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Wenn das Feuer brennt: Mit Gerlinde Kaltenbrunner auf den Ortler

Aktuelles

4 Min.

03.09.2021

Foto: Simon Schöpf

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von Simon Schöpf

Auf den höchsten Berg Südtirols: 17 Bergwelten-Leserinnen und -Leser bestiegen gemeinsam mit der Top-Alpinistin Gerlinde Kaltenbrunner den König Ortler. Eine spannende Hochtour auf einen charakterreichen Eisriesen, die niemanden kalt lässt.

Ganz einfach hatte es der Pseirer Josele im Jahre 1804 wahrlich nicht. Stieg der mutige Gamsjäger aus dem Passeiertal doch auf Kaiserlichen Befehl als erster Mensch auf den Ortler, den höchsten Berg der damaligen K. & K.-Monarchie. Ein alpinistischer Meilenstein, nur geglaubt hat es ihm dann blöderweise keiner – weshalb er kurzerhand nochmal emporstieg und oben ein Feuer entfachte, sodass es nun für jeden sichtbar war. Das Ortlerfeuer brannte.

Mehr als 200 Jahre später haben wir es da bereits deutlich leichter. Müssen kein Brennholz mitschleppen, lediglich den Fotoapparat. Selbst den Kaiser mitsamt der Monarchie gibt es mittlerweile nicht mehr, befohlen hat uns die Besteigung gar niemand. Wir gehen aus reinem Selbstzweck, denn: Am Ortler, da sollte man gewesen sein!

Und wenn bei diesem Bergwelten-Event auf den höchsten Berg Südtirols auch noch eine Alpinistinnen mitkommt, die derart erfahren und so sympathisch ist, dann umso besser: Gerlinde Kaltenbrunner hat alle 14 Achttausender dieser Erde ohne künstlichen Sauerstoff bestiegen, heute begleitet sie uns auf den Ortler. Mit dabei sind 17 Bergwelten-Leserinnen und -Leser, frisch ausgestattet mit hochfunktionalen Jacken von Schöffel und Carbonstöcken von Komperdell. Treffpunkt ist das Bergsteigerdorf Sulden, 1.900 Meter: Der Ortler ist hier omnipräsent.

Einerseits ganz praktisch, weil seine mächtige Erscheinung das Ortsbild dominiert. Andererseits auch theoretisch, wie wir bei einem Besuch im Messner Mountain Museum „Ortles“ feststellen: Der „Im End der Welt“-Gletscher ging 1774 bis fast ins Dorf herunter. Relikte von Messners Südpolexpedition gibt es hier, den klumpigen Eispickel von Pseirer Joseles Erstbesteigung, einen ausgestopften Yeti. Und einen ganzen Raum voller Gemälde über den Ortler, unser großes Ziel. Nicht nur für Alpinisten, auch Künstler und Schriftsteller ganzer Generationen erliegen seiner Anziehungskraft. Das Trio Königspitze – Zebrù – Ortler ist das Pendant der Südalpen zum berühmten Dreigestirn Eiger – Mönch – Jungfrau. Neben dem nur 62 Meter höheren Eiger ist der Ortler der zweithöchste Gipfel der Alpen, der aus Sedimentgestein aufgebaut ist. Und das sieht man ihm auch deutlich an: Zerklüftete Wände, von tiefen Rinnen durchzogen, darauf eine dicke Eiskappe mit kalbenden Sérac-Brücken. Der Ortler hat einen wilden, unnahbaren Charakter.


Über den Hintergrat auf König Ortler

Für eine Besteigung ist der Ortler ein denkbar ehrlicher Berg: Man startet per pedes direkt bei der Kirche in Sulden, kommt in einem Zug zum Gipfel, jeder Schritt ist verdient. Davon werden wir viele machen – stolze 2.000 Höhenmeter weiter oben prangt das Gipfelkreuz, die gesamte Route ist von unten aus einsehbar: Links rauf, rechts wieder runter. Unser erstes Etappenziel ist die rustikale Hintergrathütte, wo wir auch unsere Bergführer der Alpinschule Ortler treffen.

