Thomas Bubendorfer: „Beim Klettern hat alles seine Zeit, seinen Platz“
Thomas Bubendorfer hat in den 1980er-Jahren das Freiklettern geprägt, allerdings auch polarisiert wie kein anderer. Kürzlich feierte der Salzburger seinen 60. Geburtstag. Klaus Haselböck, stellvertretender Chefredakteur des Bergwelten-Magazins, hat ihn zum Interview gebeten.
Gemeinsam mit ihm bin ich in den 1980er-Jahren durch die Eiger-Nordwand gestiegen und am sturmumtosten Mount Fitz Roy in Patagonien gestanden – zumindest in Gedanken: Thomas Bubendorfer war der Kletterheld meiner Jugend. Sonnengebräunt, in kurzer Hose und vor allem seilfrei turnte der Blondschopf durch Felswände, als wäre es das Selbstverständlichste der Welt. Während Reinhold Messner existenzielle Nachrichten von den eisigen Dächern der Welt mitbrachte, stand der Salzburger in dieser Zeit für Mühelosigkeit und Lebenslust. „Klettern wie der Bubendorfer“ war gleichbedeutend mit der Aufhebung der Schwerkraft. Solche Superkräfte wünschte ich mir auch, und entsprechend hoch war meine Motivation, es ihm gleichzutun.
Thomas Bubendorfer wurde auch zum ersten Lifestyle-Held des Kletterns, der früh ein Verständnis von seinem Tun entwickelte, wie es heute Golfer oder Tennisspieler haben: Bald wohnte er in Monaco, fuhr tolle Autos, besuchte den Opernball und bestieg im Smoking den Mönchsberg.
Als er sich bei seinen „enchaînements“, der Begehung mehrerer großer Routen unmittelbar hintereinander, unter Mediengetöse mit dem Hubschrauber zu den Einstiegen fliegen ließ, bekam sein Image erste Sprünge: War meine Ikone in Wirklichkeit ein Showman? Bei Werbeaufnahmen stürzte Thomas Bubendorfer 1988 ab, und ab den 1990er-Jahren wurde es ruhiger um ihn.
Am 14. Mai 2022 hat er nun seinen sechzigsten Geburtstag gefeiert. Das mag überraschen, da man den Salzburger so sehr mit Jugendlichkeit verbindet, dass ein Altern bei ihm fast ausgeschlossen erscheint. Das wirft Fragen auf: Klettert Thomas Bubendorfer heute noch ohne Seil? Kann er sich seinen Erfolg von damals erklären? Was treibt ihn heute an? Sein Sechziger war ein ausgezeichneter Anlass, zum Telefonhörer zu greifen und von ihm selbst die Antworten einzuholen:
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Bergwelten: Thomas, was darf ich dir zum sechzigsten Geburtstag wünschen?
Thomas Bubendorfer: Mir brauchst du nichts wünschen, außer vielleicht Gesundheit. Ich habe allerdings keine Fingerprobleme, keine Hüftprobleme, nichts mit der Schulter. Mir tut nichts weh, weil ich hier in Monaco ständig schwimmen gehe. Ich war auch jetzt gerade schwimmen. Das Meer hat mich hier immer angezogen, es lässt ein Gleichgewicht entstehen: Zuerst bist du in der Vertikalen, klammerst dich an, während du in der Horizontalen vom Wasser getragen wirst.
In Summe ist mein Leben total glücklich – ich habe alles getan, was ich tun wollte, und tue es noch immer. Was kann man sich mehr erwarten? Natürlich ist nicht immer alles super, es kommen auch die Breitseiten daher. Aber, um es mit Frankl zu sagen: Es kommt nicht darauf an, was wir uns vom Leben erwarten, sondern was sich das Leben von uns erwartet.
Du bist heute Vortragsredner, Markenbotschaft und Buchautor. Wie sehr bist du noch Kletterer?
