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Simon Messner: Vom Zauber der kleinen Dinge

Menschen

2 Min.

26.06.2022

Foto: Robert Neumeyer

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In der Bergwelten-Kolumne erzählt Simon Messner von seinem Leben als Alpinist. Diesmal: Was wir von den Bewohnern der großen Gebirge der Welt lernen können.

Seit meiner frühen Kindheit kenne ich die Menschen in Nepal, Indien, in der Mongolei oder im Norden von Pakistan, die hoch oben im Gebirge leben. Ihre braungebrannten und von tiefen Falten durchzogenen Hände und Gesichter sind für mich Ausdruck und Sinnbild für ein unvorstellbar hartes Leben. Und doch wirken gerade diese Menschen – so bescheiden und abgelegen sie aus unserer Sicht auch leben mögen – auf eine natürliche Art und Weise zufrieden. Vielleicht bilde ich mir das nur ein, aber nur selten glaube ich, Menschen so häufig und beherzt lachen gesehen zu haben wie an einigen jener so unglaublich abgelegenen Orten hoch oben in den Bergen.

Dabei besitzen die allermeisten von ihnen nicht viel, um nicht zu sagen: quasi nichts. Ihr größtes und zumeist einziges Vermögen sind ihre Tiere, mit denen sie wie zu einer Einheit verschmelzen: Yaks, Schafe, Ziegen, Pferde oder Lamas, dazu eine Steinhütte oder Jurte für die Großfamilie. Seit einigen Jahren gehört zwar auch ein kleiner Fernseher zur Grundausstattung einer jeden Jurte und irgendjemand, den man kennt, besitzt ein Handy. Aber mehr an Besitz und Moderne kennen diese Menschen zumeist noch nicht. Ich hatte nur selten das Gefühl, als würden sie etwas Essentielles vermissen. Mehr noch: Obwohl sie augenscheinlich ein um so viel härteres Leben führen, scheinen diese Leute die Lasten des Lebens leichter zu tragen als wir Europäer. Dieser Widerspruch hat mich damals schon nachdenklich gemacht und beschäftigt mich noch immer.

Mittlerweile bin ich zur Überzeugung gelangt, dass besitzen bzw. noch mehr besitzen nicht zwingend glücklicher macht. Viel eher ist es eine irreführende Annahme: denn wer von uns hat schon jemals genug? Dazu wird Wohlstand – so viele Vorzüge er auch mit sich bringt – schleichend zur Gewohnheit. Das sagt sich natürlich leicht, wenn man im wohlhabenden Westen aufgewachsen ist. Aber das, was wir gewohnt sind, verliert schnell an Wert, weil wir es schlicht nicht mehr sehen. Wer hingegen mit weniger auszukommen hat, der kann sich zumeist über jede noch so kleine Geste freuen.

Wir im Westen leben in einer Gesellschaft, die sich mit rasender Geschwindigkeit weiterentwickelt. Wohin? Das wissen wir nicht. Aber wir alle merken, dass unsere Welt mittlerweile so schnelllebig geworden ist, dass man sich nur mit Mühe darin zurechtfinden kann (jedenfalls geht es mir zuweilen so). Dabei täte uns genau das Gegenteil gut: ein reduziertes und entschleunigtes Leben. Vermutlich würden wir uns dann wieder mehr an den kleineren Dingen des Lebens erfreuen und nicht mehr verbissen den vermeintlich großen hinterherlaufen. Wir würden die Dinge um uns herum wieder mehr zu schätzen wissen – weil wir verstanden hätten, dass nichts auf dieser Welt selbstverständlich ist.

Mir ist durchaus bewusst, dass wir nicht alle plötzlich ins Gebirge ziehen können und das auch nicht sollten, um dort unser „Glück zu finden“. Das würde aus ökonomischen sowie aus ökologischen Gründen schlicht und einfach nicht funktionieren, denn mittlerweile sind wir einfach zu viele geworden. Und trotzdem können wir folgendes von den Menschen in den Bergen lernen: Zufriedenheit will erarbeitet werden, denn erkaufen können wir sie uns nicht.


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