Adam Ondra: „Mein größter Traum passiert gerade“
Es gibt viele Attribute, um das einstige Wunderkind Adam Ondra zu beschreiben, vermutlich trifft es aber die folgende Aussage immer noch am besten: Adam Ondra ist Kletterer – von der Zehenspitze bis in die längste Strähne seines gelockten Haupts. Mit der Erstbegehung von „Silence“ (9c) ist ihm ein weiterer Meilenstein seiner Karriere gelungen. Wie es sich anfühlt die schwierigste Route der Welt zu klettern, worin der Reiz alpiner „Big Walls“ liegt und welches sein Lieblingseis ist, verrät er im Gespräch mit Bergwelten.
Wolf Haas würde schreiben: Und jetzt ist schon wieder etwas passiert. Denn das Kletterausnahmetalent Adam Ondra hat getan was noch kein Mensch vor ihm geschafft hat. Mit „Silence“ (Fb 9c) eröffnete er die schwierigste Route der Welt und die gesamte Sportkletterszene verneigt sich vor ihrem König. Passiert am 3. September 2017 in der Hanshelleren-Höhle in Flatanger, Norwegen. Mittlerweile erschien ein Film darüber, der wie die Route selbst auf den Namen „Silence“ hört. Ein 20-minütiger Dokumentarfilm der berührend, beeindruckend und beängstigend zugleich ist. Der 24-jährige Tscheche verdreht und windet seinen 1,85 Meter langen Körper entgegen jeglicher Physiologie, um im Ausstieg wortlos ins Seil zu fallen.
Wir bekamen den sympathischen Wuschelkopf in Spanien, wo er für die Flashbegehung einer weiteren 9a+-Route trainierte, für ein Interview ans Telefon.
Das Interview führten Robert Maruna und Martin Foszczynski.
Bergwelten: Adam, zu Beginn eine simple aber vielleicht nicht ganz einfach zu beantwortende Frage: Wieso klettern?
Beliebt auf Bergwelten
Adam Ondra: Ich komme aus einer Kletterer-Familie, seitdem ich denken kann, war es das Natürlichste auf der Welt. Jeder in meinem Umfeld kletterte – meine Eltern, deren Freunde usw. Wenn ich also nicht zum Klettern begonnen hätte, wäre ich ziemlich alleine dagestanden. Erst ein paar Jahre später habe ich herausgefunden, dass es gar nicht normal ist jedes Wochenende irgendwo klettern zu gehen und dass es sogar Menschen gibt die überhaupt nicht klettern (lacht).
Das trifft wohl besonders auf Brno, die zweitgrößte Stadt Tschechiens, zu, wo du aufgewachsen bist. Die Stadt ist eher als Messestandort und für ihre Motorrad-Rennstrecke bekannt und steht nicht unbedingt im Verdacht, ein Zentrum der Kletterszene zu sein.
Ich war mit meiner Familie oft unterwegs, sei es zum Skifahren oder dass wir im Sommer Radtouren unternommen haben. Und Kletterhallen gibt es in Brno genug. Im Alter von sechs Jahren bin ich dann bei meinem ersten Kletterwettkampf angetreten und habe gemerkt, dass ich gar nicht so schlecht darin bin. Von diesem Moment an war ich „hooked“ – das Klettern hat mich total gefesselt und der Rest ist bekannt. Ich denke, selbst wenn ich nicht in eine Kletterer-Familie hineingeboren worden wäre, würde ich jetzt vermutlich klettern, weil der Wunsch zu klettern einfach so tief in meinem Körper und in meinem Geist verankert ist.
Klettern als intrinsische Motivation also. Du meintest mal, dass dein Körper gar nicht anders konnte, als Hand am Fels anzulegen. Denkst du deine anatomischen Voraussetzungen sind perfekt, um zu klettern?
