Essay

Zahlen, bitte!

Über den Wahnsinn der Selbstvermessung und die On-Off-Beziehung mit einer Fitnessuhr.

Text: Katharina Brunnauer-Lehner, Illustrationen: Sandra Neuditschko

Stell dir vor, du führst eine Beziehung – romantisch, familiär, freundschaftlich – und die andere Person will nur das Beste für dich. Sie unterstützt dich dabei, deine Ziele zu erreichen. Allerdings: Sie hat auch ihre eigenen Vorstellungen davon, was genau das Beste für dich ist. Wie eine Großmutter, die beim Mittagessen noch einen Nachschlag gibt, weil du die Energie doch brauchst. Oder wie der Vater, der beim Treppensteigen anmerkt, dass du als junger Mensch eigentlich nicht so schnaufen und doch besser einmal etwas für deine Fitness tun solltest.

Wer eine Fitnessuhr hat, hat so eine Beziehung. Mit einem buchstäblich anhänglichen Ding, das einen im Wachzustand beobachtet, im Schlaf, bei Anstrengung, in Ruhephasen, und diese Sportsfreundin hat ein Ziel: Das beste Selbst aus dir zu machen. Ihre Programmierung lässt nur eine Interpretation dafür zu – es ist natürlich dein fittestes und gesündestes Selbst.

Ihr Äußeres ist recht ansprechend, Typ schlichte Eleganz: schwarzes Silikon-Armband, schwarzes Display-Glas, schwarze Edelstahl-Einfassung. Das ist Absicht, denn sie will ja nicht nur zum Sport mitgenommen werden, sondern dich 24/7 begleiten.

Rasch checke ich ihre elegante Anzeige und sie verrät mir, dass das Schreiben dieses Textes mich auf „mittleres Stresslevel“ bringt. Die Zahl 62 wurde ermittelt. Ich weiß nicht genau, was das bedeutet. Vermutlich, dass ich lieber Sport machen sollte, anstatt nur die Finger über die Tastatur wandern zu lassen; oder vielleicht hat die Uhr schon eine Ahnung davon, in welche Richtung meine Erzählung hier gehen wird und zeigt nun ihren eigenen Stresslevel an. Denn unsere Beziehung ist kompliziert.

Im Einschmeicheln ist meine Sportsfreundin gut. Etwa, wenn sie mir Folgendes anzeigt: „Ihr Fitnessalter liegt bei 20 Jahren. Damit gehören Sie zu den oberen 25% in Ihrer Alters- und Geschlechtsgruppe.“ Ich würde sie dann gerne fragen, was sie trinken möchte. Denn wenn ich so dahinkeuche, sollte ich mich doch wieder einmal am Laufen versuchen, dann frage ich mich, ob sie auch wirklich mich meint.

Aber das ist nicht alles der Schmeichelei, zusätzlich belohnt sie mich mit Auszeichnungen. Den „Frühaufsteher“ habe ich bekommen, weil ich eine Aktivität zwischen vier und sieben Uhr in der Früh aufgezeichnet habe – es war eine Sonnenaufgangstour auf einen Gipfel. Und auch die „Nachteule“ ist schon mein – die habe ich mir beim Radfahren zwischen 22 und 4 Uhr verdient. Sie hat mich auch belohnt, als ich einmal 20.000 Schritte gegangen bin, als ich 300 Intensitätsminuten an einem Tag geliefert habe, als ich einmal 8 Stunden geschlafen habe und so weiter. Man kann sagen, sie ist mein größter Cheerleader.

Andererseits kann sie mich auch ziemlich demotivieren. Wenn ich mir zum Beispiel beim Langlaufen die Seele aus dem Leib schwitze und schnaufe und ihre müde Reaktion darauf ist: „kein Effekt“. Sie empfiehlt dann nicht etwa „12 Stunden Ruhe“, sondern attestiert „Formverlust“ oder möchte, dass man „leichtes Training“ anschließt. Außerdem führt sie einem zuverlässig vor Augen, wie inkonsequent man eigentlich ist.