„Die Hütte haben die Bergführer aus Sulden gebaut, die war früher der Treffpunkt für die ganz harten Hunde. Alle Touren durch die großen Nordwände starten hier. Wenn du nur den Hintergrat gemacht hast, bist fast gar nicht beachtet worden“, scherzt Josef Plangger, einer unserer Bergführer. Genau den haben wir vor – und gehörigen Respekt davor: Die Bedingungen seien anspruchsvoll, gestern gab es Neuschnee oben, was die Kletterei nicht gerade einfacher macht. Zeitig verziehen wir uns ins Lager, den Wecker auf 3:30 gestellt.

Mühsam die ersten verschlafenen Schritte im Kegel der Stirnlampe, frisch der nächtliche Wind. Ein vertrauter Weg für dich, Gerlinde? „Nein, am Hintergrat war ich noch nie! Nur einmal in der Nordwand, aber das ist auch schon wieder etliche Jahre her“, meint die weitgereiste Alpinistin. Akklimatisiert müsste sie jedenfalls bereits gut sein: Erst kürzlich kam sie aus Pakistan zurück, der Gasherbrum IV und der Great Trango Tower waren Ziel ihrer heurigen Expedition. „Da wollte ich einfach schon immer mal hin. Die Achttausender habe ich aber hinter mir gelassen, dieses Kapitel ist abgeschlossen. Da bin ich sehr dankbar für alles, was ich auf den ganz hohen Bergen erleben durfte!“ Einen Einblick davon hat sie uns am Vorabend bereits bei ihrem berührenden Vortrag gegeben, vor allem ihr Ringen mit dem K2.

Derartige Grenzerfahrungen bleiben uns heute am Hintergrat hoffentlich erspart. Grenzgenial allerdings der Sonnenaufgang nach den ersten fordernden Kletterstellen, genau über der Wolkengrenze und bereits auf 3.000 Metern: Die mächtigen Nordwände der Königspitze und des Zebrù erstrahlen rosarot, während die restliche Welt noch verschlafen im Nebelmeer versunken ist. Es sind Momente wie diese, warum wir auf Berge gehen.

 


Unser persönliches Ortlerfeuer

Hier ziehen wir auch unsere Steigeisen an, es geht weiter in einem Mix aus Schneestapfen und Felsklettern. Fehltritte sind hier keine erlaubt, spektakulär ausgesetzt zieht der Hintergrat nach oben. Neben der Vorsicht lässt auch die Höhe unsere Schritte langsamer werden, der Blick nach unten rückt die Verhältnisse gerade. Zweitausend Meter Tiefblick! Nach gut fünf Stunden erreichen wir den Gipfel mit seinem anschaulichen Kreuz, wir sind am höchsten Punkt Südtirols, auf 3.905 Metern.

„Voi scheee, aber doch anspruchsvoller als gedacht“, meint Gerlinde mit einem breiten Lächeln im Gesicht. Und auch die anderen Teilnehmer unserer kleinen Expedition sind überglücklich: „Richtig genial, aber auch ganz nett happig die Kletterstellen“, meint Michi aus dem Mürztal. „Dazwischen drin war die Stimmung schon fast surreal“, resümiert Björn aus dem Ruhrpott. Und Michaela aus dem Burgenland meint gar: „Was hab‘ ich gezittert, einmal musste ich sogar kurz weinen vor lauter Höhenangst. Aber ich habe es geschafft!“

Und damit es uns auch im Tal alle glauben, dass wir wirklich ganz oben waren, ein Gipfelfoto. Ein Feuer hat der Ortler bei uns allen entfacht: Nach dem Abstieg brennen nicht nur die Oberschenkel, sondern auch unser ganz persönliches Ortlerfeuer, tief in uns drinnen in Dankbarkeit für diese gewaltige Tour.


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