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Foto: Claudia Ziegler
Bergportrait

Der Hochkönig in Salzburg

• 26. Oktober 2021
7 Min. Lesezeit

Eine Hütte auf dem Gipfel, Klettertouren für Nervenstarke, die Suche nach Kupfer als Motor für den Bergsport und warum Kräuter das wahre Gold der Alpen sind: Erkundungen rund um den Hochkönig in Salzburg.

Klaus Haselböck für das Bergweltenmagazin August/September 2020
 

„Entweder du liebst es, oder du hasst es. Aushalten kannst du es nicht“, meint Roman Kurz. Der Hang zu Hütten in exponierter Lage, wo man an Sonnentagen nie genug Betten hat und bei Schlechtwetter auch eine Woche ganz ohne Gäste bleibt, begleitet den gebürtigen Berchtesgadener schon länger: Sechs Jahre bewirtschaftete er das hoch über seiner Heimatgemeinde gelegene Watzmannhaus. Dort hinzukommen ist für viele schon gleichbedeutend mit der Besteigung des Gipfels – obwohl noch gut siebenhundert Höhenmeter bis ganz nach oben fehlen.

Mit dem Matrashaus, das Roman im November 1998 als Pächter übernommen hat, gibt es dieses Missverständnis nicht mehr: „Oben“ ist am 2.941 Meter hohen Hochkönig wirklich ganz oben, also dort, wo Gipfelkreuz und Hütte direkt nebeneinanderstehen. Gemeinsam ist beiden Bergen, dass sie in den Berchtesgadener Alpen liegen, der Watzmann noch in Bayern, der Hochkönig schon auf Salzburger Boden.

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Letzterer ist deren höchster Gipfel und zählt zu den prominentesten Bergen der Alpen. „Prominenz“ meint in diesem Fall nicht nur den Glamourfaktor eines Berges, sondern ist auch ein geografischer Begriff: Sie gibt an, wie tief es vom Gipfel über einen Verbindungsgrat maximal hinuntergeht, um den nächsthöheren Berg zu erreichen. Im Fall des Hochkönigs sind es 2.181Tiefenmeter bis nach Maishofen bei Zell am See, ehe mit der Wildkarspitze (3.073 m) der nächsthöhere Nachbar wartet. In den Alpen wird der Salzburger an solcher Prominenz nur vom Mont Blanc, dem Großglockner, dem Finsteraarhorn, der Wildspitze und dem Piz Bernina übertroffen. 

Bergsteiger wandern entlang eines kleines Bergsees.
Foto: Claudia Ziegler
Der Hochkönig vom Hochkeil aus. Hinten sieht man die bis zu 2.532 Meter hohen Mandlwände.

Royaler Respekt

Wie gut der Felsklotz zu dieser Runde passt, sieht man ihm vor allem von Süden aus an: Hier bricht das zwölf Quadratkilometer große Hochplateau mit tausend Meter hohen Felsplatten und Türmen zu den sattgrünen Almen in Richtung der Gemeinden Dienten und Mühlbach ab. Und angesichts der pittoresken Spitzen wie der Mandlwände, die wie die Zacken einer Krone in den blauen Himmel zeigen, ist der Name des Berges schnell erklärt. Touren auf den Hochkönig verlangen eine solide Kondition und alpine Erfahrung, kurzum: royalen Respekt.

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Das ist Eva-Maria Bürgler und Magdalena Schößwendter bewusst, als sie zu Sonnenaufgang beim Arthurhaus, oberhalb von Mühlbach, ihre Rucksäcke aus dem Auto nehmen. In fünf Stunden werden sie hinauf zum Gipfel gehen und im Matrashaus übernachten. Wandern, Klettern und Skitouren gehören für die beiden aus dem nahen Maria Alm stammenden Frauen im Jahreslauf fast schon zum Alltag. „Ich bin mit dem Berg da aufgewachsen“, sagt Magdalena lächelnd.

Für Eva-Maria war die Erichhütte, die ihre Verwandtschaft schon seit zwei Generationen führt, der Angelpunkt ihrer Kindheit. Diese liegt weiter im Westen, bei Dienten, und dort versammelt sich in den Sommermonaten eine bunte Schar an Gästen, die ein gemeinsames Ziel haben und meist eine etwas unruhige Nacht verbringen. Grund dafür ist eine gewisse Nervosität vor dem „Königsjodler“, einem der längsten und spektakulärsten Klettersteige der Alpen. Richard Franzl, ein Bergretter aus Dienten, setzte im Jahr 2001 mit seinem Team einen wahnwitzigen Plan eines Eisenweges um.

Dieser beginnt erst nach zwei Stunden Zustieg bei der Hochscharte und führt entlang von rund eineinhalb Kilometer Stahlseil in einem wilden Auf und Ab über die Teufelshörner zum Hohen Kopf auf 2.850 Metern. 

