Stefan Gatt: „Genug geredet, es wird Zeit zu handeln“
Der österreichische Extrembergsteiger und Abenteurer Stefan Gatt hat in Zusammenarbeit mit den Alpinen Vereinen die Umwelt-Initiative climbersforfuture.com gegründet. Sein Credo lautet: „Wir haben genug geredet und müssen jetzt handeln, bevor es wirklich zu spät ist." Für ein Interview mit Bergwelten konnten wir den Neo-Aktivisten trotzdem gewinnen.
Stefan Gatt, 49, ist in erster Linie Bergsteiger und Abenteurer. Als Reise- und Expeditionsleiter hat er den halben Globus bereist und als erster Mensch am Mount Everest das Snowboard angeschnallt. Darüber hinaus ist der promovierte Sportwissenschaftler Autor einschlägiger Fachliteratur und im Rahmen seiner fotografischen Tätigkeit Herausgeber verschiedenster Bildbände. Weil das alles noch nicht genug ist, arbeitet er gemeinsam mit seiner Frau als Coach und Trainer für die Entwicklung von Teams und Führungskräften und, wenn ihm noch Zeit bleibt hält er Vorträge und veranstaltet Workshops. Nun hat sich der gebürtige Tiroler einer weiteren Aufgabe verschrieben: dem Klimawandel. Sein neuestes Projekt hört auf den Namen climbersforfuture und hat sich dem Schutz der alpinen Landschaft verschrieben. Ein Gespräch über Klimawandel, die Zukunft der Berge und warum die Erde ohne uns Menschen vermutlich besser dran wäre.
Bergwelten: Stefan, lass uns gleich zur Sache kommen, was hat dich dazu bewogen die Initiative climbersforfuture zu gründen?
Stefan Gatt: Die Frage, wie wir mit unserer Umwelt umgehen, beschäftigt mich ja schon seit langer Zeit, so richtig begonnen hat alles im Jahr 2007: Damals sah ich zum ersten Mal den Film „Inconvenient Truth“ und habe im Anschluss entschieden vorerst keine Reisen mit dem Flugzeug zu unternehmen. Nach zwei Jahren Abstinenz habe ich gemerkt, dass ich dadurch einen Teil meiner Lebensfreude einbüßen musste, aber die Welt sich um keinen Strich verbessert hat – im Gegenteil, es wurde eigentlich nur noch schlimmer und mein Verzicht hatte keinen positiven Impact auf meine Umwelt.
Im Dezember 2018 habe ich dann von Greta Thunberg gehört und endlich verspürte ich wieder Hoffnung. Im darauf folgenden Frühjahr nahm ich dann am ersten weltweiten Klimastreik teil und für mich wurde klar: Wir haben lange genug geredet, es wird Zeit zu handeln. Also habe ich gemeinsam mit ein paar Freunden das Projekt climbersforfuture ins Leben gerufen.
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Angelehnt an fridaysforfuture, aber worum geht es bei deiner Bewegung genau?
In Zusammenarbeit mit Sepp Friedhuber von den Naturfreunden und allen anderen Alpinen Vereinen haben wir gemeinsam eine Petition gestartet und begonnen Unterschriften zu sammeln, um in weiterer Folge Druck auf die Regierung ausüben zu können, damit das Thema Klimaschutz verstärkt auf die politische Agenda gehoben wird. Wir konzentrieren uns vor allem auf die Themen Waldbewirtschaftung, die Nutzung des alpinen Lebensraums, den Ausbau öffentlicher Verkehrsmittel und fordern eine Besteuerung des Flugverkehrs. Wenn wir als kleine, aber reiche Nation nicht endlich beginnen zu handeln, wieso sollten es dann andere tun?
Die Frage ist doch wohl eher, wie können wir als Zivilgesellschaft Anreize für ein Umdenken in den Köpfen der Menschheit erzielen, wenn es die Politik nicht tut?
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Einerseits ist es sicher die individuelle Ebene, auf der wir schon einiges erreichen können: Wir können Flugzeuge verweigern, unsere Ernährung umstellen, unseren Konsum zügeln, etc.. Aber auf der anderen Seite braucht es politische Signale: Vor allem eine Einführung der CO2-Steuer und Besteuerung des Flugverkehrs. Das kann nicht sein, dass einer der größten Klimasünder weltweit steuerfrei agieren darf ohne, dass der Staat regulativ eingreift.
Ein einfaches Beispiel: meine Tochter übersiedelt gerade zu Studienzwecken nach England. Da wir als Familie beschlossen haben keine Kurzstreckenflüge mehr in Anspruch zu nehmen, machen wir den Umzug alle zusammen mit dem Auto – auch wenn es uns mehr Zeit und Geld kostet. Eine Freundin meiner Tochter lebt in Dänemark, sie kommt übermorgen zu Besuch und hilft ihr beim Einleben. Sie hat natürlich den Flug gewählt, weil er weit billiger ist als der Flixbus und sie bloß ein paar Stunden unterwegs ist, anstatt die halbe Nacht im Bus zu verbringen. In ihrem Alter habe ich auch jeden Schilling umgedreht und ich hätte vermutlich genauso gehandelt, aber genau das ist der springende Punkt: Solange hier die Europäische Politik nicht in den freien Markt des Flugverkehrs regulierend eingreift, werden die Menschen immer fliegen!
