David Lama: Über Talent
Foto: Lincoln Else / Red Bull Content Pool
von David Lama
Die einen gelten als Genies, die anderen als Arbeitstiere. Als Begründung für den Erfolg ist die Unterscheidung aber zu simpel, meint David Lama (erschienen im Bergwelten Magazin Dezember/Jänner 2017/18).
Jedes Mal, wenn ich als Kind in den Medien erwähnt wurde, ging es um mein vermeintliches Gefühl für den Fels. Dies wurde oft als mein Talent gesehen. Und zugegeben, wenn ich zurückschaue, hatte ich schon in der Innsbrucker Kinderklettergruppe den Eindruck, viele der Techniken, die uns Reini Scherer als unser Lehrer beibrachte, bereits instinktiv intus zu haben. Trotzdem fand ich es damals unfair, wenn meine Leistungen komplett auf mein Talent reduziert wurden.
Mit zehn Jahren kletterte ich meine erste 8a. Das war zu dieser Zeit noch etwas Besonderes. Mit fünfzehn wurde ich Europameister im Vorstieg, und ein Jahr später holte ich den gleichen Titel im Bouldern. Ich war also ziemlich vielversprechend in mein Sportkletterleben gestartet, hatte mein Talent unter Beweis gestellt, und trotzdem ging es nicht so weiter.
Wer heute in den Ranglisten die zehn erfolgreichsten Wettkletterer der letzten dreißig Jahre sucht, wird mich nicht finden. Es soll keine Ausrede sein: Die Leidenschaft für die Jagd nach Titeln und Podestplätzen ist mir irgendwann abhandengekommen. Halber Einsatz reicht nicht, um das für die Spitze erforderliche Trainingspensum durchzuziehen.
Während beim Tennis eine gewisse Körpergröße, viel Ballgefühl und eine ausgeprägte Augen-Hand-Koordination das A und O für den Erfolg ist, so sind die besten Wettkampfkletterer eine überraschend heterogene Gruppe: Sie haben einen Körperbau von klein und stämmig bis lang und dünn, sind gute Plattenkletterer oder richtige Kraftbolzen. Beim Klettern lässt sich nicht so einfach sagen, was die idealen Voraussetzungen sind – zu vielfältig sind die Züge, zu unterschiedlich die Routen.
Als ich vor sechs Jahren meine Wettkampfkarriere an den Nagel hängte und mich mit Leib und Seele dem Bergsteigen verschrieb, dachte ich nicht über mein Talent dafür nach. Meine Leidenschaft für den Alpinismus ließ mir keine andere Wahl. Mich reizte, dass die Herausforderungen beim Bergsteigen nochmals vielschichtiger sind als beim Wettklettern. Nicht nur die Projekte sind unterschiedlich, sondern auch die Berge verändern sich ständig. Deshalb muss ein guter Bergsteiger nicht nur Fitness und Leidensfähigkeit mitbringen, sondern auch ein Gespür und Verständnis für die Natur.
Meine heute im Klettersport erfolgreichen Freunde aus Reinis damaliger Klettergruppe und ich haben eines gemeinsam: Uns treibt die Leidenschaft an, und wir haben den unbedingten Willen, das Beste aus uns rauszuholen. Dies vereint uns mit all jenen, die im Sport, aber wohl auch in anderen Bereichen erfolgreich sind.
Wahrscheinlich ist es keine Eigenschaft, an die jeder denkt, wenn er das Wort „Talent“ hört, und es ist nicht so sexy wie Bewegungs- oder Taktgefühl: Aber die Fähigkeit zur kompletten Hingabe ist die fundamentalste Begabung.
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