Am Rande der Zeit: Mountainbiken in den Canyonlands
Foto: mauritius images/ Christian Heinrich
von Martin Foszczynski
Der Shafer Trail bei Moab (Utah) ist eine der spektakulärsten Straßen der Welt – wie gemacht für einen Ritt mit dem Mountainbike! Wer unten am Colorado River heil ankommt, muss nur noch zurückstrampeln, ohne vorher zu verdursten. Unser Redakteur Martin Foszczynski hat es mit seinen Kumpeln ausprobiert. Ein Trip an den Rand der Zivilisation.
„Dig in, guys!“ Die kecke Diner-Kellnerin stellt das Abendessen vor mir ab – es hat mehrere Stockwerke, drängt die Pommes an den äußersten Tellerrand und hört auf den schönen Namen „XL-Cowboy-BBQ-Burger“.
Das passt irgendwie zu diesem Ort, hier übersteigt alles ein wenig gewohnte Größenordnungen. Draußen auf der Main Street donnern schon den ganzen Tag lang Benzin-Monster durch: Super-Trucks mit chromglänzenden Tanks, höhergelegte Pick-Ups, Stoßstangen-breite Harleys. Der Rest des Straßenverkehrs nimmt sich da winzig aus: Es sind Mountainbiker, für die der US-Bundesstaat Utah – und das Städtchen Moab im Speziellen – weltweit als Mekka gilt. Überhaupt: „Moab“ – was für ein Name! Das hat irgendwie etwas Biblisches an sich. So ähnlich wie „Noah“, nur dass dieser der großen Flut die Stirn bieten musste, während uns hier mit den Canyonlands das Gegenteil, nämlich eine der spektakulärsten Trockenlandschaften der Welt im Nacken sitzt. Morgen wollen wir – drei Kumpel auf Westküsten-Trip – ein gutes Stück in sie vordringen.
50 Liter Wasser und ein Automaten-Sandwich
An Bike Rentals mangelt es in Moab nicht. Die Jungs von Chile Bikes an der Main Street haben unser reserviertes Gerät schon vorbereitet. Praktischer Weise residiert mit der Moab Brewery der größte Imbisstempel der Stadt gleich nebenan – doch wir entscheiden uns für den Supermarkt. Es gilt Wasser zu kaufen, viel Wasser. In den Canyonlands besteht keine Möglichkeit, Lebensmittel zu erwerben. Der Proviant, mit dem man über die Grenze des Nationalparks rollt, muss für die gesamte Zeit in der Wildnis ausreichen. Wir hieven einen 5-Liter-Kanister nach dem anderen in unseren Einkaufswagen, bis dieser aussieht wie die Hilfslieferung in ein entlegenes Saharagebiet. Spaghetti und ein paar Dosen Sugo passen noch in die Spalten dazwischen, zum Lunch ziehen wir uns Sandwichs aus dem Snackautomaten, schließlich wollen wir keine Zeit verlieren. Die Trails rufen.
Schon die Anfahrt zum Nationalpark gibt uns einen Vorgeschmack auf die Abgeschiedenheit und Weite der Landschaft. Nicht umsonst heißt die Road 313, die im rechten Winkel von der vielbefahrenen US 191 abzweigt und sich gleich in engen Serpentinen zwischen gelbroten Felstürmen zum Parkeingang hochschraubt: Grand View Point Road.
Und dann, mitten im Rausch der Sinne, macht es plötzlich rums und alles steht still. Es war nicht etwa die grandiose Landschaft, die mich für einen kurzen Augenblick abgelenkt hat, sondern ein umkippendes Köfferchen am Rücksitz. Noch nicht mal meines – es gehört Ingo, in dessen abrupt in der Einfahrt zum Willow Flat-Campingplatz abgebremsten Jeep ich soeben hineingekracht bin. Während den Kotflügel des SUVs ein Kratzer ziert, biegt sich die Motorhaube meines Subarus auf wie der Deckel einer Sardinendose.
„Sieht nicht gut aus“, diagnostiziert Günther die Lage und drückt das ramponierte Teil unter Einsatz seines Allerwertesten wieder hinunter. Immerhin: die Karre springt noch an. Wir gehen Biken.
