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Zu Besuch bei der Lawinenhundeausbildung

Aktuelles

5 Min.

22.11.2021

Foto: Enno Kapitza

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Wenn ein guter Riecher Pflicht ist: zu Besuch bei einer Lawinenhundeausbildung in Tirol.

Titus Arnu für das Bergwelten-Magazin Februar/März 2017

Aron ist ein cooler Hund. Er trägt eine Sonnenbrille, die mit einem Band hinter seinen Schlappohren befestigt ist und ein blaues Trikot, auf dem in gelber Schrift seine offizielle Berufsbezeichnung steht: „Aron – Diensthundestaffel Tirol – Rettungshund“.

Rund um Aron geht es hektisch zu: Sein Herrchen Simon Mayer rast gerade mit dem Motorschlitten durch den Tiefschnee, dass es nur so staubt. Stephan Pixner, Leiter der Diensthundestaffel der Bergwacht Tirol, spricht Anweisungen in sein Funkgerät.

Die restlichen Teilnehmer des Ausbildungskurses für Lawinenhunde präparieren mit Schuhen und Schaufeln einen Rundkurs, auf dem die Hunde gleich die erste Gehorsamsübung absolvieren sollen: Spurgehen. Doch Linda scheint im Moment noch etwas neben der Spur zu sein.

Die schokoladebraune Labradorhündin scharrt im Schnee und schaut ihrem Frauchen Uli Stanger hinterher, die mit Tourenski durchs Gelände stapft. Linda schnaubt Wölkchen in die kalte Luft, sie wirkt etwas angespannt. Die fünfjährige Hündin liebt Wintersport, Wedeln gehört schließlich zu ihren Kernkompetenzen.

Aber am Ende dieser Übungswoche in der Wattener Lizum, einem Hochtal bei Innsbruck, soll Linda ihre erste Internationale Lawinenrettungshundeprüfung ablegen. Körperlich ist Linda bestens geeignet für den Job als Lawinenhund: Sie ist ein kräftiges, kerngesundes Tier, dem die Kälte und das Warten im Schnee nichts ausmachen.

Doch die Kitzbühelerin Uli Stanger, Bergretterin in Ausbildung, ist sich nicht ganz sicher, ob ihre Linda den Stress mental durchsteht. Zumal die Hunde-Übungswoche der Bergwacht auf einem Truppenübungsplatz stattfindet.

Immer wieder krachen Schüsse durch die Luft, das Echo hallt lange nach. „Ein Rettungshund muss schussfest sein“, sagt Stephan Pixner, „er braucht einen starken Charakter und darf sich nicht ablenken lassen.“

Die Tiere sollen bei Schüssen, Lawinensprengungen und Hubschrauberstarts gelassen bleiben, sonst sind sie nicht geeignet für die Aufgabe. Uli Stanger hat extra zu Hause mit Linda geübt und ab und zu eine Schreckschusspistole abgefeuert, damit sich das Tier an Schüsse gewöhnt.

Die größere Herausforderung kommt aber noch: Am nächsten Tag soll Linda zum ersten Mal in einen Hubschrauber einsteigen.

Neben Uli Stanger und ihrer Linda sind bei der Übungswoche dabei: Simone Fuchs mit ihrem Pudel Willi, Dieter  Peuckert mit Schäferhund Kira, Simon Mayer mit Border Collie Aron, Günther Dullnig mit Chiara, einem Weißen Schweizer Schäferhund, und Guido Leitner mit dem Berner Sennenhund Wave.

Ausbildungsleiter Peter Kozjak hat seine Dara mitgebracht – und Staffelleiter Stephan Pixner mit Diensthund Sir  Aron, der mit Vorliebe am Motorschlitten mitfährt. Untertags wird im Gelände geübt, abends in der Hütte das theoretische Wissen aufgewärmt.

Hunde dürfen zwar in die Lizumer Hütte, aber die Lawinenhunde bleiben lieber draußen: Das Haus wird bewacht von Cäsar, einer massigen Bordeauxdogge. Allerdings ist er so beleibt, dass er kaum drei Schritte gehen kann, ohne zu schnaufen.


Nasenarbeit in geruchlosem Schnee

Cäsar wäre kein idealer Rettungshund, er würde mit seinen 80 Kilogramm wahrscheinlich sofort im Tiefschnee versinken und müsste selbst gerettet werden. Angehende Lawinenhunde sollten als Voraussetzung für den Kurs mitbringen: Fitness, Gehorsam und eine gewisse geistige und soziale Grundkompetenz.

„Der Hund muss mit anderen Hunden und fremden Menschen umgehen können“, sagt Stephan Pixner. Damit die Tiere in die Diensthundestaffel aufgenommen werden können, müssen selbstverständlich auch die Hundeführer eine gute alpine Ausbildung haben.