Auch beliebt
Ich glaube nicht, dass es so etwas wie den perfekten Körper fürs Klettern gibt. Jeder Körperbau hat seine Vor- und Nachteile und darüber hinaus kommt es immer auf das Verhältnis zwischen der Körpergröße und dem -gewicht an. Viele Kletterer sind der Meinung, dass lange Arme einen großen Vorteil mit sich bringen – meine Arme sind im Vergleich zu meinem restlichen Körper eher kurz, trotzdem lässt es sich damit ganz gut klettern.
Lass uns über deinen Film „Silence“ reden. Er stellt in beeindruckenden Bildern und auf eine berührende Art und Weise deine bahnbrechende Leistung in der Hanshelleren-Höhle in Norwegen zur Schau. Worin liegt die Besonderheit dieser weltweit ersten 9c Route im Vergleich zu anderen bisher von dir gekletterten 9b+ Routen wie „Change“ oder „La Dura Dura“?
Die erste Crux der Route ist mit Sicherheit das schwierigste Boulderproblem, das ich je geklettert bin. Völlig verrückt – ich habe noch nie in meinem Leben so viel Zeit in die Lösung von ein paar Zügen investiert. Nur diese eine Boulderstelle für sich wäre schon unglaublich schwer und komplex. Ich habe diese Stelle sicher tausendmal probiert und jedes Mal hat es sich anders angefühlt… du musst hier einfach unglaublich genau klettern - da ist kein Platz für auch nur den kleinsten Fehler. Daher blieb diese Schlüsselstelle stets eine Unbekannte in der Gleichung. Ich habe die Bewegungen mit meinem Physiotherapeuten bis ins letzte Detail einstudiert und simuliert. In meinem Kopf wusste ich also ganz genau, was ich zu tun hatte und wie es sich anfühlen würde, trotzdem konnte ich nicht definitiv sagen ob ich es nun schaffe oder eben nicht. Genau in dieser Komplexität liegt aber der Reiz und die spezielle Herausforderung von „Silence“.
Du hast dir eine Boulderwand in Flatanger gebaut, um die Züge vor Ort zu simulieren…
Die Route ist trotz ihrer Länge von 45 Metern extrem boulderlastig. Natürlich gibt es in der Höhle genügend Routen um sich aufzuwärmen, aber die Einzelzüge sind nie so schwer wie die Züge von Crux Nr. 1 und 2. Also hatte ich irgendwann die Idee eine kleine Wand in unserem Campingbereich zu bauen, um mich ganz spezifisch vorbereiten zu können. Generell würde ich die Bedeutung von solchen Plastik-Simulationen nicht überbewerten, in diesem speziellen Fall von „Silence“ war es aber überaus hilfreich.
Im Film ist ausführlich zu sehen wie du jede Bewegung und jeden Aspekt der Route einstudiert hast, um letztlich – Bruce Lee hätte gesagt – die Route zu werden. Hast du während deines Durchstiegs eigentlich realisiert was passiert, oder war es ein klassisches „Flow“-Erlebnis?
Als ich zur ersten Crux kam war ich viel zu relaxed, auf einmal ging mir alles total leicht von der Hand, ich musste nicht einmal mehr schreien, obwohl ich genau wusste, dass mich diese Züge unglaublich viel Kraft kosten. Zuerst dachte ich: irgendwas stimmt nicht. Als ich dann zum ersten Rastpunkt kam spürte ich plötzlich wie viel Druck auf meinen Schultern lastet. Ich fühlte mich auf einmal sehr unwohl und hatte das Gefühl, dass ich jetzt eigentlich gar nicht hier sein möchte. Zum Glück konnte ich während der drei Minuten Pause meinen Kopf entleeren und mich wieder voll auf das Hier und Jetzt fokussieren. Es war nicht ganz einfach in diesem Moment den Druck von mir selbst zu nehmen und meinen Geist zu befreien.
Wie ist es eigentlich zur Namensgebung gekommen? Zuerst hast du der Route den passenden Namen „Project Hard“ gegeben, nach deinem Durchstieg hast du sie in „Silence“ umgetauft. Ein durchaus widersprüchlicher Name für einen lauten Kletterer wie dich?
