Unterwegs im warmen Norden Spaniens
Foto: Andreas Jakwerth
von Mara Simperler
Im Norden Spaniens sind die Berge hoch und die Küste wild. Und sie liegen so nahe beieinander, dass man nach der Gipfeltour noch in den kühlen Atlantik springen kann. Mara Simperler hat in Asturien Surfer, Schimmelkäse und Schluchtenwanderungen entdeckt.
Das Land gleicht einem grünen Samtstoff, in Falten hingeworfen und hie und da von gigantischen Händen leicht hochgezogen. In der Mitte des Stoffs liegen riesige Steinbrocken verstreut, und an seinen Rändern brandet das Meer mit der Beständigkeit von Atemzügen gegen schroffe Klippen.
España Verde, grünes Spanien, wird der Norden des Landes genannt. Hier sorgt das ozeanische Klima für saftige Wiesen, der Ozean für Scharen an Surfern und die Felswände für leuchtende Augen bei Bergsteigern. Über 350 Kilometer Küste teilen sich die Provinzen Asturien und Kantabrien und eines der schönsten Gebirge Spaniens, die Picos de Europa, wo nur 20 Kilometer vom Meer entfernt bis zu 2.648 Meter hohe Berge stehen.
Zwischen Fels und Meer
Ein Urlaub in Nordspanien kann zu einer organisatorischen Herausforderung werden. Liegt man am Strand, sieht man die Berge. Steht man am Gipfel, blickt man aufs blaue Meer. Und sehnt sich schon wieder nach dem Moment, in dem man die Zehen in den warmen Sand bohren und dem Wellenrauschen lauschen darf.
„Ich mache das so: Im Winter bin ich Ski fahren, im Frühjahr gehe ich klettern, im Sommer surfen, und im Herbst suche ich Pilze“, sagt Iñigo Soto pragmatisch. Der 43-jährige Baske hat lange braune Dreadlocks, Ringe in beiden Ohren, und wenn er in die Hände klatscht, steigt eine weiße Wolke auf. Mit magnesiumweißen Fingern umfasst er den ersten Griff der Route Zumo de Presa im Klettergebiet Cuevas del Mar in der Nähe von Llanes.
Cuevas del Mar ist eigentlich der Name eines Strandes und bedeutet „Meereshöhlen“. Schwarz-gelbe Kalkklippen säumen die Bucht, und in den Felsen hat Iñigo Soto in den letzten 10 Jahren mehr als 20 Routen gebohrt. „Aber diese bin ich bestimmt schon 100 Jahre lang nicht mehr geklettert“, flucht er in der Mitte
der Wand. Zumo de Presa heißt „Saft aus dem Griff“ und meint nichts anderes als den Schweiß, mit dem man die Schlüsselstelle bezahlen muss.
Die Gischt des Meeres umspielt den Felsen, von dem aus Iñigos Kletterpartner Mikel ihn sichert. Wenn es in der Wand zu heiß wird, springt man in den Atlantik und lässt sich danach am goldenen Sandstrand trocknen. Nur das Material leide unter den vom Salzwasser scharfen Felsen, sagt Iñigo, „Kletterschuhe halten hier kein Jahr“. Hier ließe es sich aushalten, aber der Blick schweift auf die schroffen Gipfel der Picos de Europa. Zeit, die Kletterpatschen gegen Wanderschuhe zu tauschen.
In der Schlucht
Nur 20 Kilometer landeinwärts quetschen sich 200 Gipfel über 2.000 Meter im gleichnamigen Nationalpark auf einer Fläche, die gerade mal ein Drittel größer ist als Wien. Ein Hochgebirge mit drei Massiven, riesigen Höhlensystemen und grünen Almen. Der berühmteste Gipfel ist der Naranjo de Bulnes, der berühmteste Einschnitt die Schlucht von Cares.
Juanjo Alvarez hat den Bauch eines Mannes, der gerne isst, und die Beine eines Mannes, der gerne geht. Und die schieben ihn jetzt beständig, wenn auch unter Schnaufen, die schottrigen Serpentinen zum Einstieg der Ruta del Cares hoch. Der Wanderweg klammert sich als schmales Band an die steilen Wände der Schlucht. Juanjo Alvarez durchquert sie jeden Sommer mindestens ein Dutzend Mal mit Gästen. Mit seiner Frau Sonia führt er die Casa Cipriano im Dörfchen Sotres, eine echte Bergsteigerunterkunft.
Die beiden haben sich in jungen Jahren kennengelernt. Er war mit dem Fahrrad in Sotres, wo schon ihre Eltern das Hotel führten, und lehnte das Rad an die Terrasse. Sonia, ganz Kind eines Dorfes, in dem jeder jeden kennt und wo man sich ein Fahrrad borgen kann, wenn es am Zaun lehnt, schwang sich auf Juanjos Rad, und er stürzte aus der Gaststube, weil er dachte, sie hätte sein Gefährt gestohlen. „Dann ging es recht schnell“, sagt Sonia, „im dritten Schwangerschaftsmonat bin ich noch die Wand zum Naranjo de Bulnes hochgeklettert.“ Mittlerweile sind beide Töchter erwachsen, und Sonia ist eher auf leichteren Routen unterwegs.
