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High in Jamaika: Wandern in den Blue Mountains

Reise

7 Min.

01.08.2022

Foto: Adobe Stock/ ewelina kol/EyeEm

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von Martin Foszczynski

Kein Hirngespinst: Das Strand-Paradies Jamaika hat richtige Berge. Auf ihren Hängen baut Bob Marleys Sohn den weltbesten Kaffee an und in ihren Wäldern liegt der Ursprung der Rastafari-Kultur. Martin Foszczynski hat sich auf den Blue Mountain Peak Trail begeben, um die Sonne vom höchsten Punkt der Karibik aufgehen zu sehen.

Vor jeder Spitzkehre drückt Robert zweimal auf die Hupe. Ob das etwas nützt bezweifle ich, doch schaden wird es wohl auch nicht. Die Gordon Town Road, ein steiles Schotterband aus Rinnen und Schlaglöchern, beutelt unseren Jeep durch und uns mit ihm. Plötzlich der Geruch von verschmorten Kabeln oder verbranntem Öl. Robert bringt das nicht aus der Ruhe. Er dreht sanft am abgewetzten Lenkrad, stellt den Motor ab und öffnet seinen Gurt, um unter die Haube zu sehen. Erst jetzt schlüpft er – fast etwas unwillig – wieder in seine Schuhe, die bis jetzt ausgezogen neben dem Gaspedal lagen.

Robert – Guide von Sun Venture Tours in Kingston – ist das Gesicht, das mir in den letzten Tagen fehlte. Auf meine Emails hat er mal früher, mal später – jedenfalls immer sehr knapp geantwortet. „No problem“, hieß es da oft lapidar. Eigentlich hatte ich einen verpennten Rastamann erwartet, geworden ist es ein großgewachsener Schwarzer, der – wie er uns erzählt – in einer Zeit aufgewachsen ist, als Menschen mit seiner Hautfarbe in Jamaika noch kaum Chancen auf einen richtigen Job hatten. Über seine Gelassenheit, die mich beim Schreiben etwas ärgerte, bin ich jetzt – mitten auf der halsbrecherischen Strecke hinauf zu unserer Blue-Mountain-Unterkunft – heilfroh. Eigentlich war ich es schon am Beginn der Bergstraße, wo uns zwei Cops mit griffbereiten Maschinengewehren aufhielten. Angeblich nur, um zu kontrollieren, ob wir angegurtet sind, doch so ganz wollte mich das nicht überzeugen.

Am Fuße der Berge gehen die Suburbs von Kingston, in der eine relativ vermögende Mittelschicht in pastellfarbenen Häuschen wohnt, abrupt in verstreute Baracken über. „Das sind Squats“, erklärte uns Robert, Hausbesetzer, die in einem rechtsfreien Vakuum leben. Und damit eine lange Tradition fortführen. Denn die Blue Mountains, so Robert, waren immer schon ein Rückzugsort für Aussteiger, die sich gegen das System stellten. Zuerst die „Maroons“, aus Westafrika stammende Sklaven, die im kolonialisierten Jamaika von den Plantagen flohen. Heute Rastafaris, die in den Bergen billige Wohngelegenheiten finden und Reggae und Joints dem Alltag in Kingston vorziehen. Das unten ist „Babylon“, sie aber richten sich im Schutz der blauen Berge nach ihren spirituellen Wurzeln in Afrika aus.


Eine andere Dimension von steil

Der verbrannte Geruch verflüchtigt sich langsam – es geht weiter. Steilheit hat hier wirklich eine neue Dimension. Noch deutlicher als die respekteinflößenden Geröll-Rampen und Serpentinen, über die wir uns im Balanceakt schleppen, machen das die ausgeschlachteten Autowracks am Straßenrand und die schlichten Grabplatten mitten in den Gärten einiger Häuser. Was hier nicht unbedingt hinunter in die Stadt muss, bleibt einfach oben.

Wir machen kurz Halt in Mavis Bank, einer der höchstgelegenen Siedlungen in den Blue Mountains. Bekannt ist sie für die Kaffeefabrik, in die der größte Teil der Kaffeebohnen von den umliegenden Plantagen zum Qualitätscheck und Trocknen gebracht wird. Jamaica Blue Mountain Coffee ist weltberühmt und gehört zu den teuersten Sorten überhaupt. In Japan werden bis zu 200 Dollar pro Kilogramm für diesen Kaffee gezahlt, der aufgrund des niederschlagsreichen Klimas besonders lange reift. Ich frage Robert nach einem Gerücht, das mich schon länger beschäftigt. Angeblich baut hier auch ein Sohn von Bob Marley Kaffee an. Die Geschichte sei wahr – doch welcher der Sprosse der unsterblichen Reggae-Legende es ist, vermag er nicht zu sagen: „Davon gibt es eine ganze Menge“, schmunzelt er.     