Wenn ich mich in die Statistiken einlese, sehe ich nämlich, dass ich jedes Jahr im Januar und Februar eine ungeheure Motivation fürs Laufen entwickle. Ich stelle dann einen persönlichen Coach ein – die Uhr lässt mich auswählen, ob ich lieber mit Jeff, Amy oder Greg trainiere – und laufe nach Plan, dreimal pro Woche. Jedes Jahr glaube ich, dass ich nah dran bin am großen Durchbruch. Jetzt werde ich Läuferin! Dann lasse ich aber eine Einheit aus, nächste Woche schon zwei. Nach sechs Wochen bleiben die Laufschuhe im Schrank. Die Uhr schickt mir ein beleidigtes „Trainingsplan beendet“ und storniert automatisch alle meine künftigen Lauftermine. Sie weiß früher als ich, dass ich nur laufen wollen will und es nicht wirklich tue. Und damit ist sie das Äquivalent zu einem Ehemann, der sich darüber aufregt, wenn man nach einer ordentlichen Phase schon wieder anfängt, überall Klamotten herumliegen zu lassen. Man will ja ordentlich sein…

Ein Blick auf das Display: Mein Stresslevel liegt bei 22, und somit im Bereich „Erholung“. Ein kurzes Dampfablassen ist vermutlich in jeder Beziehung zuträglich.

Und wo wir schon ehrlich sind; das ist ein guter Zeitpunkt, um mit Folgendem herauszurücken: Ich tracke gar nicht alles. Yoga zum Beispiel, das mache ich „nur für mich“. Da brauche ich niemanden, der mich beobachtet und mein Shavasana mit einem klobigen Gefühl am Handgelenk stört oder bewertet, wie groß der Effekt meiner Verrenkungen war. (Ich habe es schon ausprobiert: Null.) Genauso beim Schlafen: Die aufgezeichneten Wachphasen, mehrmals pro Nacht, werden mit 99-prozentiger Wahrscheinlichkeit davon ausgelöst, dass man sich das Teil auf die Stirn haut oder es zwickt, wenn man seine Hand – und damit das Handgelenk – zwischen die Knie betten möchte. Man könnte sich bestimmt daran gewöhnen, aber genauso gut kann man das schwarze Silikon-Armband lösen und das Teil abstreifen. Es blinkt dann noch ein paarmal grün und nervös, dann ist Ruhe.

Die Uhr revanchiert sich verzögert fürs Abgelegtwerden, indem sie genau dann, wenn ich sportliche Höchstleistungen aufzeichnen will, plötzlich ihre Batterien leert und zu einem schwarzen, nutzlosem Rund auf meinem Armgelenk wird. Zur Strafe wiederum lege ich sie in die Schublade und stecke sie erst zwei Wochen später wieder ans Stromkabel.

Ich glaube, man nennt es On-Off-Beziehung.

Die habe ich aber nur mit dem technischen Gerät und nicht mit meiner Gesundheit. Denn: Natürlich hat die Langlaufeinheit einen Effekt. Um das zu wissen, brauche ich keine Uhr, da reicht mir das Internet: „Langlaufen aktiviert 90 Prozent der Muskulatur und ist ein ideales Herz-Kreislauftraining“ verrät es mir. Genauso wie Yoga mich nach einem stressigen Arbeitstag wieder erdet. Und wie mir meine Couchphasen (meist im Dezember) die nötige Seelenruhe für die dunkle Zeit liefern. Alles kann man eben nicht in Zahlen messen.

 Jetzt noch ein letzter Blick auf das Display: Die Uhr hat sich wohl mit meiner Seite der Geschichte abgefunden. Sie zeigt mir Stresslevel 5 an, pure Erholung.

 
 

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