Nadine Wallner: „Ich fahre für mich, nicht für andere“
Foto: Mirja Geh / Red Bull Content Pool
von Martin Foszczynski
Nadine Wallner (30) befährt die extremsten Schneehänge des Planeten mit den Skiern und wurde im Zuge der Freeride World Tour zweimal zur besten Freeriderin der Welt gekürt. Für das Filmportrait „Tiefschnee am Arlberg“ ist die Grenzgängerin in ihre Heimat zurückgekehrt, wo sich letzten Winter ein tödliches Lawinenunglück ereignete. Mit uns sprach sie über Risiko, Freiheit und den Grund, warum sie niemals mit Alpin-Skifahrern tauschen würde.
Bergwelten: Am Arlberg, deiner Heimat und dem Drehort deines aktuellen Films, hat sich während des massiven Wintereinbruchs Mitte Jänner 2019 ein Lawinenunglück mit 3 Todesopfern ereignet. Bist du selbst jemals in eine Lawinensituation geraten?
Nadine Wallner: Ich selbst hatte zum Glück noch niemals ein Lawinenerlebnis. Wenn so etwas wie am Arlberg passiert, tut man gut daran, seine eigenen Entscheidungen im Gelände zu überdenken und seine Augen beim Freeriden noch weiter aufzumachen.
Als Freeriderin bist du aber häufig mit dem Lawinenrisiko konfrontiert?
Auch jeder Skiführer ist mit dem Risiko konfrontiert. Ich denke Erfahrung ist hier etwas ganz Entscheidendes. Je mehr Tage man im Schnee unterwegs ist, desto mehr Erfahrungswerte sammelt man. Das hilft definitiv Risiken zu minimieren.
Im Gegensatz zu den meisten Skiführern wagst du dich aber häufig ins extreme Gelände. Wie bist du für den Beruf Profi-Freeriderin gewappnet?
Ich bin auch staatlich geprüfter Skilehrer und Skiführer. Das heißt ich darf Gruppen im Gelände führen. Diese Fremdverantwortung sensibilisiert mit Sicherheit beim Abwegen von Gefahren – weil es da eben nicht nur um mich selbst geht.
Und die Freeride World Tour? Bietet sie für RiderInnen keine Zusatzqualifikationen in Bezug auf Lawinenprävention an? Es haben vielleicht nicht alle FahrerInnen eine solche Ausbildung wie du.
Lawinen sind ein großes Thema auf der Freeride World Tour und sie ist bedacht darauf, ihre RiderInnen zu schützen. Deshalb gibt es am Anfang jeder Saison diverse verpflichtende Sicherheits-Workshops und Auffrischungskurse, etwa zur Lawinenverschüttetensuche mittels LVS-Gerät.
Im Zuge der Freeride World Tour kommt es gelegentlich auch zu Lawinenabgängen. Haben die RiderInnen eigentlich Mitspracherecht was die Auswahl der Berghänge anbelangt?
Die Auswahl und Freigabe erfolgt durch ein Team, das einerseits aus Judges und andererseits aus professionellen lokalen Bergführern vor Ort besteht. Auch der Rider-Pool hat hier ein Mitspracherecht. Und letztlich entscheide ich ja trotz Sponsoren immer selbst, ob ich irgendwo runterfahre oder nicht.
Hast du jemals entschieden, einen Hang nicht zu befahren?
In Verbier in der Schweiz waren die Sichtverhältnisse mal so schlecht, dass ich entschieden habe nur „runter zu cruisen“ und mich nicht durch Sprünge zu zerstören. Bei einem so krassen Flatlight siehst du nämlich nicht, wo du landest. Ich bin dann übrigens trotzdem noch Dritte geworden (lacht).
Wie sieht das Training einer Pro-Freeriderin aus? Hast du so etwas wie einen Betreuerstab oder zumindest einen Trainer?
Ich habe einen Konditions-Trainer, aber keinen Ski-Trainer. Mein Training besteht im Skifahren mit guten Freunden. Freeriden ist ein sehr junger und auch sehr freier Sport. Anders als bei den alpinen Ski-Profis dreht sich hier nicht alles um den Wettkampf. Es geht auch darum, Projekte zu verwirklichen, gewisse Berge zu befahren oder neue Lines zu finden. Beim Freeriden geht’s ums frei sein – das kann man eigentlich nicht trainieren.
Eine Ski-Alpin-Karriere hat dich somit wohl niemals gereizt?
Als Österreicherin bin ich natürlich mit dem Alpinen Skirennlauf aufgewachsen. Doch meine Eltern sind mit mir schon sehr früh, im Alter von sechs Jahren, Skitouren gegangen und im Tiefschnee gefahren – dadurch haben sie mir einen ganz anderen Zugang zum Skifahren gezeigt. Bei den Alpinen Skirennläufern sind Wettkampfmentalität, Rankings und der damit verbundene Status tief verankert, bei uns Freeridern ist das nicht so wichtig. Wir fahren in erster Linie für uns selbst und nicht für jemanden anderen.