Eine Klapperschlange im Staub
Der Shafer Trail liegt nur wenigen Fahrminuten in Richtung Norden entfernt. Wir schrauben unsere Bikes zusammen, schnallen uns Trinkflaschen um und entledigen uns weitgehend unserer Kleidung. Die Nachmittags-Sonne knallt drückend auf unsere Köpfe und erinnert uns, dass wir hier in wüstenartiges Klima vorgedrungen sind.
Erst nach ein paar hundert Metern auf der Shafer Canyon Road kommt der eigentliche Trail unterhalb einer gewaltigen Abrisskante zum Vorschein. Wir müssen erst mal schlucken. Das ist kein Trail, das ist ein gottverdammtes Monster! Wie eine Klapperschlange windet sich der unbefestigte Pfad um die fast senkrecht abfallenden Plateaus eines spektakulären Canyon-Kessels. Immer wieder hängen tonnenschwere Felsbrocken bedrohlich weit über die Ränder. Irgendwann verliert sich die verschlungene Spur im Abgrund – und taucht erst weit draußen in der Ebene als dünner Faden wieder auf.
Ob das gut geht? Es wird sich weisen! GoPro an und wir legen los. Die ersten Meter sind ein Balanceakt auf rohen Eiern – immer wieder rollen wir über sandige Passagen, die das Vorderrad sofort fressen und seitwärts wegziehen. Da heißt es cool bleiben und sich nicht vom gewaltigen Panorama ablenken lassen. Dann wieder rumpeln wir über verfestigtes Geröll.
Nach drei, vier Kehren stellt sich das Gefühl ein, dass man die meisten Mätzchen des Wüsten-Trails kennt – wir lockern die Bremsgriffe wie die Zügel eines Pferds, das ungestüm losgaloppieren, uns dabei aber im Idealfall nicht abwerfen soll. Jetzt setzt der Rausch der Geschwindigkeit ein – wir nehmen Kurve um Kurve schneller, überholen Geländewagen. Das Band entflechtet sich langsam, die Kehren werden weiter, das letzte Stück gilt es nur noch gerade auszurollen. In Hochstimmung, versteht sich, schließlich haben wir soeben den Shafer Trail bewältigt. Dass wir das Biest später wieder hinauftreten müssen, blenden wir vorerst lieber mal aus.
Video: Downhill über den Shafer Trail
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Erst Rausch, dann Ruhe
Der nächste überwältigende Anblick folgt schon nach einem knappen Kilometer. Vor uns wälzt sich der sumpfgrüne Colorado River in mächtigen Schleifen durch die Felsplateaus. Eigentlich sieht es aus, als würde er stehen – auch sonst rührt sich kaum etwas in dieser hermetischen Stille fernab der Zivilisation. Ich wähne mich an einem Ort, der aus der Zeit gefallen ist, oder seiner eigenen, unendlich langsamen Zeitrechnung folgt – abzulesen nur an den Flanken, die der Fluss in Millionen von Jahren in den Fels gefressen hat.
Wir fahren noch ein Stück den White Rim Trail entlang. Dieser unbefestigte Felspfad führt einmal um die Sandstein-Abrisskante des gesamten Canyons – insgesamt rund 160 km lang durch menschenleere Wildnis. Günther und Ingo wollen sich morgen dieser Herausforderung stellen – für heute machen wir uns auf den Rückweg. Was bergab so locker von der Hand ging, zieht sich jetzt ganz schön in die Länge. Jede Steigung fährt bei der Hitze bleiern in die Beine – und dass schon lange bevor die erste Spitz-Kehre bewältigt ist. Beim Auto kommen wir mit leeren Wasserflaschen und heraushängenden Zungen an – ein unerwartetes Formtief, das wir sicherheitshalber mal auf das Wüsten-Klima schieben.
Überall Raum
Vor dem verdienten Spaghetti-Dinner aus dem Campingkocher – und rechtzeitig zum Sonnenuntergang – machen wir noch einen Abstecher zum Grand View Point Overlook. Es ist der südlichste Aussichtspunkt der Island in the Sky – einem von drei Teilen des Canyonlands Nationalparks. Wir blicken über die kolossale White-Rim-Kante hinweg über die Weiten – das einstige Land der Pueblo-Indianer. Irgendwo dort draußen, im Blue John Canyon, war der zu Kinofilm-Ehren gekommene Aron Ralston 127 Stunden unter einem Felsbrocken eingeklemmt, bevor er sich durch die Selbstamputation seines Unterarms selbst das Leben rettete.