Endlich kommen wir in unserem Nachtlager an. Die Whitfield Hall, ein gediegenes Plantagen-Anwesen, stammt noch aus dem 18. Jahrhundert. Dass es heute zwei kiffende und überaus freundliche Rastas betreiben, wundert uns nicht weiter. Wir fühlen uns sofort wohl in dieser perfekten Idylle zwischen dichtem Grün und mächtigen Pinien-Bäumen. Es ist herrlich ruhig hier oben – im Hof fläzen ein Dutzend Katzen im sanften Licht des späten Tages, in einem eingezäunten Beet gedeihen Kaffeesträucher.

Wir nutzen die Zeit bis zum Abendessen für einen kurzen Aufstieg, um der Sonne beim Untergehen zuzusehen. Sie taucht die grünen Hänge mit ihren typischen Knitterfalten in ein milchiges Licht, später vermeint man einen blauen Schimmer über den Wipfeln auszumachen – vielleicht ist es nur Einbildung, doch davon rührt der Name der Blue Mountains. Vom höchsten Gipfel Jamaikas – schlicht „Peak“ genannt (2.256 m) – trennen uns rund 950 Höhenmeter und 12 km. Diese Strecke wollen wir in der Nacht, rechtzeitig zum Sonnenaufgang, bewältigen.

Zurück in unserer Lodge stellen wir fest, dass es noch drei Deutsche – ein Pärchen und ein Alleinreisender – hier hoch geschafft haben. Quirin hat 100 Dollar für die Taxifahrt hingeblättert und würde sich gerne spontan unserer Sunrise-Tour anschließen. Allein der Abmarschtermin – 1h Früh – bereitet ihm Kopfzerbrechen, hat er doch die letzten Tage mit ausgiebigem Feiern in diversen Kingstoner Dancehall-Clubs verbracht. Nach einem Bierchen willigt er schließlich ein, worauf wiederum angestoßen werden muss. Als wir uns für drei verbleibende Stunden aufs Ohr legen, reihen sich erstaunlich viele Red Stripe-Flaschen auf dem antiken Esstisch der Whitfield Hall.


Zuckerrohr als Proviant

Ein kurzes Gesicht-Abwaschen im Schein der Öllampe, ein schneller Gepäcks-Check durch Robert – und es kann losgehen. Zu den Lichtkegeln unserer Stirnlampen gesellen sich bald jede Menge phosphoreszierender Leuchtkäfer. So undurchsichtig finster es ist, so unaufhörlich laut zirpen die Grillen und Heuschrecken am Wegesrand.
Der erste Abschnitt des Trails gestaltet sich nicht gerade unterfordernd. Wir schrauben uns die Jacob‘s Ladder – eine Serie von Geröll-Serpentinen hoch. Als wir nach rund 45 Minuten auf die zarten Lichterketten von Kingston weit unten am Horizont herabsehen, bin ich ganz schön außer Atem. Wohl etwas früher als geplant holt Robert sein Wundermittel aus dem Rucksack: Zuckerrohr-Stücke aus dem Supermarkt. Die werden gekaut und wieder ausgespuckt – etwas gewöhnungsbedürftig, aber genau das Richtige. Die ausgesaugte Flüssigkeit mindert den Durst, der konzentrierte Zucker fährt direkt in die Blutbahn und aktiviert neue Kräfte.

Die nächste Pause machen wir an der Ranger Station in Portland Gap – es ist die letzte Raststation mit Toiletten, bevor es über den Peak Trail zum Gipfel geht. Wir befinden uns mittlerweile im Nationalpark-Gebiet. Die Blue and John Crown Mountains gehören seit 2015 zum UNESCO-Welterbe – einer von nur 32 Welterbe-Plätzen, die sowohl für ihre landschaftlichen als auch kulturellen Werte aufgenommen wurden. Für letzteres sind die schon erwähnten Maroons – geflüchtete afrikanische Sklaven – verantwortlich, die in den Bergen ihre eigene Kultur etablierten und gegen die Kolonialherren ankämpften.

Der Wanderpfad ist eng und stufig, im Schein unserer Lampen machen wir ein urwaldartiges Terrain mit Lianen und saftigen Moosen – später auch eine Tarantel – aus. Nur zu gerne würde man sich in das saftige Grün legen, doch der neue Tag wartet nicht auf uns. Zudem hat uns soeben ein Rasta mit Joint im Mundwinkel und einer Gruppe Springbreakern in kurzen Hosen und T-Shirts im Schlepptau überholt – das können wir natürlich nicht auf uns sitzen lassen.


