(1) Karawanken: Grenzgänger
Los geht's mit dem ersten Eintrag und damit auch: dem ersten Gipfel im Rahmen meines Skitouren-Tagebuchs. Den Auftakt machen die Karawanken: Über eine Tour an der Grenze von Österreich und Slowenien mit viel Geschichte – und noch mehr Schnee.
Das Schöne an Grenzgebieten? Oft trennt einen gerade einmal eine Stunde von einem anderen Kultur- und Geschichtsraum. Oder – wie in unserem Fall: ein Bergkamm. Stationiert bei St. Veit an der Glan haben wir sie ständig im Blick: die mächtigen Karawanken. Wir möchten wissen, wie sich der Gebirgsstock auf slowenischer Seite präsentiert. Das Ziel will mit Bedacht gewählt sein: Der Lawinenwarndienst hat für die Region Warnstufe 4 ausgegeben.
Glücklicherweise gibt es Mitja Šorn. Er ist so etwas wie der Papst der Julischen Alpen. Vor über neun Jahren hat er sich faktisch als erster Bergführer zur Gänze auf die slowenischen Alpen konzentriert und die Bergführervereinigung Triglav-Guides gegründet. Wenn einer weiß, wo man immer eine Tour gehen kann, dann ist es Mitja. Er spricht ein hartes Englisch mit rollendem R. Aus seinem bärtigen Gesicht blitzen unter dunklen Haaren zwei tiefblaue Augen hervor. Im Winter ist er in den Julischen Alpen der Platzhirsch. Da führt er als Bergführer nahezu allein durch die prominentesten Berge Sloweniens, die sich als Teil der Südlichen Kalkalpen bis hinüber in die italienische Region Friaul-Julisch-Venetien ziehen. Und – nicht zuletzt: mit dem Triglav (2.864 m) einen bekannten alpinistischen Anziehungspunkt beherbergen.
Aufgrund der angespannten Schneeverhältnisse wird aus einer Tour in den Julischen Alpen nichts, dafür aber in den Karawanken – mit direktem Blick auf den König Triglav und exakt an der Grenze von Slowenien und Österreich. Unser Ziel: der Dovška Baba, zu Deutsch: Frauenkogel. Der 1.891 m hohe Berg ist eines der populärsten Tourenziele im Winter, weiß Mitja. Nicht zuletzt weil er aufgrund seiner mäßigen Steilheit zumeist sichere Verhältnisse aufweist. Und obwohl dieser Winter „perfekt“ ist, wie Mitja schwärmt, gibt es aufgrund der großartigen Lage sonst immer zig Ausweichmöglichkeiten für all jene, die nach Schnee suchen.
Mojstrana, ein kleines Dorf, das sich zum Hotspot der slowenischen Alpinismus-Szene gemausert hat, ist der „perfekte Ausgangspunkt“ für Touren – nicht nur in Slowenien. Von hier aus ist es nur ein Katzensprung nach Italien und Österreich und irgendwo wird man immer fündig bei der Suche nach dem weißen Gold. Suchen muss man heuer aber nicht. Die Julischen Alpen scheinen sich fast schon zu plagen unter der Last des glitzernden Schnees.
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Mitja stellt gleich zu Beginn nicht nur seine alpinistischen Fähigkeiten unter Beweis, sondern auch sein Talent als Offroad-Fahrer. Durch tiefste Winterlandschaft lenkt er seinen Bus die verschneite Forststraße von Dovje bei Mojstrana hinauf – bis wir feststecken. Mit an Bord sind Mitjas Frau und ein guter Freund der beiden. Und ganz so, als wollte Mitja uns schon einmal einem kleinen Aufwärmtraining unterziehen, werden wir zum Aussteigen angehalten und schieben den Bus mit vereinten Kräften aus dem Schnee. Unser Ausgangspunkt ist damit gefunden. Wir fellen auf und starten.
In mäßiger Steigung geht es bergan und bald schon eröffnet sich ein beeindruckender Blick auf den Triglav, das „Nationalsymbol“ Sloweniens, wie Mitja weiß. Ja, er ist der höchste Berg der Julischen Alpen. Seine Bedeutung für die Slowenen rührt aber zuallererst aus dem 19. Jahrhundert, als Slowenien noch Teil der österreichisch-ungarischen Doppelmonarchie war und der Berg zur Identifikationsfläche der slowenischen Seele wurde. Auch heute noch ist der Triglav mehr als nur ein Berg. Gäbe es eine Liste an Dingen, die man als echter Slowene getan haben muss, fände sich darunter ganz weit oben die Forderung: „Climb Triglav!“
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250x am Triglav
Mitja bringt es auf den Punkt: „Um als echter Slowene zu gelten, muss man zumindest ein Mal im Leben am Triglav gewesen sein“. So gesehen ist Mitja der slowenischste Staatsangehörige des Landes. Er war bereits 250 Mal am Gipfel. Der Berg ist ein zweites Zuause für ihn geworden. Im Triglavhaus hat er sein eigenes Zimmer, die Routen kennt er in- und auswendig. Aufgrund der Stellung des Bergs ist die Nachfrage entsprechend hoch: 70 bis 80 Prozent seiner Tätigkeiten als Bergführer finden hier statt.
Was die Julischen Alpen besonders macht? „Die Farben hier sind anders. Der Fels ist weißer, denn man findet hier vorwiegend Kalkstein.“ Und während sich am Triglav mitunter die Massen stauen, wartet rundherum: Einsamkeit. „Es ist keine Seltenheit, dass man auf einer drei- bis fünftägigen Skidurchquerung keine einzige Menschenseele antrifft. Man ist verlassen von der Zivilisation“, erzählt Mitja mit leuchtenden Augen. Dass es hier noch unerschlossene Landstriche gibt, mag auch daran liegen, dass die „Slovenian Mountain Guides Association“ erst vor rund zwanzig Jahren der Internationalen Vereinigung der Bergführerverbände (IVBV) beigetreten ist.
Die Geschichte des Bergführerwesens in Slowenien ist damit eine gänzlich andere als in Österreich. Es gab wohl schon Bergführer im 19. Jahrhundert, als Gliedstaat Jugoslawiens aber verschwand das Bergführerwesen in Slowenien komplett. „Man sollte in die Berge gehen, weil man sie liebt – nicht wegen des Geldes“, bringt Mitja den sozialistischen Zugang zu den Bergen auf den Punkt.
Mit dem Zerfall Österreich-Ungarns und der Entstehung des SHS-Staats, also dem Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen, verfestigte sich mit den Karawanken bereits 1919/20 die neue Grenze zu Österreich. Sie verläuft exakt entlang des Hauptkamms, den wir nun nach knapp 1.000 Höhenmetern erreichen.
Und damit stehen wir mit einem Fuß in Österreich und mit dem anderen in Slowenien. Links unter uns – unterhalb einer ziemlich beeindruckenden Wechte – breitet sich Österreich aus, rechts von uns Slowenien. Und einmal mehr bleibt der Blick am Triglav hängen, dem ganzen Stolz der Nation. Und einem Berg, der wie kaum ein anderer auch Denkmal der slowenischen Geschichte ist. Nur einen Bergkamm von Kärnten entfernt.