(Lacht) Ja das stimmt – ich schreie gerne, falls du das meinst. Der Name ist eigentlich dadurch entstanden, dass ich in dem Moment, als ich oben angekommen und das Seil in den Umlenker geklinkt hatte, für sicher eine Minute kein Wort herausbrachte. Normalerweise, wenn ich eine Route durchsteige, schreie ich so laut ich kann und bin außer mir vor Freude. In diesem Fall war ich so voller Emotionen und anstatt sie aus mir herauszubrüllen, sind sie irgendwo auf halbem Weg in meinem Nacken stecken geblieben. Das war wohl eine der bewegendsten Erfahrungen in meinem bisherigen Leben, denn keine andere Route hat mir bis jetzt so viel bedeutet wie „Silence“.
Die Route „Silence“ verläuft quer durch das Dach der „Hanshelleren“-Höhle, die von außen betrachtet ziemlich düster und fast ein wenig bedrohlich wirkt. Wenn man dir beim Klettern zusieht, wirkst du fast wie ein in einem Käfig gefangenes Tier oder eine Fledermaus. Bereitet dir das mehrwöchige Klettern in solchen „Caves“ wirklich Vergnügen?
Naja, es gibt unterschiedliche Höhlen und diese in Flatanger ist eben etwas ganz Besonderes. Die Umgebung ist eine Sache, die Schönheit der „Linie“ und der Bewegung ist eine andere. Wegen dieser Schönheit der Bewegung bin ich immer wieder an diesen Ort zurückgekehrt – sie hat mich inspiriert. So etwas findest du nicht an vielen Orten auf der Welt.
Der Film gibt ja nicht nur Einblick in die Schönheit und Herausforderung der Route „Silence“, sondern lässt den Zuseher auch vermuten wer der Mensch hinter dem Kletterer Adam Ondra ist. Du scheinst ein von Grund auf positiver und glücklicher Mensch zu sein, aber schlummert in dir irgendwo auch ein schlecht gelaunter oder sogar missmutiger Adam?
Na klar, ich kann unglaublich frustriert sein, aber glücklicherweise hält so ein Gemütszustand bei mir bestenfalls zwei Minuten an. Ich versuche aus negativen Gefühlen zu lernen und sie nicht ewig mit mir herumzuschleppen. Das wäre sinnlos.
Deine Freundin und Sicherungspartnerin Iva Vejmolova trifft im Zuge des Films eine interessante Aussage. Sie meint, einer der Hauptgründe warum du zum vermutlich besten Sportkletterer der Welt geworden bist, liege darin, dass du dir deine Gabe zu träumen bewahrt hast. Was ist dein größter Traum, Adam?
Ich denke mein größter Traum passiert gerade - besser könnte es nicht sein! Ich bin sehr dankbar dafür, dass ich von und für das Klettern leben darf. Ehrlich gesagt wüsste ich nicht wer ich wäre, wenn es Klettern nicht gäbe.
Wie wichtig ist es für dich im Rampenlicht zu stehen?
Um ehrlich zu sein: Das ist der Part meines Jobs, der mir am wenigsten Freude bereitet. Früher, als 12-, oder 15-Jähriger war es richtig schwierig für mich vor Publikum zu sprechen, mittlerweile habe ich mich an diese Rolle gewöhnt. Es gehört eben dazu und ist der Preis, den ich dafür bezahlen muss, dass ich meinen Traum leben darf. Das einzig Gute daran, ein Superstar zu sein, ist es, dass ich dadurch etwas für die Community tun kann, indem ich durch meine Routen, Filme und Vorträge andere Kletterer hoffentlich inspiriere und motiviere.
Du hast als Kletterer viele Meilensteine erreicht: Zum Beispiel hast du als erster Mensch eine 9b+ und nun mit „Silence“ eine 9c-Route bewältigt. Wie fühlt es sich an, solche Ziele zu erreichen und wie lange hält dieses Gefühl an? Wie lange brauchst du, bis du dich wieder für neue Herausforderungen motivieren kannst und neue Träume in deinem Kopf entstehen?