Aristoteles hat gesagt: Wir sind, was wir wiederholt tun. Und was ich wiederholt mache, ist Klettern. Zudem schreibe ich an meinem ersten englischen Buch. Das ist wichtig, genauso wie die Vorträge. Aber ich klettere viermal die Woche, dazu kommt das Training samt den Dehnungsübungen. Heuer war ich 28 Mal felsklettern, 18 Mal eisklettern und habe 30 Skitouren gemacht, während ich sieben Vorträge gehalten habe.
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Du hast bewiesen, dass man als Kletterer auch wirtschaftlich erfolgreich sein kann. Was ist dein Erfolgsrezept?
Mit dem Klettern allein verdient man kein Geld, und die reine sportliche Leistung ist nur sehr schwer zu kommunizieren. Zum Glück hatte ich einen Großvater, der mir mit 16 Jahren die richtige Frage gestellt hat. Ihn hat es nicht beeindruckt, wenn ich gerade 300 Klimmzüge gemacht hatte oder 22 Kilometer gelaufen war. Er hat mich gefragt: „Was hast du heute für deinen Kopf getan?“ Durch das Lesen hat sich für mich eine ganz andere Welt aufgetan. Man sieht über sich selbst hinaus und versucht es in einen allgemeinen Zusammenhang zu bringen. Wenn man sich „nur“ vom Berg fordern lässt und nicht auch noch vom Geist, dann bleibt man am Berg hängen und hat den Menschen nichts anderes zu sagen. Es braucht ein geistiges Gegengewicht, um den Menschen die Erfahrungen aus den Bergen übersetzen zu können. Die simple Frage meines Großvaters war eigentlich eine Beleidigung, denn ich wollte ja bewundert werden. Sie war für mich jedoch wegweisend und treibt mich bis heute an.
Hast du noch Ziele?
In Patagonien wäre ein tolles Ziel und eines in Alaska. Das sind Fernziele, wie ich sie immer gehabt habe. Auch wenn man sie vielleicht nie erreicht, geben sie eine Richtung vor. Wie der Abendstern (lacht).
Entscheidend ist, das tägliche Potenzial auszuschöpfen. Heute habe ich eine für mich sehr schwere Tour probiert und mir eine blutige Nase geholt: 7b+ und stark überhängend. Überhänge sind nicht meins. Ich bin Plattenkletterer und habe am Fels immer Sachen gemacht, die ich gut kann. Das bringt dich aber nicht weiter. Heuer gehe ich in Routen rein, wo ich weiß, da komme ich nicht rauf. Und auf einmal geht etwas – der Versuch, Grenzen zu verschieben, bleibt für mich faszinierend.
Was war alpinistisch deine ganz große Nummer?
Die Aconcagua-Südwand wird meine wichtigste Tour bleiben. Warum? Weil die Wand dort anfängt, wo die Eiger-Nordwand aufhört, aber 3.000 Meter hoch ist. Ich war drei Wochen völlig allein im Basislager bei schlechtem Wetter, mit meinem letzten Geld und einem steifen Fuß nach meinem Unfall in der Liechtensteinklamm. Trotzdem bin ich 1991 an einem Tag solo und unsupported auf den Berg rauf und über die Nordseite runter. Das war das Eindrücklichste, was ich in meinem Leben gemacht habe.
Solche Alleingänge haben „Klettern wie der Bubendorfer“ zu einer Marke gemacht. Bist du noch immer seilfrei unterwegs?
1997 bin ich die schwerste Tour vom Albert Precht, die „Sattelkopf 500“ (7+), seilfrei gegangen. Danach hat sich in mir buchstäblich eine Tür im Inneren geschlossen, und ich habe gewusst: Es ist vorbei. Ich wollte es zwar ein paar Jahre nicht glauben, aber danach war es vom Herzen her beendet. Zwanzig Jahre lang habe ich mir nie die Frage gestellt: Was ist, wenn ich runterfalle? Wenn ich einen Griff in der Hand halte, das wusste ich, dann lass ich ihn nicht los. Runterfallen war ausgeschlossen. Heute denke ich mir beim Aufwärmen in einer 6a+: Bist du deppert, wie wäre das ohne Seil?