Du sagtest beim Freeriden geht es auch stark darum, Neues auszuprobieren. Wie steil oder extrem kann dir ein Hang sein? Und fährt da die Angst manchmal mit?
Es gibt zwei Arten von Ängsten. Eine, die dir Respekt vor einem Vorhaben einflößt und eine, die dich lähmt, weil dein Körper und dein Kopf „nein“ sagen. Natürlich ist zweitere nicht erstrebenswert (lacht). Angst, die Respekt einfordert, hingegen ist gut. Beim Freeriden sollte man alles mit etwas Demut angehen.
Aber macht die theoretische Möglichkeit, eine Naturgewalt auszulösen, zu einem gewissen Grad nicht auch den besonderen Reiz des Freeridens aus?
Das würde ich nicht sagen. Diese Naturgewalten möchte ich nicht wecken. Ich fahre nicht, um eine Lawine auszulösen, sondern versuche sie tunlichst zu verhindern. Ich fahre, weil es unheimlich viel Spaß macht. Der Reiz des Freeridens besteht in diesem Flow-Zustand, im Bewegungsrausch, im Gefühl der Schwerelosigkeit, wenn man durch den Tiefschnee gleitet. Ja, es ist wie Fliegen.
Was waren die extremsten Hänge, die du jemals befahren bist?
Das war wohl die Mount Cook-Ostflanke in Neuseeland – ein durchgehend extrem steiler Hang, der in der Einfahrt über 50 Prozent abfällt. Und natürlich der Albonakopf am Arlberg.
Stichwort Arlberg. Das ist ja deine Heimat und dort ist auch dein jüngster Film, Nadine Wallner – Tiefschnee am Arlberg (Erstausstrahlung bei ServusTV), entstanden. Wie hast du den Dreh erlebt?
Wir haben dafür zwei Winter lang gedreht. Der erste war katastrophal, da konnte man aufgrund des Altschnees kaum fahren. Vorletzten Winter herrschten dann sehr coole Bedingungen und wir haben zugeschlagen.
Was steckt alles hinter dieser Film-Produktion?
Der Dreh war sehr aufwendig, aber zum Glück hatte ich ein tolles Produktionsteam hinter mir. Einen Tag lang war die Helikopter-Crew im Einsatz. Es gab viele Nebenprotagonisten und Schauspieler für die Rückblenden in meinem Leben – etwa ein Mädchen, das mich beim Schulschwänzen spielt (lacht).
War das Skifahren auf deinem Heimatberg Routine, oder hast du ihn durch die Film-Produktion auch ein Stück weit neu „erfahren“ können?
Es war mir sehr wichtig, Lines und Sprünge zu finden, die ich hier noch nicht gefahren bin. Denn darum geht es beim Freeriden – immer neue Sachen zu entdecken. Aber es war auch schön, wieder auf dem Berg unterwegs zu sein, der für mich der Inbegriff von Heimat und Vertrautheit ist. Durch die World Tour-Wettkämpfe bin ich in den letzten Jahren viel weg gewesen.
Was macht Nadine Wallner, wenn sie mal nicht extreme Hänge hinunterfährt? Hast du ein Hobby, das gar nichts mit Skifahren zu tun hat?
Ich gehe sehr viel und zunehmend fanatisch Klettern. Im Sommer gehe ich auch gerne Berglaufen und mache professionelles Indoor-Training – also richtig Gewichte stemmen, was der Verletzungsprävention beim Skifahren dient. Für nichtsportliche Hobbies bleibt ehrlich gesagt kaum Zeit, neben dem Freeriden komme ich nicht mehr zum Briefmarkensammeln (lacht). Aber ich koche manchmal, gehe hin und wieder mit Freunden ins Kino, versuche einfach das normale Leben zu genießen. Das hält dich in der richtigen Balance.
Nadine, danke für das Gespräch und viel Erfolg mit deinem Film!
Wissen: Freeride World Tour
Die Freeride World Tour ist eine weltweite Tour, die den besten FreeriderInnen der Welt eine Bühne bietet, ihrer Leidenschaft nachzugehen. Es gibt weder Slalomtore, noch künstlich gebaute Sprünge, es werden nur naturbelassene Hänge befahren. Zwischen Start- und Zielgate bewerten die Judges (Richter) die Overall-Impression auf einer Skala von 0-100 Punkten, wobei Kontrolle, Fluss, Sprünge und Technik ausschlaggebend sind. Es wird keine Zeit gemessen. 2013 und 2014 wurde die Vorarlbergerin Nadine Wallner Freeride-Weltmeisterin. Alle Rider auf der FWT sind verpflichtet, einen Lawinen-Airbag, ein Lawinenverschüttetensuchgerät, Schaufel und Sonde sowie Rückenprotektor und Helm zu tragen.
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