72 Stunden in St. Moritz
Alle denken nur an Luxus, Glamour und Jetset-Flair. Doch der Nobelort im Engadin kann noch mehr: Ski- statt Schaulaufen zwischen den Dreitausendern.
Sissi Pärsch für das Bergweltenmagazin Dezember/Jänner 2019/20
Tag 1
15 Uhr: Show & Stille
Einmal im Leben sollte man das schon gesehen haben. Kein Schnee glitzert so eindringlich wie der von St. Moritz. Hier ist der Glamour zu Hause und die Noblesse. Hier spielt man Polo und trägt Pelz. Hier wurde der Wintertourismus geboren, wurden Geschichten geschrieben – um Lebemann Gunter Sachs und seinen berüchtigten Dracula Club, um Brigitte Bardot und Charlie Chaplin und all die anderen Schönen und Reichen.
So hoch die Preise sein mögen – die Anziehungskraft ist höher. Was ist dran an dem Skiort, der das Schaulaufen wie kein anderer versteht? Wer im Oberengadin, auf 1.856 Metern, ankommt, dem wird zunächst bewusst, dass in dieser Kulisse selbst der schillerndste Star nur eine kleine Nebenrolle spielen kann. Um Piz Rosatsch (3.123 m) im Süden und Piz Nair (3.056 m) im Norden breitet sich eine sensationelle Bergszenerie aus. Im Tal der St. Moritzersee, einer von vieren der Engadiner Seenplatte, der im Winter unter dickem Eis und Weiß verschwindet.
Für die einen ist die Eisdecke Laufsteg, für uns Auftakt zur Wanderung zum kleinen Stazersee, dem Lej da Staz, im Wald oberhalb des Westufers. Um die VIP-Zelte auf dem St. Moritzersee versteckt sich noch der Nobelgast hinter großen Sonnenbrillen – perfekt frisiert, die Füße in Fell-Boots, den Hund an der Leine. Ein Stück weiter wird es schnell gewohnter: Menschen langlaufen, schieben Kinderwagen und ziehen Schlitten.
Die gigantischen Grand Hotels verschwinden langsam aus dem Augenwinkel, und schließlich tauchen wir ein in den idyllischen Stazerwald, der sich für den kleinen See lichtet. Die Langlaufloipe führt hier direkt vorbei, das Ufer-Restaurant hat Liegestühle aufgestellt, und der Steg wirkt wie aus einer Instagram-Story.
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19 Uhr:
Rustikal & raffiniert
Abends kehren wir in Surlej ein, das zwischen Champfèrer und Silvanersee am Fuße der Corvatsch-Bahnen liegt. Das Restaurant Bellavista ist entspannt und elegant, die Küche rustikal und raffiniert zugleich. Der Wirt serviert Wild aus der eigenen Jagd und zeigt uns, wo das Bündnerfleisch getrocknet wird. Der Abend streckt sich, die Bäuche wölben sich.
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Tag 2
7.45 Uhr:
Ski statt Chichi
Der Tag beginnt sehr früh und mit der Erkenntnis, dass St. Moritz mehr Ski als Chichi ist. Die erste Bahn, die um 7.45 Uhr auf die schon komplett von der Sonne eingenommene Corviglia-Seite führt, ist voll. Oben angekommen, verstreuen wir uns schnell auf den sensationell breiten Pisten. Von der Gipfelstation des Piz Nair mit der berühmten Steinbockstatue ziehen wir hinüber nach Paradiso. Der Start der Weltcup-Abfahrtsstrecke ist im Fels auszumachen. Zweihundert Höhenmeter mehr oder weniger senkrechter Fall, von null auf 140 Stundenkilometer in sechs Sekunden. Wir lassen uns etwas mehr Zeit.
12 Uhr:
Einkehr & Legenden
Einkehrschwung in der Alpina-Hütte: Das Herz der Hütte, das kleine steinerne Stübli, ist noch ein Relikt aus der Ursprungszeit, berühmter ist aber die Sonnenterrasse. Eine prägende Figur der St. Moritzer Skisportszene findet sich auch ein. Martin Berthod, 65, Ex-Skirennläufer und Vater der Ex-Skirennläufer Pascal und Marc Berthod.
