„Es gibt eine Sehnsucht nach der Alm"
Dunkle Tannen, grüne Wiesen im Sonnenschein: Wer an eine Alm denkt, hat wahrscheinlich friedliche Kühe und den Soundtrack der Zeichentrickserie „Heidi“ im Kopf. Dabei ist die Bewirtschaftung dieser Flächen vor allem eines: beinharte Arbeit. Die Schule der Alm im Tiroler Valsertal bietet Freiwilligen die Möglichkeit, den bäuerlichen Alltag so kennenzulernen, wie er wirklich ist. Ein Gespräch mit Obmann Andreas Eller über den Sehnsuchtsort Alm.
Bergwelten: Was war die Idee hinter der Gründung der Schule der Alm?
Andreas Eller: Zum einen wollten wir altes bäuerliches Handwerk und das Wissen darüber neu aufbereiten und weitergeben. Zum anderen ist es darum gegangen, dass man einen Pool an Freiwilligen schafft, die im Notfall in kurzer Zeit einsetzbar sind. Kleines Beispiel: Vor einigen Jahren ist eine sehr schmutzige Lawine ins Almgebiet im hinteren Valsertal abgegangen. Dadurch, dass es ausgebildete Freiwillige in der Gegend gibt, waren wir so gut vernetzt, dass wir innerhalb von kurzer Zeit ein Team aufstellen konnten, das bei der Flurbereinigung mitgeholfen hat.
Wie können sich Teilnehmende eures Kurses einen typischen Tag auf der Alm vorstellen?
Andreas Eller: Der Tag beginnt in Sankt Jodok, wo sich die Unterkünfte befinden. Nach dem Frühstück fährt man mit dem Bus ans Talende auf die Alm. Montag bis Mittwoch geht man – wenn es die Witterung zulässt – ins Bergmahd (Anmerkung: eine bewirtschaftete Bergwiese in höheren Lagen), wo man Sensenmähen lernt und das Heu einbringt. Die Tage sind aber auch mit Vorträgen gespickt: Zum Beispiel sucht unsere Kräuterpädagogin mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmern auf der Alm Kräuter, die dann zu Kräutersalz verarbeitet werden. Außerdem haben wir eine Spezialistin, die sich sehr gut mit Schmetterlingen auskennt. Auf der Alm gibt es Wildpflanzen, die in modernen Gärten eher nicht zu finden sind, aber wichtige Lebensräume für Schmetterlinge darstellen. Die Brennnessel etwa dient über 50 Schmetterlingsarten als Nahrung und Kinderstube. So bieten wir den Freiwilligen neben der körperlichen Arbeit auch immer wieder Informationsveranstaltungen.
Stichwort körperliche Arbeit - Wie anstrengend sind die Tätigkeiten auf der Alm wirklich?
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Andreas Eller: Es handelt sich um Arbeiten, die die Leute normalerweise nicht gewohnt sind. Den ganzen Tag Sensenmähen im steilen Gelände zehrt an den Kräften und deswegen sind auch unbedingt Pausen notwendig. Das sollte man nicht unterschätzen.
Was ist die Motivation von Teilnehmerinnen und Teilnehmern, bei euren Kursen mitzumachen?
Andreas Eller: Es gibt anscheinend in den Menschen eine gewisse Sehnsucht, einmal Zeit auf einer Alm zu verbringen. Das hat bestimmt auch mit Romantisierung zu tun. Aber viele Leute wollen den Alltag hinter sich lassen, raus aus ihren vier Wänden und einmal einen ganz anderen Urlaub verbringen. Das sind meistens Personen, die sich auch einen teuren Urlaub leisten könnten, die aber ganz bewusst die Schule der Alm auswählen, weil sie sinnstiftende Arbeit verrichten wollen.
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Und was nehmen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer – neben dem Erlerntem und vielleicht einem Muskelkater – von euren Kursen mit?
Andreas Eller: Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer strahlen nach unseren Kursen üblicherweise. Das allein sagt schon sehr viel aus. Viele Personen gewinnen durch die Kurse eine neue Sichtweise auf ihren Alltag, aber auch auf Naturkreisläufe, die Landwirtschaft oder das oft romantisierte Leben auf der Alm. Außerdem sind bereits sehr gute Freundschaften bei unseren Kursen entstanden. Bei meiner Eröffnungsrede am ersten Abend sage ich immer: „Ihr seid ab jetzt eine Schicksalsgemeinschaft.“ Und das ist die Wahrheit – die körperlich anstrengende Arbeit im Team schweißt zusammen.
