Alta Badia - Himmlische Dolomiten
Die Naturparke Fanes-Sennes-Prags und Puez-Geisler, beide UNESCO-Welterbe, klingende Bergnamen wie Monte Pelmo, Civetta, Marmolata und Piz Boé, alle über 3.000 m hoch.
Bergwelten-Autorin Sissi Pärsch war rund um Alta Badia unterwegs und ist mit einem geradezu himmlischen Artikel für das Bergwelten-Magazin (Ausgabe Februar/März 2020) nach Hause gekommen.
Das aktuelle Bergwelten Magazin (Februar/März 2020) ist ab 30. Jänner 2020 im Zeitschriftenhandel oder bequem im Abo für Österreich, Deutschland und die Schweiz erhältlich.
Das Klacken stolpernder Skischuhe haben wir im Tal in Corvara gelassen, das Brummen der Bahnen an der Bergstation Vallon. Wir sind dem Sellastock ein Stück dichter auf den Fels gerückt. Von berühren kann noch keine Rede sein, aber wir tasten uns heran. Schritt für Schritt, so der Plan von Bergführer Ingo Irsara, kommen wir ihm näher, arbeiten uns hoch – und steigen schließlich mitten hinein.
Wir wollen das Mittagstal befahren, den Freeride-Klassiker im Sella-Inneren. Die meisten steigen hierfür vom Pordoipass auf. Von dort ist man in keinen 45 Minuten am Einstieg zur Rinne. Doch wieso einfach, wenn es auch anstrengender geht? Ingo ist sich sicher, dass der längere, eindrücklichere und mühsamere Weg von Vallon aus der richtige für uns ist.
Ingo ist Präsident der Südtiroler Bergführer, ein Veto wäre somit völlig unangebracht. So starten wir im Osten, umkreisen den riesigen Stock noch ein gutes Stück, um dann aufzusteigen Richtung Piz Boé, den mit 3.151 Metern höchsten Sella-Gipfel. Linker Hand liegt die Hochebene Pralongià, auf der es sich herrlich Sonnenski fahren lässt.
Dahinter die Fanesgruppe mit der stolzen Lavarella und direkt im Blick die Marmolata, die Königin der Dolomiten. Er sei, so glaubt Ingo, „strategisch gut geboren. Auf der Sonnenseite der Alpen, im Herzen der Schönen und Berühmten.“ Für seine Eltern war die Wahl des Geburtsortes wohl eher eine praktische als eine taktische Entscheidung.
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Doch Ingo kann sich definitiv bedanken: Alta Badia, das „hohe Badia“, liegt im oberen Gadertal, einem Abzweig vom Pustertal, inmitten der Südtiroler Dolomiten. Über zwei Naturparks erstreckt sich das Gebiet, und sowohl Fanes-Sennes-Prags wie auch Puez-Geisler sind UNESCO-Welterbe.
„Von hier aus kannst du die Dolomiten von jeder Richtung angehen“, betont Ingo die vorteilhafte Lage seiner ladinischen Heimat zwischen der berühmten wie belebten Sellagruppe und den ruhigen Fanes-Felsen. Zu Alta Badia gehört das wuselige Corvara, das bäuerliche Abtei und das liftfreie Dorf La Val. Man kann von hier aus auf die berühmte Sellaronda starten, um Pässe und Pistenkilometer zu sammeln.
Man kann sich aber auch im beschaulichen Armentarola von einem Ökolift ziehen lassen: Ein Pferdegespann befördert viermal die Stunde Skifahrer vom Passo Falzarego zum Piz-Sorega-Sessellift in San Cassiano. Oder man macht es wie wir und lässt sich vom Präsidenten der Südtiroler Bergführer ins steile Abseits leiten.
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Im Inneren des Backenzahns
Wir sind inzwischen auf Berührungskurs mit den Felsen. Spitzkehre für Spitzkehre geht es steil einen Flaschenhals hinauf, an einem schmalen Stück wird abgeschnallt und hochgestapft. Eine weite Hochebene lässt uns verschnaufen, bevor der finale Anstieg folgt. Dann heißt es Atem anhalten und Landschaft aufsaugen. Der Blick wandert tief hinab in die Rinnen des Sellamassivs.
Als Backenzahn wird der Bergpflock gern bezeichnet. 9,5 Kilometer ist er breit und wird von den berühmten vier Pässen eingekreist: Pordoi- und Sellajoch, Grödner Joch und Campolongo-Pass. Die Felsen der Dolomiten sind mächtig, ihre Konturen scharf und rau – und doch wirken sie nicht furchteinflößend.
