Melde dich an und erhalte Zugang zu einzigartigen Inhalten und Angebote!


AnmeldenRegistrieren
Abonnieren

Unterwegs am Mittagskogel

Regionen

9 Min.

20.10.2021

Foto: Philipp Horak

Anzeige

Anzeige

Wie hoch müssen wir steigen, um Gipfel-Gänsehaut zu spüren? Hier am Mittagskogel ist es keine Frage der Höhenmeter: Auf einem Aussichtsbankl, das eigentlich ein Thron ist. Mit einem Biker, der Grenzen überschreitet. Oder auf einem Wasserweg, der uns ein bisschen nach Florida entführt.

Autor: Tobias Micke für das Bergweltenmagazin, März/April 2015

Oben auf der Ferlacher Spitze, gleich neben dem Kreuz, gibt es ein Aussichtsbankl, da liegt einem die Welt zu Füßen. Den 1.742 Meter hohen Gipfel, der in den Geschichten der alten Latschacher und Finkensteiner noch immer Türkenkopf heißt, übersieht man zwar leicht angesichts der eindrucksvollen Aura des Mittagskogels (2.145 m), der die Grenze zwischen Kärnten und Slowenien markiert.

Aber man hat – das wissen nicht nur die Einheimischen – von diesem Bankl aus einfach eine sagenhafte Aussicht. Es gibt ja immer wieder Menschen, die nicht verstehen, warum andere keuchend und schwitzend in ihrer Freizeit auf Gipfel klettern. Hier wäre der richtige Platz, um sie zu bekehren. Eine Vogelperspektive wie diese genießt man sonst nur aus dem Flugzeug oder vom schwebenden Balkon eines Heißluftballons.

Hier aber hat man festen Boden unter dem Hintern, und das verwandelt den Nervenkitzel der 1.200 Höhenmeter hinunter zu den Segelschiffchen des Faaker Sees in wohltuende Seelenruhe. Juniorgastwirtin Anna Warmuth, PR-Managerin Angela Pribernig aus Villach und Wanderführerin Barbara Müller sind heute um 3 Uhr früh aufgestanden, um von hier oben die Sonne am Horizont über dem Wörther See aufgehen zu sehen. 

Als sie gegen 4 Uhr die Bertahütte erreichen, schläft selbst der Hüttenwirt und notorische Frühaufsteher Christian Sternad noch. Aber nachher, das wissen die drei Freundinnen aus Finkenstein, wird er ihnen ein kräftiges Frühstück mit heißem Kaffee und herrlichen selbst gemachten Marmeladen servieren, bevor sie zu einem fast normalen Arbeitstag ins Tal absteigen. 

Aufwärts geht es zur Ferlacher Spitze durch steilen Fichtenwald. Stirnlampen nehmen dem Wurzelwerk auf dem Pfad seine Tücken. Nach einer weiteren guten halben Stunde ist das kleine Hochplateau erreicht. Im Rücken und zum Greifen nah der um 400 Meter höhere Mittagskogel mit seinen zwei Gipfelkreuzen und dem anspruchsvollen Nordostgrat, vorn das silberne Band der Drau, zur Linken der Dobratsch, dann der leuchtende, nachtaktive Verschubbahnhof von Villach und die noch morgenmüde Stadt mit dem Faaker See im Vordergrund. ZurRechten schließlich das Rosental, bereits im Gelb-Orange der Morgendämmerung schimmernd.

Einen Schluck heißen Tee, das Sonnenaufgangsständchen der Waldvögel und diesen dekadenten Thron von einem Aussichtsbankl: Mehr braucht es nicht fürs Glücksgefühl, Christian Sternad hat sich zum Frühstück seiner charmanten ersten Gäste dieses Tages dazugesetzt. Seit mittlerweile sechs Jahren bewirtschaftet der gelernte Koch die Alpenvereinshütte in den Karawanken, macht selber Zirbenschnaps, legt Eierschwammerln ein und lässt auch sonst die Schätze des Waldes in die Speisen für seine Gäste einfließen.


