(4) Gesäuse: Konkurrenzlos und widerspenstig
Über eine in sich abgeschlossene Welt, die ähnlich widerspenstig ist wie das gallische Dorf aus Asterix und Obelix, ihre Bewohner und die maßlose Schönheit der Gesäuse-Berge. Redakteurin Ina berichtet im vierten Tagebuch-Eintrag von ihrem Lieblingsort.
Sobald es über die schmalen Kehren der Hochebene Kaiserau zunächst hinauf und dann – am kleinen Skigebiet angekommen – bergab nach Admont geht, hüpft mein Herz ein wenig. Endlich wieder in der Wahlheimat! Endlich wieder im Gesäuse, im „Xeis“.
Und flups: Man ist drin in dieser kleinen Welt, die mich doch immer wieder an die Heimat von Axterix und Obelix denken lässt. Denn: Das Gesäuse ist ein bisschen wie jenes widerspenstige gallische Dorf aus der französischen Comicserie. Sein Klebstoff sind seine Bewohner. Die „Xeisler“ sind bärenstark wie Obelix und clever wie Asterik. Ganz ohne Zaubertrank.
Halb Mensch, halb Viech
Hans-Peter „Shippy“ Scheb zum Beispiel ist so ein Xeisler. Ein gelungenes Hybrid aus Asterix und Obelix. Einer, der seine 6.000 Höhenmeter macht – wohlgemerkt: die Woche. Einer, der sich als Bergretter um das Grüne Kreuz verdient gemacht hat, der flink wie eine Gams klettert und den Spirit einer weiteren Asterix und Obelix-Figur auf sich vereint. Er ist nämlich auch ein wenig wie Miraculix – vom schusseligen Halbwahnsinn einmal abgesehen.
Aber er hat etwas von der Weisheit eines Dorfältesten. Wenn Shippy einmal auf den Tisch haut, dann sind wirklich alle still. Ausnahmslos. Und hören zu. Am Berg verwandelt er sich in ein mystisches Mischwesen: „Halb Mensch, halb Viech“, sagt David Osebik, ein weiteres besonderes Gesäuse-Exemplar. Da hirscht er im Steirerschritt in direkter Linie dem Gipfel zu. Ich mein: Wer braucht schon Spitzkehren?
Beliebt auf Bergwelten
Jedenfalls: Wer es auch hat, dieses eine besondere Platzerl irgendwo auf der Welt, wo man sich unabhängig von seiner eigentlichen Heimat seltsam heimisch fühlt, der mag verstehen, wie es mir mit dem Gesäuse geht. Ich habe aufgehört zu zählen, wie oft ich bereits dort war. Oft jedenfalls. Und wie das so ist mit Lieblingsorten: Man entwickelt doch recht schnell einen gewissen Hang zu pedantischen Gewohnheiten.
Gewaltige Ketten und kolossale Wände
Bei mir umfassen diese nebst eines Mittagessens beim Kölblwirt und dem geradezu panischen Hamsterkauf möglichst vieler Xeiskipferl und Marzizoni bei der Konditorei Stockhammer natürlich auch einen ausgiebigen Streifzug durch die Gesäuse-Berge. Es kommt beinahe schon einer dekadenten Verschwendung gleich, in welcher Dichte sich die felsigen Schönheiten hier auf kleinstem Raume drängen. Gewaltige Gebirgsketten, spiegelglatte Wände von kolossalem Ausmaß, dann wieder zackige Spitzen, die sich derart präsentieren als wären sie auf einem Feld für ein Spiel arrangiert worden.
Auch beliebt
Und dann – ist man erst einmal mittendrin – wird einem fast schwindelig, so überfordernd ist das dichte Nebeneinander der herrlichsten, wildesten Gipfel. Darunter: einige Charakterberge, an denen der Blick immer wieder hängen bleibt. Der Große Pyhrgas zum Beispiel, die Hochtor-Nordwand, der Bosruck, der Lugauer – oder der Scheiblingstein, jener Berg, auf den mich Shippy und David diesmal mitgenommen haben. Nach den ersten paar hundert Höhenmetern regt sich so auch das Gefühl: Ja, hier hat man es mit einem wirklichen Skitourenklassiker zu tun.
Hat man erst einmal die Baumgrenze hinter sich gelassen weiß man auch warum. Die Dimensionen sind gewaltig und erinnern eher an eine spektakuläre Kulisse in den Westalpen als an die Steiermark, nur zwei Stunden von Wien entfernt. Aber das ist eben das Gesäuse: Ein Implantat an Perfektion, das man hätte überall hinsetzen können. Es wäre überall gleich schön und – als Adoptivling des Xeis’ muss ich einfach sagen: konkurrenzlos.
Und dann wird Shippy vom „Halb-Viech“ wieder zu Miraculix und prophezeit bei Sturmböen um die 80 km/h: „Oben am Gipfel wird es windstill sein“. Natürlich behält er Recht. Und als wäre der Gipfelblick nicht kitschige Krönung genug, vollführen auch noch zwei Alpendohlen einen verliebten Flug ums Gipfelkreuz auf 2.197 Metern.
Wie besoffen
Und einmal mehr fahre ich wie besoffen ab: Trunken von der Tour und der maßlosen Schönheit der Ennstaler Bergwelt. Nur gut dass man sich um das Gesäuse ähnlich wenig Sorgen machen muss wie um das widerspenstige gallische Dorf. Es wird beim nächsten Mal auch noch da sein.