Top of Jamaica

Robert ist längst zu psychologischen Tricks übergegangen – seine „nur noch einen Kilometer von hier“-Angaben ziehen sich verdächtig in die Länge. Während sich der Äther mit dem Grau der Morgendämmerung füllt, wachen die Blue Mountain-Vögel auf und feuern uns auf den letzten Kilometern mit ihren Rufen an.

Endlich ist der Peak in Sichtweite: kein Kreuz, sondern eine schlichte Pyramide aus Eisenstangen markiert ihn. Ein Blick bis nach Kuba, der sich von hier aus an ganz klaren Tagen angeblich eröffnet, bleibt uns verwehrt – zu sehr hat es in den letzten Stunden zugezogen. Sei’s drum! Die Sonne schlüpft aus dem Wolkenbett und ergießt ihr Licht über die Karibik – ein einmaliger Anblick. Quirin, der partyfreudige Deutsche, kann es nicht lassen und erhebt sich noch zwei Meter über den Rest, indem er auf die Gipfelpyramide kraxelt. „Top of Jamaica“ ruft er mit gezücktem Handy aus.

Auf dem Rückweg schmerzen die Beine, doch jetzt – im Tageslicht – sehen wir die ganze Pracht der Blue-Mountain-Landschaft. Von Lianen und Wurzen durchsetzter Urwald, dann wieder weite Ausblicke auf die steilen Hügeln und Hänge der durch und durch grünen Blue Mountains. Und immer wieder Kaffeeplantagen. Zurück in der Lodge können wir dann auch endlich vom berühmten Blue Mountain Coffee kosten. Sogar aus eigenem Anbau – er wird uns von unseren Gastgebern zum Brunch serviert. Am liebsten würden wir uns jetzt in die Ledercouches der Whitfield Hall fläzen, doch wir müssen zurück nach Kingston.

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Kingston, Hope Road 56

Der Grund ist die größte Sehenswürdigkeit der Stadt, bzw. ihre kurzen Öffnungszeiten. Wir sind hundemüde und es ist an die 40 Grad heiß in Kingston, doch das Bob Marley Museum wollen wir uns nicht entgehen lassen. Die Tour führt durch die Räume jenes Hauses an der Hope Road, in dem der Reggae-Gott von 1975 bis zu seinem Tod wohnte und viele legendäre Platten aufnahm. Etwas versetzt mich besonders ins Staunen: Der Blick durch sein Schlafzimmerfenster fällt genau auf den Blue Mountain Peak. Über Bob Marleys stattlichem Bett hängt nicht etwa das Bild seiner Frau Rita, sondern ein Portrait Haile Selassies, des einstigen äthiopischen Regenten, den die Rastafaris als wiedergekehrten „schwarzen Messias“ verehren.

Ich denke an die Maroons und an die Kaffee anbauenden Rastas. Dann an Marleys dicke Dreadlocks und die Wurzeln und Lianen in den Blue Mountains – und wie das eine dem anderen ähnelt. Schließlich kann ich mich nicht des Eindrucks erwehren, dass wir heute nicht nur den höchsten Punkt Jamaikas erreicht haben, sondern auch ein gutes Stück in die Seele der Insel vorgedrungen sind.


Infos und Adressen: Blue Mountains, Jamaika

Anreise

Flüge nach Jamaika gibt es z.B. über Miami (Florida). Wer in Montego Bay und nicht in Kingston landet, kann mit dem Reisebus Knutsford Express sehr komfortabel in die Hauptstadt oder nach Port Antonio gelangen.

Wandern in den Blue Mountains

Die Blue Mountains sind ein Wander-Paradies. Rund 30 Trails („tracks“ genannt) führen auf diverse Hügeln, nicht alle sind allerdings in einem guten Zustand. Der beliebteste ist der „Peak Trail“ hinauf zum Blue Mountain Peak, mit 2.256 m höchster Gipfel Jamaikas. Wer nachts unterwegs ist, sollte einen lokalen Bergführer engagieren – die Wege weisen nämlich viele Verzweigungen auf und eine Rettung in den Blue Mountains kann lange dauern.

Als Ausgangspunkt für die Peak-Wanderung bieten sich Hagley Gap oder Penlyne Castle an (rund 950 hm und 12,5 km Strecke). Der Peak Trail startet an der Ranger Station (Portland Gap), wo es Toiletten gibt.

Mitzunehmen: Viel Wasser, Proviant, Stirnlampe mit Ersatzbatterien, Regenjacke, warme Kleidung (Temperaturen vor Sonnenaufgang könne frostig sein).

Gebühr Nationalpark: 5 USD

Unterkünfte in den Blue Mountains:

Tourenanbieter:

Sun Venture Tours (Kingston): Bietet Komplett-Pakete mit Abholung vom Hostel, Übernachtung in den Bergen und Brunch an.


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