Später dann bei wunderbarem Fotolicht

Im Winter macht er aus dem Forstweg zur Hütte eine Rodelbahn und bietet seinen Gästen an Wochenenden eine zünftige Einkehr, bevor sie sich auf den Kufen ins Tal machen. Im Sommer, ab Mitte Mai bis Mitte Oktober, hat Christian dann durchgehend offen. Und das Hüttenlager mit 38 Schlafplätzen dient als Sprungbrett für Sonnenaufgangstouren auf die Ferlacher Spitze und den Mittagskogel, dessen Nordostgrat man auch wunderbar vom Bankl vor der Hüttentür aus studieren kann. 

Der Mittagskogel lässt sich aber auch hervorragend nachmittags besteigen. Nimmt man sich Zeit und übernachtet dann beim charismatischen Bertahüttenwirt, dann hat man den malerischen Grenzberg bei wunderbarem Fotolicht spätnachmittags oft auch ganz für sich. Der technisch leichteste Aufstieg über den Normalweg dauert je nach Muße zwei bis zweieinhalb Stunden.

Und man sollte sich keinesfalls auf halber Strecke abschrecken lassen von frechen Wolkenfetzen, die gern um den Gipfel des geschichtsträchtigen Grenzbergs ein paar Minuten Rast machen. Sie spielen mit den Bergwinden Fangen und bereichern das erhabene Gipfelerlebnis noch um das spezielle Gefühl, mit den Wolken auf Tuchfühlung zu sein. 

Drei Jahre ist es nun her, dass man täglich um 15 Uhr ein (winziger) Teil eines Kunstprojekts wurde, wenn man um die Zeit hier oben auf dem Mittagskogel stand. Denn pünktlich um 15 Uhr an jedem Tag des Jahres 2012 stand ein Mann auf der Stadtbrücke von Villach und machte von dort ein Foto vom Gipfel des Berges mit seiner Canon 5D Mark II. Immer nur ein Foto, immer dieselbe Einstellung und immer derselbe Ausschnitt.


Ein Symbol für das Authentische

Eingefallen ist das dem Schriftsteller, Schauspieler und studierten Philosophen Gerald Eschenauer, der ein Jahr lang sein Leben auf diesen 15-Uhr-Termin ausrichtete. Keine Reisen, keine Termine um diese Zeit, am besten nicht krank werden und nachmittags in keinen Stau geraten. Dafür erlebte er reichlich anregende Diskussionen über Sinn und Unsinn dieser Idee mit den Villachern. Manchen begegnete er jeden Tag zu dieser Zeit an dieser Stelle: „Zum Beispiel gab es da einen Mann, der einen Schlaganfall erlitten hatte und fast eine halbe Stunde benötigte, um die kurze Brücke über die Drau zu bewältigen.

Natürlich kommt man da ins Gespräch und lernt einander kennen.“ Genauso wie einen äußerst bodenständigen Altbauern aus dem Mölltal, an dem alle philosophischen Erklärungsversuche abprallten – zumindest solange die Unterhaltung andauerte... Die Grundidee des Projekts: den Mittagskogel in Wolken, in Schnee oder in strahlendem Sonnenschein als Symbol für das Unverfälschte, Authentische, Unretuschierte einzufangen und den Passanten ihre gewohnten, voreingenommenen Sichtweisen bewusst zu machen. 

Gerald Eschenauer: „Jeden Tag dankbar das annehmen, was einem geboten wird. Zeigen, dass etwas, was gestern gesagt wurde, auch heute noch Gültigkeit hat. Das sind doch auch wertvolle gesellschaftspolitische Grundsätze.“ In dieser Zeit war er selbst öfter auf der Bertahütte und auf dem Mittagskogel. Nächtens. Um den 15-Uhr-Termin nicht zu gefährden. 