Heli Putz, dein Kletterpartner und Freund, hat mir erzählt, dass ihr einmal in der Ewigen Wand bei Bad Goisern geklettert seid. Als eine alte Frau sah, dass du bei einer Route die ersten Züge nicht schaffst, hat sie gemeint: „Also, der Bubendorfer würde da schon raufkommen.“ Und du hast ihr geantwortet: „Ja, weil er ist der Beste.“ Stimmt das, oder ist das zu schön, um wahr zu sein?
Ja, das stimmt schon. Dem Thomas Hrovat hat – als wir uns noch nicht kannten – ebenfalls eine Frau zugesehen, als er mit dem „Zigeunerbaron“ bei Gratkorn eine der ersten 8b-Routen in Österreich einstudiert hat. Sie meinte dann: „Das macht der Bubendorfer ohne Seil.“ Und Thomas schrieb später in einem Artikel: „Da stand für mich fest: Ich mag ihn nicht.“ (Lacht.)
Bis zu deinem Absturz bei Werbeaufnahmen in der Liechtensteinklamm im Jahr 1988 hast du ja auch als Sonnyboy gegolten und Klettern in die Society-Magazine gebracht. Wie sehr war deine Karriere geplant?
Dass ich in Monte Carlo wohne, am Opernball war und eine 20 Jahre ältere Frau geheiratet habe, hat sich ergeben. Ich bin da keinem genialen Marketing-Masterplan gefolgt. Dass dies die entsprechende Außenwirkung hatte, war mir schon recht.
Beim Klettern hatte jedoch alles seinen Platz, seine Zeit: Ich habe als Vierzehnjähriger mit dem Alleinklettern begonnen, weil mein Partner am Wochenende oft keine Zeit hatte, und habe sicher 100 Alleingänge gemacht, bevor ich zur Eiger-Nordwand gekommen bin. Wenn du gerne kletterst, wirst du gut klettern, und es werden sich die Zeiten ergeben. Man muss in sich hineinhorchen und sich fragen: Ist das jetzt das Richtige? Schneller oder berühmter zu werden, das sind Absichten, die dich in die Sackgasse führen.
Bei meinem Projekt in den Dolomiten dachte ich mir: Ich bin ja ein Felskletterer, also gehe ich hintereinander die fünf berühmtesten Nordwände. Dass ich vier Monate später in der Liechtensteinklamm gelegen bin, war sicher die Folge dieses Getriebenseins. Das habe ich am Anfang nicht verstanden, aber gelernt und nie mehr gemacht. Das Wollen setzt andere Energien frei als das Müssen.
Dem Franzosen Seb Bouin ist kürzlich eine Route im superharten Schwierigkeitsgrad 9c gelungen. Bedeutet das etwas für dich?
Nein. Das ist, wie wenn du einem Marathonläufer sagst: Jetzt ist jemand die 100 Meter in 9,4 Sekunden gelaufen. Dann sagt der: Wahnsinn, aber das hat nichts mit meinem Sport zu tun. Obwohl beide Läufer sind. Das kannst du nicht vergleichen – das ist eine andere Sportart, ein anderes Training. So waren Sportkletterer schon in den neunziger Jahren um zwei Grade stärker als ich, wären aber nicht einmal zum Einstieg der Eiger-Nordwand oder allein auf den Gipfel des Mount Fitz Roy gekommen.
Welche Botschaft nimmst du aus den Bergen mit?
Berge haben mir immer Fragen gestellt: Was wäre, wenn …? Mit zwölf Jahren war es das Heukareck bei uns im Pongau: Ich wollte rauf und hatte keine Ahnung, wie das gehen soll – der Berg riesengroß und ich ganz klein. Irgendwie habe ich nicht anders können, als aufzubrechen, um diese Frage zu beantworten. Jedem Menschen stellt das Leben andere Fragen – es sind aber immer Fragen, die zuerst unmöglich erscheinen, auf die man aber Antworten finden kann.