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Simon Messner: Gewitter in der Nordwand

Menschen

3 Min.

23.02.2022

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In der Bergwelten-Kolumne erzählt Simon Messner von seinem Leben als Alpinist. Diesmal: Das Risiko als Damoklesschwert und Lehrmeister. Wie ihn eine prekäre Situation am Matterhorn als Alpinist hat wachsen lassen.

Das Matterhorn ist der Inbegriff eines Berges. Jeder Alpinist, der etwas auf sich hält, will diesen Monolithen aus Stein wenigstens einmal im Leben „gemacht haben“ – das war bei mir als Novize nicht anders. Der Weg durch die Nordwand sollte es werden: 1931 von den Brüdern Franz und Toni Schmid erstbegangen, war sie die erste Route durch eine der großen Alpen-Nordwände.

Anfang Juni 2015 fuhr ich mit Bernhard Bliemsrieder spontan in die Schweiz. Ich studierte damals noch in Innsbruck und hatte übers Wochenende Zeit, dazu schien das Wetter gut zu sein. Natürlich wussten wir, dass ein warmer Monat nicht die ideale Zeit für eine Nordwand sein würde, aber wir wollten es versuchen. Notfalls, so sagten wir uns, könnten wir ja immer noch umdrehen.


Ein Biwak vor der Hütte

Da die Hörnlihütte wegen Sanierungsarbeiten geschlossen war, entschieden wir uns für ein gar nicht so unbequemes Biwak im Hütteneingang: Eine ausrangierte Matratze, welche vor der Hütte auf ihren Abtransport wartete, diente uns als Windschutz. Um drei Uhr morgens läutete ohnehin der Wecker, um vier Uhr gingen wir los. Ein Stück weit noch im Kegel unserer Stirnlampen, später im Dämmerlicht, näherten wir uns der imposanten Nordwand. Wir waren alleine, somit bestand wenig Gefahr von Steinschlag durch andere Seilschaften. Allerdings war es bereits früh am Morgen schon warm, später am Tag würden die Temperaturen wohl grenzwertig sein – doch noch schien es uns vertretbar.

Im oberen Wanddrittel schreckte uns ein monströser Felsbrocken auf, der sich vom Gipfelbereich gelöst hatte und nun die Wand hinunterpolterte. Keine fünfzig Meter zu unserer Linken schlug er mit einem ohrenbetäubenden Krachen auf. Danach wurde es wieder ruhig und so stiegen wir ohne größere Hindernisse, nach etwa zehn Stunden Kletterzeit, am Zmutt-Grat aus. Mittlerweile war es früher Nachmittag, wir lagen also gut in der Zeit und fühlten uns beflügelt. Immerhin hatten wir die Matterhorn-Nordwand bezwungen!


Das surrende Gipfelkreuz

Doch was war das? Als hätte jemand einen Schalter umgelegt, begann es plötzlich zu graupeln, dann zu hageln. Eben waren wir noch gut gelaunt am Grat ausgestiegen und zuversichtlich, alles richtig gemacht zu haben, und nun hüllte uns dichter, schwarzer Nebel ein. Dazu hörten wir ein befremdliches Surren. Erst als wir näherkamen, verstanden wir: Es war das Gipfelkreuz. Damit wurde uns schlagartig bewusst, was unsere in alle Himmelsrichtungen abstehenden Haare zu bedeuten hatten: Gewitter! Alle Müdigkeit war verflogen. Jeder Blitz ließ uns reflexartig zusammenzucken, mit jedem Donnerschlag fürchteten wir das Unaussprechliche. Um uns herum herrschte Chaos.

Was jetzt? Einige Augenblicke waren wir ratlos, dann kreuzten sich unsere Blicke und schließlich begannen wir eilig das metallene Material von unseren Gurten zu pflücken und dieses in eine Felsspalte zu stopfen. Eisgeräte und Steigeisen legten wir dazu, bevor wir uns verzweifelt unter einen Felsblock kauerten. Während sich über unseren Dreilagenjacken bläulich schimmernde Flammen schlängelten, verpasste uns die Luft unangenehme Stromschläge. Von Zeit zu Zeit wechselten wir unsere Positionen, da derjenige, der höher saß, auch mehr Spannung abbekam.


Gefangen am Berg

Was, wenn ein Blitz einschlüge? Würde er uns aus der Wand schleudern? Angespannt und vor Kälte zitternd blieb uns nichts anderes übrig als abzuwarten, hilflos den Kräften der Natur ausgesetzt.

Erst als es dunkel wurde, zwang uns die Kälte aus unserem Versteck. Der Gedanke an ein Biwak auf knapp 4.500 Metern – noch dazu mitten in einem Gewitter – drängte uns nach unten. Hinunter, nur hinunter! Viele weitere Stunden vergingen und noch immer erhellten Blitze den Himmel über uns, bis wir schließlich nach Mitternacht den Wandfuß erreichten. Schweigend und wie in Trance wankten wir zu unserem Materialdepot, legten uns in die Schlafsäcke und wachten nicht einmal auf, als es irgendwann in der Nacht zu schneien begann.

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Das Risiko als Lehrmeister

So hart diese Erfahrung am Matterhorn auch war, sie brachte Lehrreiches mit sich: Heute drehe ich gerne frühzeitig um, sobald erste Anzeichen eines möglichen Gewitters auftauchen. Es gibt eben Dinge, die möchte man nur einmal im Leben erfahren müssen – und da gehört ein Gewitter im Gebirge definitiv dazu. Und doch bin ich über jedes einprägsame Erlebnis froh, sofern ich dieses ohne Schaden überstehe. Denn wer weiß, ob ich ohne dieses einschneidende Erlebnis heute genauso vorsichtig wäre? Denn die Summe aller Erfahrungen – der schönen wie der beängstigenden – macht uns zu dem, wer wir sind.


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