Der Schatz vom Gasteinertal
Foto: Robert Maybach
Schon Kelten und Römer haben hier Gold und Silber abgebaut. Aber auch ohne ein Gramm Edelmetall in der Hosentasche kommt der Wanderer aus den Bergen reich zurück.
Harald Nachförg für das Bergweltenmagazin Februar 2016
Nördliche Kalkalpen, Liferer Steinberge, Hochkönig, Bischofsmütze, Dachstein, Traunstein, Ankogel, Sonnblick, Glockner. Unser Guide, der Erhard Röck, zeigt uns, was wir alles sehen können bei diesem Kaiserwetter. Mir ist das jetzt allerdings ehrlich gesagt wurscht. Wer gerade gläubig wird – und das wird man bei diesem Panorama –, den interessieren keine Details. Wir spazieren am Kamm des Gamskarkogels, des höchsten Grasbergs Europas, entlang – und ich finde das alles nur „supergeil“.
Klingt nach schlichtem Gemüt, hat aber eine tiefere Bedeutung. Ich war einen Tag zuvor in Bad Gastein auf den Spuren von Friedrich Liechtenstein unterwegs und bekam seinen Megahit „Supergeil“ einfach nicht aus dem Kopf – dazu aber später.
Und schon sind wir wieder am Gamskarkogel, mittlerweile auf dem Gipfel auf 2.467 Meter Seehöhe, wo sich auch die Gamskarkogelhütte befindet. Im Schutzhaus, das Erzherzog Johann 1828 errichten ließ und das zu den ältesten der Ostalpen zählt, gibt’s Bodenständiges vom Feinsten. Wir kriegen sofort einen Topf kräftiger Gemüsesuppe hingestellt, und spätestens jetzt sind der Robert (der Fotograf) und ich froh, dass wir mit dem Erhard und seiner Gruppe ein Stückl mitgegangen sind.
Unter uns: Die ganze Route hätten wir nicht gepackt. Der Erhard ist nämlich mit ein paar Berserkern unterwegs. „Swedish army“, sagt einer. Sie werden beim Abstieg auf zwei Weicheier verzichten können, denke ich. Schließlich wollen wir die Tour nicht im Laufschritt beenden.
Am liebsten würden wir überhaupt ins Tal getragen werden, so wie seinerzeit Kaiserin Sisi, die auch schon hier oben war.
Stichwort Promis. Sofern man sie selber gehen ließ, stiegen sie sich im Gasteinertal auf die Zehen, vor allem in Bad Gastein. Kaiser, Könige, Fürsten, Bundeskanzler, orientalische Potentaten, Philosophen, Filmstars, Literaten, Komponisten und, und, und. Das Monte Carlo der Alpen, wie man den mondänen Kurort nannte, war hip. Für Johann Strauß ebenso wie für Liza Minelli, für den Schah von Persien ebenso wie für Greta Garbo, für Thomas Mann und Frank Sinatra ebenso wie ... Schluss jetzt. Ist ja lange her.
Wo das Wasser aufwärts rinnt
Heute machen den Glanz des Ortes noch immer die großartigen Belle-Epoque-Bauwerke aus – davon verfallen jedoch viele. Traurig auch das Bild, das der Betonbunker namens Kongresszentrum mitten in Bad Gastein bietet.
Die Gesichtszüge erhellen sich aber sofort wieder, wenn man rüberschaut aufs Grand Hotel de l’Europe. Allein die Fassade des zehnstöckigen Prunkbaus lässt dich sofort von einer anderen Zeit und Welt träumen. Du hörst die Klingel beim Concierge, du siehst elegant gekleidete Damen und Herren ein- und ausgehen und am Roulettetisch ein Vermögen verspielen.
Selbst wenn der Hotelbetrieb längst eingestellt ist – drinnen wird die Vergangenheit wieder lebendig. Und das kann man schon supergeil finden, so wie eben der Künstler Friedrich Liechtenstein, der hier sein geniales Elektropop-Album „Bad Gastein“ präsentiert hat. Ich empfehle bei dieser Gelegenheit, auf YouTube „Das Badeschloss“ anzuklicken, das zum Teil in dem Jugendstilkasten spielt. „Wir sind auf dieser Welt, um die falschen Frauen zu lieben“, brummt der Entertainer da. Und am Ende fließt der gigantische Wasserfall, der mitten durch den Kurort rauscht, aufwärts. Muss man gesehen haben.
Man sollte sich für die tosenden Wasserkaskaden, die Bad Gastein wuchtig in zwei Teile schneiden und nicht unwesentlich zur Aura des Orts beitragen, überhaupt einmal Zeit nehmen – und am besten am wildromantischen Wasserfallweg flanieren. Er führt die Gasteiner Ache entlang, deren Oberlauf das Nassfelder-Tal durchzieht, in dem auch Sportgastein liegt. Und ein riesiger Parkplatz.