Es ist eine überwältigende Einsamkeit und Ruhe, die man hier oben verspürt. Auge und Gehirn sind es nicht gewohnt soweit zu sehen. Da und dort segelt ein Raubvogel über die Abgründe hinweg, unten mahlt der Green River die Ewigkeit. An den Rändern fressen Canyon-Schluchten bizarre, fingerartige Schablonen ins Land – sie ähneln Formen, wie man sie von Fels-Zeichnungen der Maya oder mysteriösen Spuren in Kornfeldern kennt. Oder auch Stellen, an denen gigantische Puzzlestücke fehlen. Es ist ein wenig, als stünde man am Rand der Welt – dort wo jemand, der sie schuf, noch nicht alle Teile eingefügt hat, oder sie wieder einsammelt.
Sandwich und Schicksal
In der Nacht ist Schluss mit Schwärmereien – die Banalität des Augenblicks reißt mich aus dem Schlaf. Nämlich in Form von Günthers Würgen. Gleich mehrmals kriecht er aus dem Zelt um im Schein seiner Stirnlampe in die Trockentoiletten zu kotzen.
Es muss das Supermarkt-Sandwich vom Vortag gewesen sein, kommen wir beim Frühstückskaffee am Morgen zum Schluss. An die große White-Rim-Tour ist zumindest heute nicht zu denken – beim Anblick der schon aufgereihten Wasserkanister können wir uns das Lachen nicht verkneifen.
Die Jungs werden das Vorhaben morgen nachholen, vielleicht sogar den Blue John Canyon auf den Spuren von Aron Ralston durchklettern. Ich werde es in einigen Tagen erfahren. Fürs erste müssen sich unsere Wege aber trennen – mein Urlaub geht zu Ende und es gilt die Heimreise anzutreten.
Ich gebe mein Rad schweren Herzens beim Bike-Rental in Moab ab. Vor mir liegen 900 Meilen bis nach Vegas. Durch menschenleere Wüstenreservate und über die Route 66. In einem gecrashten roten Subaru mit aufgebogener Motorhaube. „Easy Rider“ war ein Kindergeburtstag dagegen, überlege ich. Da ist ein mulmiges Gefühl im Bauch, als ich den Zündschlüssel umdrehe, doch in meinem Gesicht bahnt sich ein Lächeln seinen Weg.
Infos und Adressen: Canyonlands NP, Utah (USA)
Anreise: Von Las Vegas aus mit dem Auto in circa 6,5 Stunden nach Moab (nördlich auf der Interstate 70 über Crescent Junction).
Bike-Rentals in Moab: Chile Pepper Bike Shop
Canyonlands Nationalpark: Die durch den Colorado und Green River geprägten Canyonlands wurden 1964 zum Nationalpark erklärt und sind in 3 Teile unterteilt:
Island in the Skye
The Needles
The Maze
Die Island in the Sky- und die Needles-Sektion sind von Moab aus über die US 191 erreichbar. Die Maze ist die abgelegenste der drei Regionen und ist nur von Westen her über die Staatsstraßen 24 oder 95 und über unbefestigte Straßen erreichbar. Zwischen den einzelnen Sektionen gibt es innerhalb des Parkes keine Straßenverbindungen.
Campgrounds: Auf den Campingplätzen des Nationalparks gibt es kein Wasser und keine Restaurants! Der Campingplatz Willow Flat liegt nur wenige Fahrminuten vom Shafer Trail entfernt. Hier gibt es mehr Infos
White Rim Trail: Der beliebte 160 km lange White Rim Trail entlang des White Rim ist ein unbefestigter Felspfad und kann nach Genehmigung der Parkverwaltung mit Geländewagen oder Mountainbikes befahren werden. Die Anzahl der ausgestellten Permits pro Tag ist limitiert, auf der Strecke ist man meist völlig allein.
Lohnende Ziele in der Umgebung:
Arches Nationalpark (5 km von Moab entfernt)
Horseshoe Bend (Arizona, 4,5 h)
Las Vegas (6,5 h)
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