Eigentlich ist Christof Wastl, 38, ein Mensch, dem am Berg alle vertrauen. Das liegt an seinem Beruf: Er ist Ausbilder bei der Heeresbergführerausbildung und Zivilbergführer. In einer Notsituation diesen Sommer ist plötzlich er auf andere angewiesen – und verdankt ihnen sein Überleben.
Interview
„Ich wollte schnell wieder sehen, dass der Berg nicht ,böse‘ zu mir ist“
Interview: Johanna Schwarz | Illustration: Jochen Schievink
Bergwelten: Was ist am 16. August passiert?
Christof Wastl: Infolge der massiven Klimaerwärmung und speziell des schneearmen Winters letztes Jahr sind die Verhältnisse am Berg schlechter geworden, das Gestein kann leicht lose werden. In den Sommermonaten Juli und August muss man besonders aufpassen. Ich bereite mich immer penibel vor und schaue mir die Gegebenheiten genau an. Am 16. August bin ich mit zwei Personen auf dem Normalweg auf den Glockner gegangen, extra am Nachmittag, damit nicht so viel los ist. Wir sind ins „Leitl“ eingestiegen (ab hier ist leichtes Klettern angesagt; Anm.), und es war eigentlich alles in Ordnung, bis sich ein Stein gelöst und mich im Gesicht getroffen hat. Er war von der Seilschaft über uns abgetreten worden und hat mich erwischt, gerade als ich meine Gäste nachsichern wollte. Ich wurde bewusstlos und bin 15 Meter tief gefallen und im schroffen Gelände liegen geblieben. Ich war dann aber durch das Seil, mit dem auch meine Begleiter gesichert waren, vor einem weiteren Absturz gesichert. Zu diesem Zeitpunkt ist auf dieser Strecke an drei aufeinanderfolgenden Tagen etwas passiert, die Verhältnisse waren einfach wirklich schlecht.
Eine schwierige Stelle, der Bergführer außer Gefecht, die Gäste auf sich gestellt: Wie ist es nach dem Unfall weitergegangen?
Ein Arzt und zwei Bergretter, die zufällig in der Nähe waren, haben Erste Hilfe geleistet, mehrere Bergführer konnten gemeinsam die Leute unter mir sichern und sich dann auch um mich kümmern. Weil weiterhin Steine fielen und der Downwash vom Hubschrauber (der starke Abwärtswind, der vom Hubschrauber ausgeht; Anm.) zum Problem hätte werden können, wurde ich sicherheitshalber mit einer Trage geborgen. Bis ich im Krankenhaus war, sind insgesamt dreieinhalb Stunden vergangen – also relativ viel Zeit. Aber am Ende ist alles gut gegangen, und ich hatte Glück, dass so viele Bergführer und Menschen, die sich auskennen, unterwegs waren.
Wie hat sich das Ganze für deine Gäste entwickelt?
Ich kann das leider nicht so genau sagen, weil ich nicht mehr so viel mitbekommen habe, aber sie waren gesichert und haben gesehen, wie ich gefallen bin. Dann wurden sie von anderen Bergführern sicher zur Hütte gebracht.
Du als Bergführer, der unter normalen Umständen die Kontrolle hat, musstest in dem Moment darauf vertrauen, dass alles so funktioniert, dass du am Leben bleibst …
Ja, je anspruchsvoller und technisch schwieriger die Touren sind, desto mehr muss man sich auf die Menschen verlassen, die einen begleiten, da bei diesen Touren nicht so viele Leute am Berg sind. Die Leute, die am Großvenediger oder Großglockner unterwegs sind, nehmen sich einen Bergführer, haben aber selbst selten eine entsprechende Ausbildung oder überschätzen sich mitunter auch. Ich hatte Glück, dass bei meinem Unfall gerade sehr viele Bergführer in der Nähe waren – innerhalb einer halben Stunde waren 15 bei mir.
Wie war das für dich, als du aufgewacht bist?
Ich habe natürlich zuerst an meine Familie gedacht. Meine größte Angst war, dass ich eine Verletzung habe, die mich so einschränken würde, dass ich nichts mehr mit ihnen unternehmen kann. Ich verbringe sehr viel Zeit mit meiner Familie in den Bergen, das ist die schönste Zeit für uns. Ich war dann eine Woche im Krankenhaus und drei Wochen zu Hause im Krankenstand. Dann ist es wieder halbwegs gegangen. Während der Erstversorgung bin ich zum ersten Mal aufgewacht und bin ehrlich gesagt erschrocken, weil ich wirklich gar nichts mitbekommen hatte. Meine letzte Erinnerung ist der Stein und dann das Aufwachen. In meiner Schocksituation wollte ich gleich aufstehen, das hat man mich aber natürlich nicht gelassen. Dabei habe ich gemerkt, dass ich alles bewegen kann. Ich hatte zwar überall Schmerzen, einen offenen Nasenbruch und einen Schädelbruch, aber keine inneren Verletzungen.
Bergwelten: Wie verarbeitet man so ein Erlebnis?
Christof Wastl: Ich habe viel mit Kollegen gesprochen und mir Gedanken gemacht, ob ich etwas falsch gemacht habe. Ich bin als Bergführer ja verantwortlich. Aber egal wie gut ich plane, ein unvorhersehbares Restrisiko wird immer vorhanden sein. Ich war einfach zur falschen Zeit am falschen Ort. Die beste Verarbeitung für mich war, so schnell wie möglich wieder in die Natur und auf den Berg zu gehen, damit ich sehe, dass der Berg nicht „böse“ zu mir ist, dass Bergsteigen weiterhin etwas Schönes sein kann, meine Leidenschaft weiter besteht und mir viel Spaß macht. Ich habe danach auch einen Paraglidekurs gemacht.
Wie war das erste Mal zurück am Berg?
Das erste Mal Klettern war komisch, ich würde nicht sagen, dass ich ängstlich war, aber ich war etwas verkopft und verkrampft. Die Bewegungen haben sich anders angefühlt als in den Jahren zuvor, als nie etwas passiert ist. Aber nach ein, zwei Tagen kam alles wieder. Ich denke, man sollte so schnell wie möglich wieder einsteigen.
Als Bergführer lernt man in der Ausbildung gegenseitiges Vertrauen am Berg – wie wird das erreicht?
Durch ständiges Üben. Wir überlegen während einer Klettertour zum Beispiel, wie wir im Eis, im Schnee oder am Felsen vorgehen würden, wenn es zu einer Notsituation käme. Würden wir nach oben oder nach unten bergen? Was müssten wir genau machen?
Wie sieht deiner Meinung nach die Zukunft in den Bergen aus?
Mir ist aufgefallen, dass wir heuer besonders oft Touren umplanen mussten oder abgesagt haben, weil wir zu dem Schluss gekommen sind, dass es zu gefährlich ist, die Verhältnisse zu schlecht, der Sommer zu warm oder auch zu wenig Schnee vorhanden war. Ich glaube, dass man dieses Risiko weiter minimieren muss. 2022 war wirklich ein extremes Jahr, in Frankreich wurden ganze Berge und Zustiege oder auch Normalwege gesperrt, das macht man nicht umsonst. Ich gehe wirklich sehr gerne bergsteigen, aber am Ende des Tages möchte ich glücklich und gesund wieder zu meiner Familie heimkommen. Wenn etwas objektiv zu gefährlich ist, muss man sich eben eingestehen, dass es jetzt nicht passt, und eine Alternative suchen.
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