Er war 38 Jahre lang in St. Moritz zuständig für die Sport- und Kulturveranstaltungen sowie Rennleiter von 54 Weltcup-Rennen – und natürlich der Weltmeisterschaften. Die hat er nach St. Moritz gebracht wie viele andere Events – unter anderem Cricket on Ice. „Im ersten Jahr hatten wir schon 200 Millionen Fernsehzuschauer weltweit.“ In St. Moritz denkt man weit über die Alpen hinaus. Er persönlich, sagt der frisch Pensionierte, schätze vor allem die Vielfalt. „Bei uns kann man alles machen – außer Tiefseetauchen.“
15 Uhr:
Palast mit Piz-Blick
Von den Skischuhen befreit, ist es Zeit, die Grandeur des Ortes zu besichtigen. Einer der besten Plätze dafür ist wohl das Badrutt’s Palace Hotel. Wir schlendern an Cartier und Valentino vorbei, umrunden einen Rolls-Royce und lassen Jimmy Choo den Vortritt, bevor wir die Lobby des 1896 eröffneten Fünf-Sterne-Palasts betreten. Die Terrasse bietet einen fantastischen Blick auf den See, gegenüber strahlen Piz Rosatsch und Piz Surlej. Wir bestellen einen Apéro.
19 Uhr:
Arabisch beim Italiener
Zum Abendessen sind wir im Laudinella, in sechs Restaurants gibt es hier alles von Raclette bis Sushi. Wir bestellen in der Pizzeria Caruso bei Chef Mohamed eine arabische Spezialität, die nicht auf der Karte steht: ägyptisches Moussaka – üppig und fein gewürzt.
Tag 3
10 Uhr:
Die Umrundung
Ewig langlaufen kann man rund um St. Moritz – und manch einer tut das auch. Eigentlich recht viele: Der Engadiner Skimarathon ist die zweitgrößte Laufveranstaltung der Welt. 14.200 Starter absolvieren die 42 Kilometer von Maloja über St. Moritz nach S-chanf. Unsere Schleife über Silser-, Silvaplaner- und Champfèrersee fällt mit ihren 12 Kilometern etwas bescheidener aus – aber nicht minder schön.
13 Uhr:
Schlemmen & shoppen
Zurück in St. Moritz-Dorf entdecken wir in einer Seitengasse das La Scarpetta. Hier diskutieren die Einheimischen bei einfachen, feinen Speisen über Bob-Rekorde und Nudelteige. In dem Laden gibt es auch Produkte von lokalen Manufakturen – gute Mitbringsel ebenso wie die Schoggi und die Nusstorte, die wir im Anschluss in der nahen Confiserie Hauser besorgen.
15 Uhr:
New York & St. Moritz
Gemälde kaufen werden wir wohl kaum, ansehen dürfen wir sie in der Galerie von Vito Schnabel dennoch in aller Ruhe. Der junge Kurator und Star der New Yorker Kunstszene hat 2015 in St. Moritz seine erste und einzige Galerie weltweit eröffnet. Hier präsentiert der US-Amerikaner in wechselnden Ausstellungen Künstler seines Landes.
Die Leiterin der Galerie, Sara Forsythe, führt stolz durch die klaren Räume im Obergeschoß, weiter in ein kleines Stübli und schließlich in das stimmungsvolle Kellergewölbe und gibt geduldig Auskunft zu Künstlern, Atelier „und allem – außer Vitos Privatleben“. (Infos: vitoschnabel.com)
17 Uhr:
Wo alles begann
Schräg gegenüber liegt der Kulm Country Club, ein denkmalgeschütztes Traditionshaus, das Star-Architekt und Wahl-St.-Moritzer Lord Norman Foster renoviert und erweitert hat. Er hat regelrecht ein Museum geschaffen: antike Bobs baumeln von den Decken, Holzski ruhen in den Ecken, und die Schwarz-Weiß-Bilder erzählen vom Aufstieg des Ortes zur weltberühmten Jetset-Hochburg.
Hier nahm einst der Wintertourismus seinen Anfang. Hotelier Johannes Badrutt versprach im Jahr 1864 seinen englischen Gästen, dass sie auch aus dem Winterurlaub braungebrannt heimkehren würden. Falls nicht, so seine Wette, würde er ihnen die Reisekosten erstatten. Sie kamen zu Weihnachten und blieben bis Ostern. Der Rest ist Geschichte. Wir greifen zur Sonnencreme auf der Terrasse des Clubs, trinken eine Schoggi und schauen den Schlittschuhläufern auf der Eisfläche zu, wie sie ihre Runden drehen. Es gibt wohl kaum einen passenderen Ort, ein Wochenende in St. Moritz ausklingen zu lassen als hier, wo alles begann.
Hotelier Johannes Badrutt versprach im Jahr 1864 seinen englischen Gästen, dass sie auch aus dem Winterurlaub braungebrannt heimkehren würden. Falls nicht, so seine Wette, würde er ihnen die Reisekosten erstatten. Sie kamen zu Weihnachten und blieben bis Ostern. Der Rest ist Geschichte. Wir greifen zur Sonnencreme auf der Terrasse des Clubs, trinken eine Schoggi und schauen den Schlittschuhläufern auf der Eisfläche zu, wie sie ihre Runden drehen. Es gibt wohl kaum einen passenderen Ort, ein Wochenende in St. Moritz ausklingen zu lassen als hier, wo alles begann.