Grundvoraussetzung ist die Mitgliedschaft bei der Tiroler Bergwacht. 16 Hundeführer sind in Tirol mit ihren Tieren im Einsatz, sie suchen im Sommer vermisste Wanderer, im Winter werden sie bei Lawinenunglücken gerufen. Im Schnee nehmen die Hunde den Geruch von verschütteten Menschen intensiv wahr, bei entsprechendem Training können sie die Retter innerhalb weniger Minuten zu den Opfern führen.

Nach 15 Minuten unter einer Lawine sinkt die Wahrscheinlichkeit, zu überleben, gegen null. Ein extrem knappes Zeitfenster, denn die Einsatzkräfte müssen erst alarmiert werden, die Hunde und die Hundeführer müssen abgeholt und mit dem Helikopter zum Einsatzort geflogen werden – und dann geht die Suche erst los.

Umso wichtiger ist es, dass alles ganz schnell geht und die Abläufe gut eintrainiert sind – das Wichtigste dabei ist die „Nasenarbeit“. Linda absolviert zu diesem Zweck eine Lawinenübung, die in ähnlicher Form in der Prüfung verlangt wird. Für den Hund, der sonst von hunderten verschiedenen Gerüchen abgelenkt wird, ist das verschneite Gelände ideal zum Suchen, denn Schnee ist eine geruchlose Masse.

Im Schnee lernt das Tier schnell, eine Spur zu finden, zu verfolgen und der Nase nach zu graben. Hinter einem Hügel haben die Übungsleiter eine Schneehöhle gegraben, ein Kursteilnehmer hat sich als „Opfer“ in dem Loch verkrochen. „Und los! Such!“, ruft Uli Stanger, lässt Linda von der Leine und verkneift sich, ihr die Richtung mit der Hand zu zeigen.


Das rote Ungeheuer

Doch die Labradorhündin weiß sowieso, wo es langgeht, galoppiert auf den Schneehügel zu, fängt sofort an, wie wild zu graben, und ist keine zwei Minuten später am Ziel. „Sie ist ein typischer Labrador, immer freundlich, immer hungrig“, sagt Uli Stanger, „deshalb freut sie sich total, wenn sie zu jemandem in ein Schneeloch hüpfen kann und dafür auch noch Anerkennung bekommt.“

Als Belohnung gibt’s Streicheleinheiten, Leckerli, viel Lob und eine kurze Toberei mit einem Beißspielzeug. Die anderen Hunde sitzen währenddessen in windgeschützten Kuhlen auf Decken. Es ist wichtig, bei Schneetouren mit Hunden auf den Wärmehaushalt der Tiere zu achten, auch Hunde können schnell auskühlen. Um ihnen den Spaß nicht zu verderben, sollte man sie auch nicht überfordern.

Deshalb dauert der Kurs vier Tage. Und Linda ist mit großem Eifer dabei. „Für meinen Hund ist das Suchen und Stöbern die ideale Aufgabe – nicht so gekünstelt wie Dogdancing“, sagt Uli Stanger. Gerade hat sich Linda von der aufregenden Suchübung erholt und liegt dösend auf ihrer Decke, da nähert sich von oben ein rotes Ungeheuer mit dröhnendem Motor und surrenden Rotorblättern: Der Hubschrauber kommt, eine Bell 212 mit Platz für bis zu 13 Passagiere.

Pilot Jürgen Koell landet die Maschine neben dem Hunde-Übungsplatz, der Schnee sprüht hoch, der Wind lässt Lindas braune Ohren in der kalten Luft flattern. So ein Ding hat sie noch nie aus der Nähe gesehen – und nun wollen die Menschen, dass sie sich diesem ratternden Riesen nähert?

Ihr erschrockener Blick fragt: Habt ihr einen Knall? Linda sträubt sich und will lieber weg. Während die alten Hasen Aron und Willi locker zum Helikopter tänzeln und elegant einsteigen, zieht Linda an der Leine in die entgegengesetzte Richtung. Die laufenden Rotoren und der Downwash sind ihr unheimlich.

Stephan Pixner und Uli Stanger führen die Labradorhündin zurück zu ihrem Platz und beruhigen sie, während der Hubschrauber mit drei anderen Bergwächtern und ihren Hunden abhebt. Sie üben unterwegs das Aus- und Einsteigen im Gelände, Border Collie Aron und sein Herrchen lassen sich bei einer sogenannten Außenlastübung sogar an einem langen Seil hochziehen. Linda schafft es im zweiten Anlauf dann doch noch.

Mit ruhigem Zureden und einer Geheimwaffe: Leberwurst aus der Tube. Als Linda es in die Kabine geschafft hat und der Helikopter über die verschneite Berglandschaft schwebt, umarmt Uli ihre tapfere Hündin und belohnt sie mit  einer Extra-Streicheleinheit. Am Ende der Trainingswoche besteht sie dann auch die Prüfung – sie darf sich jetzt offiziell Rettungshund nennen.