Die Sonne entzieht ihnen die Bedrohlichkeit. Sobald sie herauskommt, überstreicht sie die Flanken mit goldbraunharzigen Tönen. „Honigfarben“, sagt Ingo und kommt in Fahrt: „Manchmal auch Polenta-Gelb. Oder der Ton von Schlutzkrapfen in geschmolzener Butter.“ Es ist Mittagszeit im Mittagstal. Der Bergführer zuckt mit den Schultern. Als Ladiner trage man das Herz auf der Zunge und im Herzen eben den Magen.
Doch zunächst gilt es noch, über 600 Tiefenmeter nach Colfosco zu bestreiten. Der Einstieg ist schmal und steil, doch ist man einmal in kurzen Schwüngen durch das Nadelöhr, kann man laufen lassen. Das Mittagstal hat seine Schatten- und seine Sonnenseite. Der kalte Hang hält flauschigen Pulver bereit, der Gegenhang spritzigen Firn.
Mit Blick auf die Puez-Gruppe mit Sassongher geht es durch einen Nadelwald wieder in die Zivilisation. Ein großartiges Erlebnis. Groß ist inzwischen auch das Verlangen nach etwas Gehaltvollem. „Wir sind in Alta Badia“, erinnert uns Ingo, man könne gastronomisch nicht wirklich etwas falsch machen. Aber besonders richtig macht man es, wenn man auf der Crëp de Munt abschwingt.
Die hübsche Hütte mit ihren rot-weißen Fensterläden und der ausladenden Sonnenterrasse liegt auf 2.000 Metern nahe der Sellaronda-Route. Einen kleinen Schlenker muss man allerdings schon machen – und das machen die wenigsten. So sitzt man unter Kennern und Genießern, bestellt Föies da Soni (Erdäpfelblattln mit Sauerkraut und Preiselbeeren) oder Hanfschlutzer mit Topfen-Spinat-Füllung (Cajincì Blanc de Cianapia sagen die Ladiner dazu).
Ladinisch ist für die Bewohner des Gadertals Mutter-, Behörden- und Schulsprache, Deutsch und Italienisch sind lediglich die Zweitsprachen. Durch die abgeschiedene Lage konnte sich das Rätoromanische hier über die Jahrtausende dem sprachlichen Einfluss der Bajuwaren, der Langobarden und später den nationalistischen Bestrebungen Italiens entziehen.
Ihr Minderheitenrecht bekamen die Ladiner erst 1972 zugesprochen. „Wenn man einer so kleinen Gemeinschaft angehört“, meint Ingo, „ist das Identifikationsgefühl schon sehr besonders. Wir wachsen mit dem Bewusstsein auf, dass es gilt, unsere Kultur zu bewahren. Die Sprache, die Architektur, die Landwirtschaft – und das Essen.“ Sechs Michelin-Sterne gibt es allein in Alta Badia, aber ausgezeichnet isst man „in fast jeder Ütia und jedem Restaurant“, erklärt Ingo.
Heilige Berge
Ruhiggestellt von Speis und Trank, bezirzt von Land und den Ladinern, könnte man Alta Badia hemmungslos verfallen. Es braucht die Rückkehr ins Tal, um wieder geerdet zu werden. Dabei hilft auch Lois Anvidalfarei, einer der bedeutendsten Künstler Südtirols. Anvidalfarei, dessen Name übersetzt „Zitterpappel am Weg zum Schafstall“ bedeutet, arbeitet als Bildhauer und Bergbauer auf seinem kleinen Hof in Ciaminades, an einem Hang ein Stück oberhalb von Abtei.
Er schüttelt lächelnd den Kopf und versichert: „Wir sind bei Gott keine Heiligen.“ Schon als junger Bursche hat der heute 58-Jährige mit Vorliebe Jesusfiguren geschnitzt, der tägliche Gang in die Kirche war obligatorisch. Von seinem Erbhof aus blickt man direkt hinüber auf den Kreuzkofel, Heiligkreuzkofel nennen ihn die Einheimischen.
Auch wenn man die Szenerie durchaus als himmlisch beschreiben könnte, auch hier „bleibt der Mensch Mensch“, sagt Anvidalfarei. Seine mächtigen Bronzeskulpturen setzen sich mit genau diesem Menschsein auseinander – und dieses ist für den Künstler offensichtlich nicht immer bequem: Seine Figuren kauern und krümmen sich, liegen aufgebahrt in Gestängen oder baumeln von Bäumen.
Nach dem Studium in Wien ist er wieder nach Hause zurückgekehrt und hat den elterlichen Hof übernommen: „Das Gadertal mag für manche eine Enge ausstrahlen, aber die Enge bedeutet auch Nähe. Der Austausch mit anderen Künstlern und Kreativen ist hier intensiver als in der großen Stadt.“
Argentinien im Hospiz
Direkt gegenüber steht auf 2.045 Metern die Wallfahrtskirche Heilig Kreuz, Alta Badias wichtigste Pilgerstätte, die auf das Jahr 1484 zurückdatiert. Zuvor, so mutmaßt man, war es ein heidnischer Kultort. Die Pilger kamen und kommen von allen Himmelsrichtungen, denn vier Kreuzwege führen hier herauf – und von Badia der Familienlift La Crusc.