Die Cares-Schlucht trennt das westliche Massiv der Picos vom Zentralmassiv, dank ihrer Ost-West-Lage hat man den ganzen Tag Sonne. Weil das Wasser des Río Cares aber 100 Meter weiter unten fließt, sollte man genug zu trinken mitnehmen. Nicht nur einmal hat Juanjo einen Gast an der Hand durch die dreistündige Wanderung begleitet, weil sich akute Höhenangst einstellte. Dabei ist der in den Stein gesprengte Weg nie schmaler als zwei Meter. Nur eben ungesichert, und manchmal fällt der Felsen senkrecht bis zum Fluss ab.
„Der schönste Monat ist der September“, sagt Juanjo. „Im August verbringt halb Spanien hier seinen Urlaub, da darf man auf beliebten Routen keine Berührungsängste haben.“ Sehr beliebt ist zu Recht die Umrundung der Lagos de Covadonga, zwei Gletscherseen, auf einem idyllischen Hochplateau im Westen der Picos.
Im Hochsommer fahren nur öffentliche Busse hinauf, für Autos ist die kurvige Straße dann gesperrt. Wer die Seen hinter sich lässt, lässt auch die Menschen hinter sich. Die Wege ins Gebirge schlängeln sich über grüne Almwiesen, auf denen Enzian blüht und Kühe weiden. Gefährlich fürs zügige Weiterkommen ist nur sich umzudrehen. Im Rücken glitzert das Meer zu verlockend.
Der warme Norden Spaniens ist ein Sehnsuchtsort für Surfer – kein Wunder, allein Asturien besitzt über 200 Strände. Für jede Welle und jede Windrichtung gibt es die passende Bucht. Die Atlantikküste ist wild wie das Meer, das Wasser so kalt, dass kaum ein Surfer ohne Neoprenanzug auf sein Brett steigt. Viele kommen mit einem Campervan, parken am Strand, und so mancher schafft den Heimweg nicht mehr. So auch Linda Zantout.
Auf den Wellen
Vor sechs Jahren packte die Deutsche ihren Freund und ein Surfbrett in einen roten Bulli und tourte durch Europa. Jetzt arbeitet sie als Mechanikerin bei Surf- Cars, einem Unternehmen in Santander, bei dem man sich Campervans ausleihen kann. Vor der Garage steht Abuela („Großmutter“), das erste Auto der Flotte, und in der Werkstatt schraubt Linda an einem schwarz glänzenden Motor. „Der Entschluss, hier zu bleiben, war nicht wahnsinnig schwierig“, sagt sie, „es hat uns mit Abstand am besten gefallen.“
Linda wischt die ölverschmierten Hände ab, packt die Schlüssel und startet ihren weißen VW-Bus, um an den Strand von Liencres zu fahren und Wellen zu checken. „Das ist unser Home-Spot“, erklärt sie, quasi der Hausberg für Surfer.
Die Küste ist eine spektakuläre Mischung aus schroffem Fels und weichem Sand. Der Himmel ist heute grau, und die Wellen sind flach. „Hier kann man sich auf keine Wetterprognose verlassen“, sagt Linda. „Aber ich mag das Klima – es gibt richtige Jahreszeiten im Gegensatz zu Südspanien. Und die Berge sind so nah.“ Der Blick auf die nahen Berge zeigt nicht viel: Auch dort regieren die Wolken.
In der Käsehöhle
Der Nebel hat sich um das kleine Bergdorf Sotres gesenkt. Die borstigen Gräser der felsdurchsetzten Alm am Ortsrand sind nass, am weißen Himmel ziehen zwei Geier lautlos ihre Runden. Im Boden ist ein kleines Loch, und in dem verschwindet jetzt Raquel, um nach ihrem Käse zu schauen.
Queso de Cabrales gehört zu Asturien wie der Apfelwein Sidra . Vielleicht sogar ein bisschen mehr. Nach dem Spanischen Bürgerkrieg flüchteten die verfolgten Kommunisten in die Berge. Den selbst gemachten Käse, der in den natürlichen Höhlen der Region Edelschimmel ansetzt, tauschten sie im Geheimen gegen Weizen.
Das Karstmassiv der Picos de Europa ist durchlöchert wie Emmentaler. Einige der tiefsten Höhlen der Welt durchziehen den Berg, insgesamt mehr als 150, große und kleine. Eine davon hat Raquels Vater entdeckt. „Achtung auf den Kopf“, warnt sie, dabei müsste man sagen: Achtung auf den Kopf, die Füße und die Hände, denn wo nicht Fels ist, ist rutschiger Schlamm. Stockfinster ist es, nur die Stirnlampe auf Raquels Helm und die flackernde Kerze, die auf einem alten Holzgestell steht und vor sich hin schimmelt, sorgen für Licht.
„Jede Höhle hat ihre eigene Pilzkultur. Deshalb schmeckt auch jeder Queso de Cabrales anders“, erklärt Raquel, während sie einen frischen Käselaib neben die anderen legt, die je nach Reifegrad Feta ähneln oder nach einigen Monaten wie Steine wirken. Sie zieht Plastikhandschuhe über und taucht die Hände in einen Kübel mit Wasser. „Es ist wichtig, mit dem Wasser aus der Höhle zu arbeiten, in dem der Käse gelagert wird. Nur so stimmt die Pilzkultur“, sagt sie. Dann nimmt sie jeden Käselaib und streicht mit nassen Händen vorsichtig, aber zügig die Oberfläche glatt.
Von der Decke hängen tropfende Stalaktiten, an den Seiten kann man Gänge erahnen, aber wir lassen den scharfen Geruch der Höhle hinter uns und tasten uns die feuchten Wände entlang zurück an die frische Luft.
Draußen riecht es nach Meer.
Adressen und Infos: Asturien und Kantabrien
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