Damavand – Vereint am höchsten Gipfel des Iran
Foto: Lutz Heinrich
Zu DDR-Zeiten eroberten die Brüder Heinrich die Berge – dann trennten sich ihre Wege. 30 Jahre und einige Schicksalsschläge später beschlossen sie, wieder gemeinsam einen Gipfel zu besteigen. Der „heilige Berg der Perser“ führte sie nicht nur zusammen, sondern ließ sie auch ein Land entdecken.
Von Lutz Heinrich
Es ist 7 Uhr morgens im Iran. Ich, 64 Jahre alt, stehe mit meinem 73-jährigen Bruder auf dem Gipfel des Damavand, wo wir auch die Nacht im Biwak verbrachten. Es ist 30 Jahre her, seitdem wir zuletzt gemeinsam einen Berg bestiegen haben. Der Damavand, rund 70 Kilometer nördlich von Teheran gelegen, ist mit 5.671 Metern der höchste Gipfel des Landes. Der heilige Berg der Perser hat uns wiedervereint. Wir schweigen, genießen den einzigartigen Augenblick und die Wärme der Sonne auf unserer Haut.
Es war Volker, der mich einst zum Bergsteigen brachte. 1975 nahm er mich das erste Mal in den Kaukasus mit – in Jeans stiegen wir auf den 5.642 m hohen Elbrus. Zehn Jahre später sind wir als erste Deutsche mit Ski von dessen Gipfel abgefahren. In unserer Heimat, der DDR, galten wir zu der Zeit als Pioniere der Skiakrobatik. Auf einem alten GERMINA-Poster sind wir beide Hand in Hand beim Salto rückwärts verewigt. Später trennten sich unsere Wege. Er war der Felskletterer, ich der Berg- und Skitourengeher. Unsere Familien, die „Wende“ und die Arbeit an unseren Karrieren als Unternehmer ließen uns noch weiter auseinanderleben.
Als junger Mann bin ich einmal 3.000 Höhenmeter an einem Tag gestiegen – mit Gepäck. Mittlerweile habe ich einen Herz-Bypass-, eine Dickdarmkrebs- und zwei Lungen-OPs hinter mir. Heute ist für mich eine behutsame Akklimatisation das oberste Gebot. Vor der Abreise in den Iran habe ich zusammen mit meiner Frau meine Fitness im Südtiroler Hochpustertal getestet. 3.800 Höhenmeter in 3 Tagen. Alles im grünen Bereich. Ich wusste: Mit einem Pensum von 500 Höhemetern pro Tag ist das Abenteuer Damavand zu schaffen.
Abenteuer mit Überraschungen
Wir landen am 12. August in Teheran. Es heißt Visa beschaffen. Wir müssen ein Hotel plus Telefonnummer angeben und bekommen für jeweils 75 Euro problemlos unsere Aufenthaltsgenehmigung. Der erste Eindruck: Eine Reise in die Vergangenheit. Ein bisschen DDR – in der ich aufwuchs – ein bisschen Kaukasus von anno dazumal. Der Iran ist ein isoliertes Land – offiziell gibt es hier weder Alkohol noch Drogen. Alles scheint in bester Ordnung. Doch unter der Oberfläche rumort es. Ein großer Teil der Bevölkerung möchte Zugang zur restlichen Welt, und zwar nicht nur durch das vom Staat immer wieder blockierte Internet.
Ali Akbar, unser erster iranischer Taxifahrer, bringt uns mit seinem Peugeot ins 120 Kilometer entfernte Skigebiet Dizin. Die Fahrt dauert dreieinhalb Stunden. Wir treffen unentwegt auf freundliche Menschen, die uns mit „Welcome in Iran“ begrüßen und fragen, woher wir kommen. Schnell haben wir drei neue iranische Freunde, die uns am Abend zu sich nach Hause einladen und bewirten. Dizin ist das größte, noch vom Schah geschaffene Skigebiet des Iran – hier möchten wir uns die ersten fünf Tage akklimatisieren. Nicht nur die 40 Jahre alte Poma-Seilbahn schreit nach Modernisierung, hat aber andererseits auch ihren Charme.
Wir besteigen in den kommenden Tagen einige Gipfel. Auf dem 3.719 m hohen Seechal soll unsere Gipfelbiwak-Generalprobe über die Bühne gehen. Wir spannen unsere Plane auf und genießen die Aussicht. Die ganze Zeit über sehen wir den Damavand in der Sonne glänzen. Es ist ein majestätischer, alleinstehender Vulkan. Seine schwefelhaltigen Dampfaustritte sind weit im Land sichtbar. Alle meine Traumberge sind Vulkane. Es ist die Form, die mich fasziniert – das Gleichmäßige, das nach oben strebt. Ich bewerte den Gipfel nicht nach der Höhe, auch nicht nach dem Schwierigkeitsgrad seiner Felswände. Was mich anzieht ist die Schönheit des Berges. Und darin ist der Damavand sicherlich vollkommen.