Der Bergsteiger marschiert auf einem Wanderweg.
Foto: Claudia Ziegler
Die aus Maria Alm stammende Magdalena Schößwendter steigt den langen Weg in Richtung Matrashaus hinauf.
Zwei Kletterer kurz vor dem Gipfel.
Foto: Claudia Ziegler
Magdalena (vorn) und Eva-Maria auf den letzten Metern des Königsjodler-Klettersteigs.

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Eiger-Nordwand der Eisenwege

Was ursprünglich als Übungssteig für die Bergrettung gedacht war, entwickelte sich zu einer Eiger-Nordwand für Klettersteiggeher. Dass der „Königsjodler“ ursprünglich gar nicht beworben werden sollte, ist längst vergessen – mit seiner Strahlkraft lockt er heute Aspiranten aus vielen europäischen Ländern, vor allem aus Polen und Ungarn, an. „Seitdem ist der Sonntag kein ruhiger Tag mehr“, meint dazu Hüttenwirt Roman Kurz trocken.

Vom Ausstieg des Steigs, wo die Knie meist schon weich und die Arme dick sind, könnte man gleich über das steile Birgkar hinuntergehen. Das ermöglicht zwar im Winter eine extreme Skiabfahrt, in der warmen Jahreszeit macht Steinschlag diese Route aber sehr heikel. Besser ist es daher, noch eine Dreiviertelstunde draufzulegen, dann ist nämlich bereits das Matrashaus erreicht. Und nach einem langen Tag am Klettersteig lernt man es als eine Oase in der alpinen Steinwüste besonders zu schätzen.

Angesichts der Höhe und der Exponiertheit des Hochkönigs ist auch das Wetter ein Faktor, den man gerade hier immer im Auge behalten sollte: Wie schnell es sich drehen kann, weiß der Hüttenwirt aus 22 Jahren eigener Beobachtung: „Einen Monat ohne Schnee habe ich nur einmal, im Juli 2003, hier heroben erlebt.“ Sieht Roman ein Risiko, rät er seinen Gästen ganz pragmatisch via Facebook-Seite des Matrashauses, die eine gute Infoquelle für die aktuellen Bedingungen ist, von einem Gipfelgang ab.

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Magdalena und Eva-Maria müssen sich nicht sorgen: Ein zartes Licht legt sich über die taugetränkten Wiesen und kündigt einen stabilen, fast windstillen Sommertag an. Nach einer kurzen Steigung kommen sie zur ersten und einzigen Einkehr der Tour. Die Kühe, die ringsum am frühen Morgen grasen, läuten mit ihren Glocken den Pflichtstopp auf der Mitterfeldalmein. Dass Käse, Butter, Topfen, Alm- und Sauermilch dort aus eigener Produktion direkt auf den Teller bzw. ins Glas kommen, verdoppelt den Genuss und ist so typisch für die hohe Dichte an bewirtschafteten Almen in der Hochkönig-Region. 

Das Matrashaus steht direkt neben dem Gipfelkreuz

Lebendig erhalten wird auch das traditionelle Kräuterwissen. Eine, die es pflegt und es sogar zu ihrem Beruf gemacht hat, ist Rosi Rainer. Den Obersteghof unweit von Maria Alm hat die gelernte Bürokauffrau vor zehn Jahren übernommen und zu einem Schaugarten umgestaltet für alles, was blüht, grünt und hilft. „Kapuzinerkresse ist ein natürliches Antibiotikum, von dem ich viel esse, um gut durchs Jahr zu kommen“, gibt Rosi bei einem Rundgang ihre eigenen Erfahrungen über das wahre Gold der Berge weiter.

„Salbei lindert Halsschmerzen, und mit Thymiantee ist man immer auf der richtigen Seite.“ Naturprodukte wie Salben, Sirupe und Kräutersalze stellt sie selbst her, und ihr Wissen gibt sie in Kursen weiter. Als Apotheke versteht Rosi, die am Bauernhof aufgewachsen ist, ihren Hof aber trotzdem nicht: „Ich möchte die Menschen dazu bringen, sich selbst zu helfen.“

Dass Magdalena und Eva-Maria sich Zeit nehmen, Blumen am Wegesrand zu bestimmen und vergnüglich über die ersten steileren Kehren hinaufspazieren, hätte in früheren Zeiten als Luxus gegolten: Weder Alpinisten noch findige Touristiker, sondern Bergleute waren die Ersten, die sich für Grabungsarbeiten in das Hochkönig-Massiv wagten.

Vor rund 4.000 Jahren baute man am nahen Hochkeil, wo heute im Winter die Skilifte surren, bereits Kupfererz ab und entfaltete einen regen Handel damit. 
 