Er sei einem ans Herz gelegt, weil sich hier der Ausgangspunkt für Dutzende Touren aller Schwierigkeitsgrade befindet. Wir wählen diesmal eine knieschonende Variante. Für Hannes Buchner und Doris Höhenwarter die Babyleichte, darum haben sie auch gleich ihre fünf Monate alte Tochter Valentina mitgenommen. Noch dazu im Kinderwagen. Auf der eineinhalbstündigen Wanderung hat er kaum Grund zu bocken – so viel zum Gelände aus der Sicht eines Sportbuggys.
Wir, die wir auf dem Naturschaulehrpfad entlang des Nassfeldbachs bis zur Moaralm und am anderen Ufer wieder zurückspazieren, empfinden poetischer. Würzige Luft, Kuhglockengebimmel, das Plätschern des Wassers – das Wort „lustwandeln“ bekommt hier in der grandiosen Landschaft des Nationalparks Hohe Tauern einen tieferen Sinn.
Noch dazu lernen wir was. Über den Saumhandel in der Eisenzeit, über den bäuerlichen Strukturwandel, über die Tier- und Pflanzenwelt. Und was nicht auf den Schautafeln steht, wissen die Doris (sie ist die Geschäftsführerin vom Tourismusbüro Bad Gastein) und der Hannes (er ist Wanderführer).
Und wie sehr man profitiert, wenn man so einen Experten an seiner Seite hat, sehen wir auch am Hans Naglmayr. Wir begleiten ihn am nächsten Tag zu den Bockhartseen. Der Hans ist der Typ Naturbursche, dem man sein Leben anvertraut. Dazu braucht er nicht einmal einen Schritt zu gehen – man weiß instinktiv: Bei diesem Mann bist du in guten Händen. Nicht dass wir Angst hätten, von einem Steinadler – den wir später beobachten werden – angefallen zu werden, aber wenn doch ... der Hans wüsste, was zu tun ist.
Ruhig und bedächtig schreitet er voran, es wird mitunter als zügig empfunden. „Langsamer gehen kann ich nicht, sonst fall ich um“, sagt er und grinst. Außerdem bleiben wir eh alle paar Meter stehen. „Wir müssen ja keine Rekorde brechen, sondern sollten einmal hinschauen, was es rechts und links des Weges gibt, sollten uns Zeit nehmen...“ Stimmt.
Wie lange ist es her, dass man ein Spinnennetz genau betrachtet hat, eine Blüte, einen Käfer? Übersehen kann man jetzt nichts. Der Hans ist in seinem Element. „Da, ein Dukatenfalter!“ „Hört ihr das? Das ist eine Tannenmeise?“ „Riecht ihr den harzigen Duft des Waldes?“ „Das ist Blutwurz – sie wurde gegen Skorbut verwendet.“ Ja, auch welches Kräutlein gegen welches Wehwehchen wirkt, weiß er.
Auf den Spuren der Knappen
Sogar die Schuhe lässt uns der Hans ausziehen. Damit wir spüren, wie es sich anfühlt, über einen in der Eiszeit glatt geschliffenen Felsen, über Moos und durch eine Sumpflandschaft zu stapfen. „Da sind überall schon Knappen drübergegangen“, sagt er. Und schon widmen wir uns der Geschichte der Landschaft, in der bereits Kelten und Römer ihre Spuren hinterlassen haben. Riesige Abraumhalden vom Bergbau zum Beispiel.
Vom 14. bis in Mitte des 16. Jahrhunderts war die Blütezeit. 830 Kilo reines Gold und 2.700 Kilo Silber wurden 1557, in einem der besten Jahre, ans Tageslicht gefördert. Händisch. 5.000 Leute waren beschäftigt. Rackerten sich ab, um aus einer Tonne Golderz 2 bis 12 Gramm reines Gold rauszuholen.
Wir brauchen uns jetzt zum Glück nicht mehr abzurackern. Gut, der Rückweg kann noch ein bissl mühsam werden. Aber den Oberen Bockhartsee auf 2.070 Metern haben wir erreicht, haben unsere Füße ins glasklare, eiskalte Wasser getaucht und lassen uns nun in der Bockhartseehütte den Apfelstrudel schmecken.
Auch ohne ein Gramm Gold in der Tasche fühlen wir uns reich. Reich an Wissen, das wir vermittelt bekamen, und reich an großartigen Momenten, die wir aus dem Gasteinertal mit nach Hause nehmen. Herr Liechtenstein würde sagen, es war supergeil!
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