Volker liegt schon zum Schlafen in seinem Sack als gegen 21 Uhr ein Auto auf den Gipfel kommt. Es sind Reso, Rahim und Puria, unsere drei jungen iranischen Freunde. Sie wollen mit uns am Gipfel übernachten. Schnell wird ein Feuer für den ersten Tee gemacht, später legen wir Kartoffeln ins Feuer, grillen iranische Bockwurst und Fladenbrot. Bis nach Mitternacht genießen wir die einmalige Stimmung bei Windstille und fast Vollmond.
Am achten Tag wird es ernst: Wir nehmen ein Taxi zur Polour Hut, kaufen die Permits für die Besteigung und fahren weiter zum Camp 2, Gosfand Sara auf 3.040 m. Massoud und Hossein organisieren den Transport unseres Gepäcks mit ihren Mulis, Volker und ich steigen weiter zum Camp 3, Bargah Sevom, 4.250 m. Hier trifft mich fast der Schlag – Zelte soweit das Auge reicht. Mina Gorbani, eine junge Bergführerin, die uns am Abend kostenlos mit Spaghetti und Salat versorgt, spricht von circa 700 Zelten, die am Morgen noch hier oben standen, unglaublich! Am nächsten Vormittag steigen wir gemütlich bis auf 4.800 m. Trotz der Höhe fühlen wir uns bestens und fit für das Gipfel-Biwak!
Die Erfüllung eines Traums
Die ersten starten um vier Uhr morgens zum Gipfel. Wir stehen um sechs auf, frühstücken und machen uns um halb acht auf den Weg. Schließlich wollen wir im Gegensatz zu den anderen heute nur hoch, keinesfalls zurück. Ich habe sieben Stunden für den Aufstieg eingeplant. Unterwegs treffen wir auf jede Menge Gipfelstürmer. Jeder bietet uns irgendetwas an – Riegel, Kekse, Bonbons, zu Trinken – und alle möchten sich mit uns fotografieren lassen. Dadurch machen wir viele Pausen, was uns gut tut. Dennoch: Vom Rucksack spüre ich inzwischen jedes Gramm. Immer mehr entwickelt sich der Aufstieg zu einem Kampf, meines Willen gegen meinen Körper. Doch Schritt für Schritt nähern wir uns unserem Ziel an.
Um halb vier stehen wir an der höchsten Stelle des kleinen Kraterrandes – die lange Akklimatisation, insgesamt 9 Tage, hat sich bezahlt gemacht. Wir treffen auf eine iranische Gruppe und selbst hier oben diskutieren wir über Hitler, den Teufel auf Erden und über die Toleranz zwischen den Religionen. Wir sind uns einig: es gibt nur einen Gott und der ist für alle da!
Tief unten bedeckt der graue Teppich des Wolkenmeers wie eine schwebende Scheibe im All alles Irdische. Wir sind am Ende des Weges, an der Grenze, hinter der es nicht weitergeht. Jetzt kann ich, die Füße auf der Erde, dem Himmel nicht näher kommen.
Wie gut, dass wir am Gipfel biwakieren – so können wir das Glücksgefühl, diese seltenen Augenblicke im Leben, verlängern und auskosten. Wir genießen – jeder für sich – die Dämmerung, die Sterne – sitzen mittendrin, im Himmel! Die Nacht ist kalt, minus 15 Grad. Für Volker die kälteste, die er jemals erlebt hat. Kälter noch als jene 1989 am Pik Lenin in Tadschikistan, als er in über 6.000 m Höhe in einer selbstgebuddelten Schneehöhle übernachtete. Gut, dass ich dieses Mal an seiner Seite bin.
Ich stehe um fünf Uhr morgens auf, froh, die Nacht gut überstanden zu haben. Volker schläft noch – alleine erwarte ich in der Morgendämmerung die aufgehende Sonne. Sie bringt Wärme, Kraft, Leben. Zwei Stunden später kommt mein Bruder. Er umarmt mich: “Danke Brüderchen, dass ich das erleben darf“, sagt er.
Nach achtzehn Stunden auf dem Gipfel beginnen wir gut gelaunt unseren Abstieg. Kein Schneesturm, kein Gewitter – stattdessen Windstille und klarer Himmel. Wir danken dem Damavand für dieses einmalige Geschenk. Dass er uns – zwei Brüder, die sich aus dem Blick verloren haben – auf seinem Haupt geduldet hat.
Infos und Adressen: Damavand, Iran
- Anbieter: Preiswerte Individualreisen über Hami Tour&Travel Operators.
- Flug: Mit Lufthansa nach Teheran um circa 630 €.
- Teuerste Taxifahrt: Flugplatz Teheran – Dizin (120 km), 60 €.
- Anschluss- und Entspannungsprogramm: Thermalquellen in Rineh, ein Ort am Fuß des Damavand.
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