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Sieg und Niederlage in der Nordwand der Grandes Jorasses

Regionen

3 Min.

20.11.2021

Foto: Roland Vorlaufer

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Die Nordwand der Grandes Jorasses im Mont-Blanc-Massiv war eines der letzten großen „Probleme“ in den Alpen: Bis dem Münchner Rudolf Peters mit Martin Meier im Juni 1935 der erste Durchstieg gelang.

Reinhold Messner für das Bergwelten Magazin Dezember 2016/Jänner 2017

Seit Jahren strebt unser Sinn, unser ganzes Wünschen nach dieser Wand. Für uns ist sie die Wand der Wände, das höchste Ziel in den Alpen. Mit Leib und Leben wollten wir uns hierfür einsetzen und nicht weichen, ehe wir es geschafft haben. Wir wollen den Kampf und nehmen dafür jedes Maß von Mühsal und Gefahren gern auf uns“, schreibt Rudolf Peters 1935 über die Nordwand der Grandes Jorasses im Mont-Blanc-Gebiet.

Als ich ihn siebzig Jahre später in München besuche, erzählt er mir über Sieg und Niederlage an „seiner“ Wand: „Gustl Kröner hatte die 1.200 Meter hohe Nordwand als das begehrteste aller ‚Westalpenprobleme‘ bezeichnet. Die besten Alpinisten versuchten damals, eine Route durch die senkrechten Felsbarrieren und steilen Eisschilde zu finden.

1928 der Bergführer Armand Charlet aus Chamonix, dann die Münchner Leo Rittler und Hans Brehm 1931. Am 13. August entdecken Heckmair und Kröner eine erstarrte Hand, die aus dem Schnee ragt. Waren Ritter und Brehm von einer Lawine in die Tiefe gerissen worden? Als erste Opfer der Wand?

Trotzdem, Franzosen und Italiener wagen 1934 wie Heckmair, Steinauer und Meier weitere Versuche. Als ich mit Rudolf Haringer in die Wand unterhalb der Pointe Croz einsteige, sind noch sieben Bergsteiger unterwegs: Charlet, Belin, Gervasutti, Chabod und drei Österreicher. Das Rennen um den Sieg beginnt.

Im ersten Biwak fahre ich erschreckt empor, als mir ein feuchtes Seil übers Gesicht streift. Es ist schon Tag. Eine Gestalt am Grat über uns, weiter unten kommt der Begleiter nachgehastet, das Seil schleift über mein Gesicht. ‚Verdammt, der Charlet!‘, schimpft Haringer. ‚Der Bergführer aus Chamonix, angeblich ist er schon zwanzigmal in der Wand gewesen.‘

Haringer soll seine Steigeisen zurücklassen und mit seinen Schuhen mit klassischem TricouniBeschlag die Felsarbeit übernehmen, während ich mit den zwölfzackigen Eisen Eishänge und vereiste Felsrinnen zu bewältigen habe.“ Die Zwölfzacker sind das Stichwort. „Waren sie deine Erfindung?“, frage ich. „Jedenfalls waren sie selbst gebastelt.“ „Und stimmt es, dass du auch ein erstes Eisbeil dabeihattest?“ „Ja, selbst geschmiedet, meine Erfindung.“


Hagel in der Wand

Rudl Peters steht auf und geht aus dem Wohnzimmer. An der Wand hängt eine vergrößerte Fotografie der Grandes Jorasses mit seiner eingezeichneten Route. „Eine großartige Linie“, sage ich, als er zurückkommt. Er wiegt sein Eisbeil in den Händen. Statt der Haue ist ein Hammerkopf angeschweißt. „Mit diesem Eisbeil war ich beim Standbauen schneller.

Die Wand haben wir mit seiner Hilfe geknackt.“ „1935?“ „Ja, aber der Rückzug 1934 ist mein Trauma: Wir hatten die Lösung der Aufgabe greifbar vor uns, als sich das Schlimmste ereignete, was geschehen konnte. Im arglosen Hoffen plötzlich dunkle Schatten: Wolken über dem Grat, die unglaublich schnell wachsen, dann Hagelschauer!

Zuerst warten wir ab, keine Verständigung mehr, dann wie automatisch der verzweifelte Abstieg, beide Seile zusammengeknüpft. Bei diesem Rückzug froren unsere Kleider zu harten Panzern aus Eis, Neuschneelawinen rasten über uns hinweg, das Seil bis zum Zerreißen gespannt.

Ich bin gerade dabei, mit dem Eisbeil Stand zu schaffen, als Haringer im weichen Schnee ein paar Schritte quert, um nach einem Biwakplatz zu spähen. ‚Nimm das Seil!‘, rufe ich noch, aber er rutscht ab, wie im Schattenriss sehe ich, wie er sich über die Fersen dreht – nein! – und in die Tiefe fällt.

Der Schatten rast ins Dunkel, in das Nichts. Mit angehaltenem Atem horche ich – meine Nerven aufs Äußerste angespannt – und höre in dumpfen Schlägen den eigenen Herzschlag, dann unendlich fern, einen halb erstickten Schrei! Wieder Stille und das Rauschen gleitenden Schnees.“

Rudl Peters hält inne, sieht mich an – wie nur konnte er dieser Hölle entkommen?, frage ich mich. „Ein Jahr später ist dir die Wand dann gelungen“, sage ich ganz leise.


Ohne Zweifel das größte Wagnis

„Am 26. Juni 1935 bin ich mit Martin Meier am Einstieg der Jorasses-Wand: Föhnlage, die Eisfelder glänzen in der Sonne, die Felsen unter dem Ausstieg eine gelbsplittrige senkrechte Wandflucht. Mit einem Biwak, vom 28. und 29. Juni 1935, bewältigen wir den Aufstieg.

Die zwölfzackigen Steigeisen und das Eisbeil haben es ermöglicht. Schon am 1. und 2. Juli folgten die Schweizer Raymond Lambert und Loulou Boulaz sowie die Italiener Renato Chabod und Giusto Gervasutti. Sie konnten uns nicht einholen.“ Eine großartige Leistung“, sage ich.

„Für mich liegt immer noch etwas Düsteres über dieser Wand, das Geheimnis, warum ich es überlebt habe.“ 25 Versuche sind registriert worden, bevor Peters und Meier den Gipfel der Punta Margherita erreichten. Im Nebel am Gipfel richteten sie ein zweites Biwak ein und stiegen dann auf der italienischen Seite nach Courmayeur ab.

Die britische Tageszeitung „Times“ schrieb damals: „Ohne Zweifel das größte Wagnis, das bisher in den Alpen gelungen ist.“