Die Wirtin mit Gästen im Garten.
Foto: Claudia Ziegler
Rosi Rainer (ganz rechts) macht ihren Gästen das Kräuterwissen auch in Form ihres Gartens am Obersteghof bei Maria Alm zugänglich.

Kupfer, Wohlstand und Sport

Zwischendurch fiel der Bergbau in einen langen Dornröschenschlaf, ehe 1827 ein Bauer auf der Passhöhe des Mitterbergs glitzernde Steine im Bach fand. Was er für Gold hielt, identifizierte Joseph Zötl aus Pillersee in Tirol als Kupfer, gründete mit Unterstützung von 51 Geldgebern eine „bergrechtliche Gewerkschaft“ und begann selbst zu schürfen. Doch es brauchte Geduld. „Zwölf Jahre vergingen, ehe sie den ersten Kupfergang gefunden hatten“, so Erhard Plosky, Obmann des Bergbauvereins in Mühlbach und ein wandelndes Lexikon in Sachen Montanistik.

Der Ort war bis zur Schließung des Stollens im Jahr 1977, als der Aufwand für das Schürfen des Erzes letztlich zu hoch wurde, das Zentrum des Kupferbergbaus in Mitteleuropa. Die florierende Wirtschaft brachte die Straße von Bischofshofen in die Regionsowie Wohn- und Gasthäuser für die Arbeiter. Knappen errichteten auf dem Hochkönig-Gipfel 1865 eine einfache Schutzhütte für die Touristen, das Matrashauswurde als Kaiser-Jubiläums-Schutzhaus einige Jahre später gebaut.

Auch ein Motor für den Sport war der Bergbau: So hatte der Norweger Julius Emil Knudsen, 1908 als Bergwerksdirektor nach Mühlbach geholt, Ski im Gepäck. Diese eigneten sich zur Freude der lokalen Jugend zum Springen und Schwingen: Eine 40-Meter-Schanze, ein erster Skilift sowie die erste Skischule Salzburgs entstanden an den Hängen des Hochkönigs. Sportlich geht es heute am Hochkönig vor allem an der Torsäule zu, die Magdalena und Eva-Maria kurz vor der Hälfte der Tour erreichen. Die 500 Meter hohe Felsnadel ist der Hotspot der Alpinkletterer. 

Radfahrer am Weg zur Hütte.
Foto: Claudia Ziegler
Bike-Guide Max Klein (hinten) unterwegs mit einem Gast nahe Maria Alm vor dem Steinernen Meer.

Heiße Liebe

Georg Lehner, Physiotherapeut aus Werfen, und die Abtenauer Polizistin Michaela Essl sind in der Route „Heiße Liebe“ unterwegs, die in sieben Seillängen nach oben führt. Für Hochkönig-Verhältnisse ist die Absicherung gut, den oberen siebenten Grat sollte man aber sicher beherrschen und nervenstark sein, da der sehr geschlossene Fels keine zusätzlichen Sicherungsmittel zulässt. Und die Abstände zwischen den Haken sind trotzdem weit. Wie gesichert werden darf, wurde am Hochkönig erbittert diskutiert.

Albert Precht, dem hunderte Erstbegehungen am Bratschenkopf, der Torsäule und den Südwänden gelangen, war lange ein strikter Bohrhaken-Gegner, da er vor allem bei Erschließungen um den Abenteuercharakter des Kletterns fürchtete. Mittlerweile wurde ein Verhaltenskodex für vernünftiges Absichern beschlossen, und klassische Routen wurden saniert. Für Kletterer wie Michaela und Georg findet sich unter den dreißig Routen der Torsäule, die bis in den neunten Schwierigkeitsgrad reichen, ohnehin genug Raum für Erlebnisse: „Der Zapfen bietet alles, was man braucht.

Kletterer auf einer steilen Felswand.
Foto: Claudia Ziegler
Georg Lechner aus Werfen (links) und Michaela Essl aus Abtenau klettern in der Torsäulen-Tour „Heiße Liebe".

“Drei Stunden, einige Schneefelder, außerdem viele Felsblöcke sowie drei Leitern später begrüßt Hüttenwirt Roman Magdalena und Eva-Maria vor dem Matrashaus. „Wer hier raufkommt, erlebt die Wucht der Natur“, hören die beiden ihn sagen, während sie das 360-Grad-Panorama mit einem Ausblick, der vom Watzmann bis hin zum Großglockner reicht, einmal mehr fassungslos macht.

Das Schauspiel potenziert sich abends, als die Sonne exklusiv für den Hochkönig zu versinken scheint und die Bergspitzen in blutrotes Licht packt. Roman füllt seine Speicherkarte mit Fotos, als wäre er das erste Mal am Gipfel, und murmelt, dass er für Sonnenuntergänge lebe. Solange diese gesichert sind, dürfte er seine Arbeit am höchsten Punkt der Berchtesgadener Alpen auch weiterhin lieben.

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