Dass etwas, was gestern gesagt wurde, auch heute noch gilt, ist ein Grundsatz, der dem ehemaligen Radprofi Paco Wrolich bei seiner Arbeit ebenfalls wichtig ist. Der Kärntner Slowene ist Rad-Koordinator der Kärnten Werbung und arbeitet an grenzübergreifenden Projekten, die den Alpen-Adria-Raum im Dreiländereck Österreich-Slowenien-Italien touristisch zusammenwachsen lassen sollen.

Eine Initiative, die aufgrund der Geschichte der Region und natürlich wegen der Sprachbarrieren Zeit und Geduld benötigt. Gleich neben dem Mittagskogel, der auf Slowenisch Kepa genannt wird, führt eine von Paco ins Leben gerufene, äußerst abwechslungsreiche Mountainbike-Route über den Jepca-Sattel nach Slowenien. Der Jepca-Sattel war früher Schmugglerrevier. Hier wurde vor der Grenzöffnung vor allem Kaffee, gelegentlich auch ein neuer Fernseher in den Süden geschleust.

Das erzählt Pacos Vater Peter, der in Latschach, direkt am Fuße des Mittagskogels, mit der Familie eine kleine Taverne betreibt: „Jede Bohne war damals wertvoll. Heute haben sich die Dinge verändert – es gibt in Slowenien alles, und vieles ist teurer als bei uns.“


Über den Jepca-Sattel nach Slowenien

Bei entsprechender Kondition kann man die Rundfahrt an einem Tag machen. In Slowenien führt die Route entlang der Save auf der Trasse der ehemaligen Kronprinz-Rudolfs-Bahn (1870 bis 1967 in Betrieb) über historische Eisenbahnbrücken durch Teile des Triglav-Nationalparks bis zum Ski-Weltcup-Städtchen Kranjska Gora.

Von dort weiter nach Italien zu den Weißenfelser Seen und nach Tarvis. In zirka sieben Stunden ist man wieder am Faaker See. Oder man kehrt nach der Fahrt über den Jepca-Sattel auf slowenischer Seite gleich unten an der Save in die „Rosa Villa“ ein, stärkt sich dort bei mediterraner Küche und fährt denselben Weg wieder zurück. Die Radroute führt dann auf Kärntner Seite oberhalb der Ruine Finkenstein am Berggasthof Baumgartner vorbei, von wo aus sich leichte, aussichtsreiche Familienwanderungen am Kamm entlang in Richtung Kleiner Mittagskogel oder zum Rotschitza-Wasserfall unternehmen lassen.

Nicht weit davon ist auch der Klettergarten Kanzianiberg. Der größte Klettergarten Kärntens ist auch einer der beliebtesten, weil er für jeden Geschmack etwas zu bieten hat. Zum Beispiel für den aus Mödling stammenden Thomas Kleindienst. Der AUA-Pilot pendelt beruflich regelmäßig zwischen Klagenfurt und Wien und versucht seit sechs Jahren, am „Kanzi“ gemeinsam mit seinem Villacher Freund Sascha die Route „Rock Me Baby“ in einem Zug zu durchsteigen.

Die Kletterroute hat den Schwierigkeitsgrad 8 b (französische Bewertung) – ein Niveau, bei dem Sportler wie Thomas Kleindienst immer auch ein Zahnbürstl eingesteckt haben, um die winzigen Griffe in der Wand von Schmutz zu befreien. Direkt über „Rock Me Baby“ sind in etwa 30 Meter Höhe drei Stahlseile zwischen zwei Felsen gespannt.

Dort balanciert gerade hoch konzentriert eine Gruppe von Schülern über dem Abgrund. Die Jugendlichen stammen aus der integrativen HTL Ungargasse in Wien und verbringen, wie viele andere Schulklassen aus ganz Österreich, ihre Schulsportwoche im Raum Mittagskogel/Faaker See.