Von ihm stapft man nur wenige Höhenmeter zur Kirche am Fuße des berühmten Berges. Neben der Kapelle steht ein Hospiz, bewirtschaftet wird es seit 1888 von der Familie Irsara. Die 39-jährige Karin führt es nun in der fünften Irsara-Generation gemeinsam mit ihrem Mann Daniel. Die Wirkspanne ihres Vaters Erwin werden sie wohl kaum übertreffen: Sechs Jahrzehnte war er hier Wirt.
In der Küche schwenkt Daniel den Kaiserschmarrn. Karin hat den Argentinier auf Reisen in Neuseeland kennengelernt und ist ihm nach Buenos Aires gefolgt. „Aber in Argentinien waren die Städte quadratisch, das Land flach und die Siesta zu lang“, sagt sie. So schaute sich Daniel Karins Südtiroler Heimat an. „Sehr hart“, schmunzelt er, seien die ersten Monate gewesen: „Ich hatte keine Arbeitsgenehmigung, und so blieb mir nichts übrig, als die ganze Zeit Ski zu fahren.“
Er ging zurück, verdiente Geld als Buchhalter und kam wieder, um festzustellen, „dass es hier im Sommer auch nicht so schlecht ist“. Nein, das ist es sicherlich zu keiner Jahreszeit. Das sagen auch die zufriedenen Gesichter rundum – die der Familien auf Skiern oder mit Rodel und der Skitouren- und Schneeschuhgeher, die von den Armentara-Wiesen herübergewandert sind. „Tagsüber ist es voll, da haben wir die Welt hier oben“, sagt Karin. Sie macht eine Pause und setzt nach: „Abends ist es dann vollkommen still, und der Berg leuchtet.
Jeden Tag sieht man ihn glühen, und man spürt immer etwas.“ Den Einheimischen ist ihr Berg heilig. Davon bleiben auch die Gäste in Alta Badia nicht unberührt.
Ob Sissi Pärsch wusste, was sie erwartet, als sie sich nach Alta Badia im oberen Gadertal aufmachte? Wohl kaum, denn so viel Schönheit kann man sich fast nicht ausmalen, die muss man selbst gesehen haben. Gemeinsam mit Bergführer Ingo Irsara steigt sie mit Tourenskiern Richtung Piz Boé, dem mit 3.151 m höchsten Sella-Gipfel, auf. Bei traumhaftem Wetter genießen sie ein Bergpanorama wie aus dem Bilderbuch: links die Hochebene Pralongià, dahinter die Fanesgruppe mit der Lavarella und direkt voraus die Königin der Dolomiten, die Marmolata.
Zusammen mit der Freundlichkeit der Ladiner, ihrer Kultur und Tradition, die sich nicht zuletzt in einer ausgezeichneten Küche widerspiegelt, kann man in Alta Badia leicht ins Schwärmen geraten - oder wie Sissi Pärsch schreibt - dem Ort „hemmungslos verfallen“.
Unterwegs mit Tourenskiern
Wer die Dolomiten in ihrer ganzen Pracht erleben möchte, erkundet sie am besten auf Tourenskiern. So ist etwa die Freeride Tour durch das Mittagstal ein Erlebnis der besonderen Art.
Oder man näherte sich der Heiligkreuzkofel-Gruppe mit Neuner und Zehner und steigt zum Antoniusjoch auf, das mit seinen 2.468 m herrliche Aussichten und eine geniale Abfahrt bietet.
Durch die Winterlandschaft wandern
Es müssen nicht immer Skier sein, auch wenn Alta Badia einiges an Pistenkilometern und Aufstiegshilfen zu bieten hat. Wer Entschleunigung sucht, der schnallt sich Schneeschuhe an oder zieht feste Winterstiefel an. Eine Wanderung über die bezaubernden Armentara-Wiesen zum Heiligkreuz-Hospiz garantiert Ruhe und absolute Erholung.
Bestes Gelände für Langläufer
Freunde des Skatings oder klassischen Stiles auf zwei schmalen Brettern finden rund um Alta Badia bestens gespurrte Loipen in herrlicher Umgebung.
Hütten für Genießer
Wie schon Bergführer Ingo im Beitrag von Sissi Pärsch sagt: „Kulinarisch kann man rund um Alta Badia fast nichts falsch machen", denn gekocht wird hier frisch, regional und einfach ausgezeichnet gut. Außerdem laden die großzügigen Terrassen der Hütten zum Sonnenbaden und Energie tanken ein.
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