Man könnte das Pferd ja auch von hinten aufzäumen und zunächst den öffentlichen Personenverkehr subventionieren. Es wäre doch sicher einfacher die Ticketpreise für Zug- und Busverkehr zu Gunsten der Umwelt zu senken, bevor wir den Flugverkehr auf den Kopf stellen?
Da stimme ich dir absolut zu! Aber um eben eine Sache billiger zu machen, brauche ich öffentliche Gelder und diese wirtschaftlichen Mittel könnten beispielsweise aus einer Mineralölsteuer für Flugzeuge gewonnen werden. Dafür gibt es ein gutes Beispiel aus der belgischen Stadt Hasselt. Dort war das öffentliche Verkehrssystem völlig am Boden und subventionsbedürftig. Durch den Regierungswechsel wurde der öffentliche Personenverkehr von Omnibussen kostenlos zur Verfügung gestellt und das Busliniensystem ausgebaut, rein durch finanzielle Umlagen. Innerhalb von sieben Jahren hat sich die Nutzung öffentlicher Busse um 1300 % gesteigert, solche Signale sollte die Politik setzen!
Wenn der politische Wille aber nicht bereit ist die Erde zu retten, was können wir dann als Individuen unternehmen, um dem Klimawandel entgegen zu wirken?
Wir können und müssen auf die Straße gehen und am nächsten Klimastreik teilnehmen, um zumindest ein Zeichen zu setzen. Wir sollten alle das Klimavolksbegehren unterzeichnen, damit die Politik unter Zugzwang kommt. Wir leben in einer Demokratie und insofern sollten wir von unseren Rechten Gebrauch machen – deshalb haben wir auch unsere Unterschriftenliste für climbersforfuture ins Leben gerufen.
Aber wenn wir dem Klimwandel gegensteuern wollen, dann müssen wir auch unsere persönlichen Gewohnheiten in Bezug auf Reisen, Ernährung und allgemeinen Umgang mit unserer Umwelt ändern. Nicht jeder Mensch wird sich dafür bereit erklären.
Sicherlich nicht jeder, aber ich persönlich will mit gutem Beispiel vorangehen. Ich kann nicht über den Klimaschutz reden und gleichzeitig jede zweite Woche mich für Bergprojekte oder Vorträge in ein Flugzeug setzen. Derzeit habe ich alle meine Expeditionen und Reisen in Südamerika und Patagonien auf unbestimmte Zeit verschoben, auch wenn ich gerne dorthin reisen möchte – es würde sich nicht richtig anfühlen! Wobei die Kurzflüge ja die schlimmsten Auswirkungen haben. Ein Interkontinentalflug, der mich ans andere Ende der Welt bringt, wo ich dann aber auch längere Zeit bleibe, hat geringere Auswirkungen, das sagt auch die führende Klimaforscherin Dr. Helga Kromb-Kolp.
Kompensationszahlungen sind sicher auch ein gutes Zeichen, aber besser ist es einfach nicht zu fliegen. Also mache ich einen ersten Schritt in diese Richtung und hoffe, dass andere Menschen nachziehen.
Zurück zu climbersforfuture und den Schutz der Berge: Was können wir aktiv tun, um den alpinen Raum zu retten?
Also vorausgesetzt wir machen so weiter wie bisher, dann werden die Gletscher der Ostalpen sukzessive verschwinden – laut neuester Berechnungen wird der Dachsteingletscher auf Oberösterreichischer Seite in den nächsten zehn Jahren Geschichte sein. Hier muss auch der Wintertourismus umdenken: der Ausbau von Skigebieten kann nicht das Ziel für die nächsten Jahre sein und die Abdeckung von Gletschern ist zwar ein netter Versuch, aber die Folien werden durch die UV-Strahlung zersetzt und die Plastikpartikel landen dadurch im Grundwasser. Das Ganze ist ein Teufelskreis und der Mensch beraubt sich stetig weiter seines eigenen Lebensraums.
Zum Glück gibt es aber Menschen wie Greta Thunberg, die nun auf die nachkommenden Generationen zugeht und die dadurch hoffentlich den Gedanken des Klimaschutzes verinnerlichen und in einer umweltbewussten Art zu leben, keine Beschneidung persönlicher Freiheiten sehen. Weil es für sie normal ist eben nicht zu fliegen, kein Fleisch zu essen, mit dem Zug zu reisen, usw.
Das würde bedeuten die umweltpolitische Aufklärung junger Generationen ist der Schlüssel zu einer besseren Welt?
Mit Sicherheit, wir müssen einfach entschleunigter, bewusster und ökologischer leben. Die Suche nach dem Abenteuer muss uns nicht immer ans andere Ende der Welt führen, sie kann auch gleich hinter der Haustüre beginnen. Sich von den Werten der Leistungsgesellschaft antreiben zu lassen ist völlig sinnfrei – wir sollten uns eher darauf besinnen, worauf es wirklich im Leben ankommt: Die Schönheit der Natur zu entdecken und respektvoll miteinander umzugehen. Dieses höher, weiter, schneller führt doch am Ende zu nichts, außer in eine gedankliche Sackgasse. Das müssen wir den jungen Menschen vermitteln.