Vollkommenheit im Stubachtal: Hochtour in den Hohen Tauern
Foto: Lisa Mattanovich
von Christina Geyer
Man kann eben doch alles haben. Klettern, Hochtouren-Gehen, Bergsteigen. Im Stubachtal liegt die Vollkommenheit direkt vor den Toren der Rudolfshütte, die selbst auch keine Kompromisse macht und halb Hütte, halb Hotel ist. Wir haben dieses besondere Fleckchen in Salzburg an der Grenze zu Tirol besucht.
Es ist eine wirklich abenteuerliche Anfahrt. In zahlreichen Kehren quält sich der Bus die schmale Straße aus Uttendorf in Salzburg hinauf zur entlegenen Talstation der Gondel. Unser Ziel ist das Berghotel Rudolfshütte – und natürlich die Berge im Stubachtal. Eine weitere halbe Stunde in der Gondel bringt uns tief hinein in den Nationalpark Hohe Tauern, vorbei an Grasbergen und felsigen Gipfeln – bis hinauf zum Fuß der Weißsee-Gletscherwelt.
Von allen Seiten ragen weiße Spitzen in den Himmel. Wohin man den Kopf auch dreht: Berge, Berge, Berge – soweit das Auge reicht. Man ist im wahrsten Sinn des Wortes eingekesselt von diesen besonders schönen Gipfeln – und mittendrin liegt das Berghotel Rudolfshütte auf 2.315 m.
Wie der Name schon verrät: Die Rudolfshütte ist irgendwie Hotel und irgendwie Hütte. Sie ist ein Hybrid aus beidem, weder ganz das eine noch ganz das andere. Der Schuhraum liegt neben der Sauna, seinen Welcome-Drink genießt man mit Blick auf 22 Gipfel und kaum aus dem geräumigen Doppelzimmer getreten hängt man quasi schon in der Wand der gigantischen hauseigenen Kletterwand.
Jenny, die Hotel-Direktorin respektive Hüttenwirtin, ist seit 3 Jahren auf der Rudolfshütte. Es ist schon herausfordernd hier oben, sagt sie. „So abgeschnitten von der Zivilisation muss man wirklich in der Lage dazu sein, eigenständig Lösungen zu finden.“ Man kann nicht mal eben so den Handwerker oder die Polizei rufen. „In der Ruhe liegt die Kraft“, erklärt Jenny. Und das strahlt die gebürtige Frankfurterin auch aus. So schnell scheint diese Frau nichts aus der Bahn zu werfen. „Man muss darauf vertrauen, dass alles gut wird.“
Mittlerweile hat sich auch Christian Jud, gebürtiger Uttendorfer und seit 25 Jahren Bergführer, zu uns gesellt. Bei einer Runde Zirbenschnaps besprechen wir die geplante Tour für den nächsten Tag. Das Besondere am Stubachtal ist: Man muss sich nicht für eine Disziplin entscheiden. Hier kann man wirklich alles haben. In unserem Fall ist das die Überschreitung von zwei Dreitausendern mit Wanderabschnitt, Gletscherpassage und Felskletterei.
Um 06:00 klingelt uns der Wecker aus dem Bett, eine Stunde später stehen wir abmarschbereit vor der Rudolfshütte. Über den St. Pöltner Ost-Weg steigen wir zum Sonnblickkees auf. Gletscherausrüstung an, weiter geht's. Kaum im Flow erreichen wir schon den Einstieg des Süd-Ost-Grats, der uns bei Kaiserwetter in leichter Felskletterei (Schwierigkeitsgrad 3+) auf den Gipfel der Granatspitze (3.086 m) führt.
Es ist einer jener Tage, an denen wirklich alles vollkommen ist. Wir queren zur Granatscharte und steigen über den Südgrat zum zweiten Gipfel auf. Um Schlag 12:00 mittags stehen wir auf dem Stubacher Sonnblick (3.088 m). Wir steigen über das obere Drittel des Nordgrats ab und nehmen dann den Normalweg über den Gletscher zurück zur Hütte – nicht ohne eine kurze Kneipp-Pause im Gletscherbach einzulegen.
Um 14:30, nach 1.200 Höhenmetern und rund 15 km, kommen wir wieder an der Hütte an. Wir sind uns einig: Das war eine der kurzweiligsten, weil abwechslungsreichsten Touren, die wir jemals unternommen haben. Ein bisschen Bergsteigen, ein bisschen Gletscher-Latschen, ein bisschen Klettern. Kurzum: Ein perfekter Tag. Und ich verstehe immer besser, warum Christian meint, er würde in der Großstadt untergehen. „Ich kann aus Wienern Bergsteiger machen, aber aus mir wird nie jemand einen Städter machen können.“
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