Warum ist die Bewirtschaftung von Almen und Bergmahden wichtig für die Landschaft und die Menschen, die dort leben?
Andreas Eller: Also zum einen ist es bewiesen, dass eine bewirtschaftete Bergwiese, eine sogenannte Bergmahd, einen viel höheren Anteil an verschiedenen Pflanzenarten aufweist. Viele Blumen und Kräuter gehen auf nicht bewirtschafteten Flächen verloren, weil der Konkurrenzdruck zu hoch ist. Denn dort bekommen die Größten das meiste Licht und können sich so am besten vermehren. Zum andern ist die Bewirtschaftung sehr wichtig als Vorbeugemaßnahme gegen Naturkatastrophen – vor allem gegen Lawinen.
Inwiefern schützt eine bewirtschaftete Almwiese vor Lawinen?
Andreas Eller: Wenn eine Bergwiese nicht gemäht wird, dann wachsen dort Gräser, die sehr lang werden. Auf diesen Gräsern kann im Winter der Schnee abrutschen und als Lawine ins Tal gehen. Technisch ausgedrückt steigt also die Gleitfähigkeit eines Hanges, wenn er nicht bewirtschaftet wird.
Man könnte annehmen, dass es im Sinne des Naturschutzes wäre, Almwiesen und Bergmahden, die kaum bewirtschaftet werden können, verwildern zu lassen – sie also der Natur zurückzugeben. Warum ist das ein Problem?
Andreas Eller: Bereits seit den 1960er Jahren werden große Flächen nicht mehr bewirtschaftet – diese Flächen holt sich die Natur zurück. Aber wir wollen die Almwirtschaft trotzdem weiterführen. Denn diese teils hochalpinen Gegenden, die schwierig zu bewirtschaften sind, haben auch große Vorteile: Eine Kuh zum Beispiel, die unten im Inntal auf 600 Meter Seehöhe weidet, wird den Großteil des Tages fressen. Ein Tier, das auf 1.800 bis 2.000 Meter Seehöhe auf der Alm weidet, wird einige Stunden fressen und dann sitzen und chillen. Das hängt mit der Futteraufnahme zusammen. In der Höhe brauchen die Tiere viel weniger Futter, damit sie satt werden, weil die Futtermischung intensiver ist. Es sind mehr Kräuter und Wildblumen enthalten, weswegen das Bergheu wertvoller ist als das Heu aus dem Tal. Bergheu wird etwa auch gefüttert, wenn Tiere krank sind. Durch die darin enthaltenen getrockneten Kräuter wirkt es wie eine Art Medizin.
In der industriellen Landwirtschaft sind Maschinen weit verbreitet. Warum sind solche Maschinen noch nicht auf den Almen angekommen?
Andreas Eller: Zum einen bestimmt, weil es günstiger ist. Aber es hängt sicher auch mit einer gewissen Leidenschaft zusammen, die Bergbäuerinnen und Bergbauern haben. Natürlich gibt es in der heutigen Zeit Mähmaschinen, die auch sehr steile Wiesen bewirtschaften könnten. Aber die Leidenschaft würde irgendwo fehlen. Es macht einfach Spaß und ist sehr sinnstiftend und befriedigend, wenn man mit den Händen arbeitet und so eine tiefe Verbindung zu der Wiese, die man gerade bewirtschaftet, aufbaut. Durch die langsame Geschwindigkeit kann man das Ganze erst richtig aufnehmen und die Vielfalt der Natur spüren.
Was können Menschen, die nicht am Kurs teilnehmen, tun, um den Erhalt von Almen und Bergmahden zu unterstützen?
Andreas Eller: Ich glaube, die beste Unterstützung kann man als Konsumentin und Konsument leisten, denn hier haben wir sehr große Möglichkeiten der Einflussnahme. Indem ich zum Beispiel einen echten Käse von der Alm kaufe und nicht ein Billigprodukt, das die Hälfte kostet.
Wie würdest du das Gefühl, wenn du auf der Alm stehst, in drei Worten beschreiben?
Andreas Eller: Leicht. Frei. Sinnstiftend.
Grundkurse
Wer in den Alm-Alltag reinschnuppern möchte, kann dies beim Grundkurs der Schule der Alm tun – und zwar zu folgenden Terminen:
30. Juli - 6. August 2023
6. August - 13. August 2023
Weitere Informationen & Anmeldungen hier.