniela hasst. Damals folgte sie ihm zwangsläufig durch das brüchige Eis, fluchend, und wieder vereint „hat’s dann ordentlich Gezeter gegeben“.

Auf dem Gipfel ist dann aber Ruhe. Dort gibt es Friede, Glück und – Küsse. Und kaum Adrenalin.

„Es ist mehr Erleichterung als Euphorie. Denn du weißt ja, dass du auch wieder runter musst“, sagt er. „Man ist so fokussiert, das Glücksgefühl kommt oft erst Tage später“, sagt sie.

Bleiben noch die Gedanken zur eigenen Verantwortung. Immerhin sind die Jaspers seit Dezember 2002 auch Eltern. Und natürlich haben die Geburten von Stephan und Amelie etwas verändert.

Robert: „Klar, die emotionale Last in meinem Beruf wird größer.“ Obwohl sich vor allem Danielas Waghalsigkeiten massiv reduziert haben. Aber, und dieses Aber ist wichtig: „Es ist unser Job, und wir wägen mit all unserer Erfahrung schon sehr genau ab, was wir wann tun. Ein kleines Restrisiko bleibt natürlich immer. Aber das haben Busfahrer und Dachdecker genauso. Nur klingt es bei denen nicht so spektakulär.“

Und Daniela ergänzt noch: „Wenn du immer an die tödliche Gefahr denkst, dürftest du in kein Auto mehr steigen. Wir gehen ja gerade, weil wir die Gefahren kennen, besonders bewusst damit um.“
 
Dieser Text stammt aus dem Bergwelten Magazin (02/2015).

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