Das hängt von der Route ab. Im Normalfall brauche ich aber keine lange Unterbrechung zwischen zwei Herausforderungen – dafür liebe ich das Klettern einfach zu sehr! Wenn ein Projekt gelingt, bin ich normalerweise so energiegeladen, dass es mich zum nächsten treibt. Kann sein, dass es sich bei alpinen Projekten etwas anders verhält. Als ich die Dawn Wall im Yosemite-Nationalpark geklettert bin, fühlte ich mich oben angekommen gar nicht so euphorisch - ich war schlichtweg völlig erschöpft. Es dauerte ein paar Tage, bis ich mich zu Hause wieder zum Sportkletter-Training aufraffen konnte. Ähnlich verhält es sich bei Wettkämpfen - auch da verspüre ich nicht sofort wieder den Drang, am nächsten Bewerb teilnehmen zu wollen. Es ist das Klettern am richtigen Fels, das mich euphorisiert!
Du hast die Dawn Wall (9a) im Yosemite angesprochen – dabei handelt es sich um eine der schwersten Mehrseillängenrouten der Welt. Ohne „Big Wall“-Erfahrung gelang dir ihre erste Wiederholung in nur wenigen Tagen - einem Bruchteil der Zeit, die die Erstbesteiger Tommy Caldwell und Kevin Jorgeson benötigten. Was ist dein Geheimnis?
Ehrlich gestanden – keine Ahnung (lacht). An der Dawn Wall habe ich definitiv meine Komfortzone verlassen, aber ich vertraute einfach auf meine Klettererfahrung und dachte mir: Der Rest wird sich schon ergeben. Und so war es dann auch. Das Klettern am El Cap war wirklich eine besondere Herausforderung, aber ich hatte den Dreh schnell raus. Ich musste an meine frühe Zeit als Kletterer denken, als ich so viele verschiedene Felsen, Routen und Stile ausprobierte. Ab und zu die Disziplinen zu wechseln, ist für mich eine erfrischende Abwechslung. Wenn ich die ganze Saison über nur Wettkämpfe klettern müsste, würde ich durchdrehen. Ich meine, wenn es auf der Welt keinen Felsen gäbe, würde man es mir einreden können – aber da ich weiß, wie viele wunderbare und aufregende Felsen diese Welt bereithält, ist es ein Ding der Unmöglichkeit für mich. Ich habe in meinem Leben tausende Stunden in der Halle trainiert, aber niemals des Trainierens wegen. Alles was ich will ist klettern. Ich würde niemals trainieren, um der beste Kletterer zu werden oder die schwierigste Route der Welt zu schaffen – das wäre völlig schwachsinnig.
Das heißt also, dass in Zukunft neben dem Sportklettern auch das Alpinklettern ein Thema für dich sein wird?
Ja. Aber noch habe ich das Gefühl, dass ich niemals so richtig alpingeklettert bin – was ich bisher gemacht habe ist einfach pures Felsklettern in etwas größeren Wänden. Ernsthaftes Alpinklettern auf höheren Bergen und Lagen klingt sehr verlockend für mich, aber dafür muss ich noch viel Erfahrung sammeln. In den kommenden zwei Jahren liegt mein Fokus auf dem Training für die Olympischen Sommerspiele in Tokio 2020. Im Moment könnte ich mir aber auch nicht vorstellen später einmal nur im alpinen Stil zu klettern, dafür liebe ich das Sportklettern zu sehr. Aber nach Olympia ist der Weg prinzipiell offen – ich werde einfach meinem Herzen folgen und schauen, was passiert…
Letzte Frage: Glaubst du an Zufall oder Schicksal?
Ich schätze: beides. Dinge passieren nicht wirklich so zufällig, wie es auf den ersten Blick scheint. Bei näherem Hinsehen kannst du eine Art Muster darin erkennen…
Allerletzte Frage: Was ist Dein Lieblings-Eis?
Cookie.