So wie sinnes- und körperbehinderte Kinder in dieser Schule gemeinsam mit nicht behinderten Schülern unterrichtet werden, so ist es auch während dieser Sportwoche: Profi-Kletterführer Hubert Nuss aus St. Johann in Tirol, der für die örtliche Alpinschule „4 Jahreszeiten“ arbeitet, und der begleitende Wiener Informatiklehrer Alexander Christof bringen alle Kinder mit Klettergurt und Helm gut gesichert über den abenteuerlichen Parcours. Hände und Füße geschickt einzusetzen, sich fürs kleine Abenteuer zu überwinden: Auch das ist Schule fürs Leben.

Anzeige

Anzeige


Paddeln im Postkartenmotiv

Der Mittagskogel lässt sich wie kaum ein anderer Berggipfel im Alpenraum auch aus der Ebene heraus in vollen Zügen genießen. Wie ein erloschener Vulkan aus Kalkstein und Dolomit thront er als einzigartiger Blickfang hinter dem lieblichen Postkartenmotiv Faaker See. Das dürfte auch der große österreichische Maler Egon Schiele so gesehen haben.

Er liebte die Seenlandschaften rund um Villach, war daher oft am Faaker See und zeigte sich von der Form des Berges so beeindruckt, dass er den Mittagskogel 1914 malte. Vielleicht war der Künstler für sein Bild sogar mit dem Boot auf dem See unterwegs, um sich ganz auf die markante Gipfelform einzulassen.

Der Wasserweg ist auch heute eine lohnende Variante für ein wunderbares „Flachland-Bergerlebnis“: Bei Manfred Winkler lässt sich im Kajakcenter Faaker See eine kleine Tour (oder zumindest eine Unterweisung zum schwimmenden Untersatz) buchen. Dann kann man bei freiem Blick auf den Mittagskogel über den See paddeln und sich im Bereich der Paprikainsel durch die Schilfstraße bis nach Faak schlängeln.

Die Einheimischen nennen diesen Abschnitt in Anlehnung an das Naturschutzgebiet in Florida gern die „Everglades von Faak“. Tatsächlich ist der Schilfgürtel das Rückzugsgebiet für Wasservögel, Libellen und Froscharten. Und mit etwas Glück lassen sich im glasklaren Wasser räuberische Hechte und fette Karpfen beobachten.


Karawankenforelle und Saunablick

Wer danach Lust auf Fisch hat, dem sei das Wirtshaus Umadum in Unteraichwald ans Herz gelegt. Dort bilden die wortgewandte Manuela Ressnik als Sommelière und der eher ruhige Markus Eisner als Herr über Töpfe und Pfannen ein kongeniales Gespann: Gedämpfte Karawankenforelle mit Kren-Ravioli?

Und dazu einen heimischen trockenen Weißen? Immer freitags darf man im Umadum auf eine derart gelungene Kombination von Fisch und Wein hoffen. Sonntags sorgt „Omas ofenfrisches Schweinsbratl“ zusätzlich zur Tageskarte für einen vollen Kastanien-Gastgarten. Und an den Preisen würde man es nicht merken, aber das Umadum wurde vor einiger Zeit mit einer Gault-Millau-Haube belohnt, die Markus in aller Bescheidenheit nicht an die große Glocke hängt, weil ihm die preisbewusste Wirtshauskundschaft sehr am Herzen liegt. 

Noch vor einigen Jahren, bevor Markus Eisner sich selbständig gemacht hat, hätte man seine kulinarischen Künste am gegenüberliegenden Faaker-See-Ufer im „Kleinen Hotel Kärnten“ genießen dürfen. Das Haus von Andrea und Michael Tschemernjak ist ein weiterer heißer Tipp, wenn man den Mittagskogel gemütlich vom Tal aus genießen will. Das Kleine Hotel ist an sich schon sehr fein, traumhaft gelegen und bei entsprechendem Urlaubsbudget auch gut für Familien mit kleinen Kindern ausgestattet.

Kaum zu übertreffen ist allerdings die Aussicht von der am Ufer gelegenen Sauna über den See zum Mittagskogel. Schwitzen, nur eben im Sitzen, und dann ein Gläschen Bier mit Mittagskogel-Blick – das ist fast wie bei Christian Sternad auf der Bertahütte.