Das Wildseeloderhaus
Wenn die Küche genauso frisch ist wie der See, kommt Vorfreude auf den Sommer auf: Das Wildseeloderhaus an Tirols Grenze zu Salzburg liegt am schönsten Ufer der Kitzbüheler Alpen.
Wolfgang Gemünd für das Bergwelten-Magazin April/Mai 2020
Der See am Wildseeloder ist so tiefgründig und fotogen wie Greta Garbo. Und genauso kühl. Selbst im Hochsommer beträgt die Wassertemperatur nur 14 bis 16 Grad. 18 Grad wie im letzten Rekordsommer sind das Höchste der Gefühle.
Und trotzdem freut man sich auf den See, wenn man in Fieberbrunn aufbricht – zuerst von Kuh-, dann von Schafglocken begleitet –, dem 711er-Weg bis zum Pletzergraben folgt, den Rummel an der Mittelstation Streuböden hinter sich lässt und nach gut 1.000 Höhenmetern und drei Stunden Aufstieg völlig durchschwitzt zuerst die kleine Kapelle des Wildseeloderhauses, dann die schindelverkleideten Fassaden des Schutzhauses erblickt und einem schließlich der See glitzernd zu Füßen liegt.
An drei Seiten von steilen Hängen umrahmt, füllt er einen Bergkessel aus. An der offenen Nordseite wacht das Schutzhaus über das Gewässer, gleich darunter befindet sich am Ufer ein Strand mit Wiese, einer kleinen Nebenhütte, ein paar Holzbänken und einem Steg, an dem ein Ruderboot liegt.
Man könnte auch an einem kleinen See im Salzkammergut oder in Kärnten sein, wenn sich da nicht rechts der Gipfel des 2.118 Meter hohen Wildseeloder und links jener der 2.078 Meter hohen Henne erheben würden. Jetzt aber schnell raus aus den dampfenden Schuhen und Socken und die Füße vorsichtig ins kalte Wasser tauchen.
Schnappatmung setzt ein, Ganslhaut kribbelt die Beine hinauf, aber nach dem ersten Schock macht sich Entspannung breit. Bernhard Kaufmann, der Hüttenwirt des Wildseeloderhauses, könnte jeden Morgen ein elysisches Fußbad am Wildsee nehmen. „Leider komme ich nur selten dazu“, sagt er und präzisiert dann: „Eigentlich nie.“
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Denn an Regentagen kann es hier oben ziemlich frisch werden, und an schönen Tagen gibt es viel zu tun. Das auf 1.854 Metern liegende Wildseeloderhaus ist nämlich nicht nur über den dreistündigen Fußmarsch zu erreichen, sondern auch mit den Fieberbrunner Bergbahnen.
Einmal an der Mittelstation umgestiegen und dann von der Bergstation Lärchfilzkogel noch eine Stunde zu Fuß hinauf zur Hütte – schon grüßen See, Haus und Wirt den Gast. Die komfortable Anfahrt ist sicherlich ein Grund dafür, dass das Wildseeloderhaus zu den populärsten Berghütten im Tiroler Unterland zählt – und zu jener mit dem buntesten Publikum.
Bernhard muss jedes Mal schmunzeln, wenn er im Sommer gleich hinter den mit Helm und schwerem Schuhwerk ausgerüsteten Bergsteigern Flip-Flops und Badetaschen tragende Gäste zum See heraufwandern sieht. Aber die Mehrheit der Kundschaft, die in seiner mit Holzschindeln verkleideten Hütte einkehrt, kommt aus bergaffineren Gründen.
„Die traumhafte Kulisse mit den unzähligen Wandermöglichkeiten“, fasst Stammgast Stefan Valenta seine Motive zusammen, der die Hütte 10- bis 15-mal im Jahr besucht. Tatsächlich ist das Wildseeloderhaus eine ideale Ausgangsbasis, um Gipfelerlebnisse zu sammeln. Zum Beispiel auf der etwa fünfstündigen Runde zu Wildseeloder, Hohem Mahdstein, Hochhörndler Spitze, Henne und Marokka.
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Einheimische und Auswärtige „Die Aussicht, die sich vom Loder aus darbietet, dürfte in Bezug auf Großartigkeit und Umfang kaum von irgendeinem anderen Gipfel des Kitzbüheler Gebirges erreicht werden“, schrieb schon 1874 Ludwig Purtscheller, einer der bedeutendsten Alpinisten und Reiseschriftsteller seiner Zeit.
Ganz am Anfang musste Bernhard jedoch zur Kenntnis nehmen, dass die traumhafte Lage nicht alles ist, um eine Hütte profitabel zu betreiben. Vor allem Einheimische seien eher selten vorbeigekommen. Als Erstes hat er daher von Selbstbedienung auf Service umgestellt, als Zweites mehr Speisen auf die Karte gebracht.
„Es hat ein wenig gedauert, bis sich die Änderungen herumgesprochen haben, aber bald sind die Fieberbrunner oft auch nur zum Essen auf die Hütte gekommen“, erinnert sich Bernhard. „Und wenn die Einheimischen zufrieden sind, dann kommen auch die Gäste von auswärts.“ Tatsächlich ist es so, dass Bernhard wie in einem sehr, sehr guten bodenständigen Wirtshaus kocht.
Gemeinsam mit Koch Norbert bereitet er in der Küche alle Speisen frisch zu – möglichst mit Produkten aus der Region. Die Backwaren und das Fleisch kommen aus Fieberbrunn, der Käse und die Fasslbutter aus Schwendt, der Marillenlikör von der Tante. Manchmal wachsen die Zutaten auch direkt am See – etwa der Bärlauch, den eine Hüttenwirtin vor 50 Jahren dort gepflanzt hat.
Bernhard verfeinert mit dem würzigen Kraut die Fülle für die Schlutzkrapfen, die so gut sind, dass man sie gleich nach dem Mittagessen auch für das Abendessen vorbestellen möchte. „Gewaltiges Essen!“, meint auch Stammgast Martin Hautz, der in der Hütte mit seinen Freunden jede Woche zum „Lodastommtisch“ zusammenkommt.
„Die Kaspressknödl sind so, wie sie nicht einmal meine Mama zusammenbringt, und das will was heißen!“ Zurück zum See. Es ist früher Abend, die Tagesgäste sind aufgebrochen, um mit der letzten Gondel ins Tal zu fahren, die Nachtgäste sind noch nicht da, man hat den ganzen Bergkessel für sich allein. Der jetzt stahlblaue See zieht sich in den Schatten des Wildseeloders zurück, man hört die Glocken der Schafe, die rundum grasen, und das leise Rauschen des Wassers, das gleich hinter der Berghütte in eine Bergspalte abfließt.
Und wieder kriecht die Ganslhaut – aber nicht weil es so kalt, sondern weil es so schön ist. Dann die Stimmen der ersten Schlafgäste, es wird Zeit hineinzugehen – die Schlutzkrapfen rufen. Besser, man hört ihren Ruf, bevor es die anderen Gäste tun.