Die Steirische Krakau: ein verstecktes Hochtal
Foto: Florian Lierzer
Es gibt sie noch, die idyllischen Hochtäler mitten in den Alpen, die fast niemand kennt und wo man als Besucher ganz entspannt empfangen wird. Auf Entdeckungsreise durch die Steirische Krakau.
Wolfgang Gemünd für das Bergwelten-Magazin Oktober/November 2018
Wer in die Krakau fährt, wird nicht einmal, sondern gleich dreimal überrascht. Erste Überraschung: Man fährt nicht in den Süden von Polen, sondern in den Westen der Steiermark. Das Murtal hinauf, fast bis an die Grenze zu Salzburg, ein kurzer Schlenker nach Norden: Hier, im Süden der Schladminger Tauern, liegt auf einem Hochplateau die Steirische Krakau. Drei kleine Dörfer, die ein kurvenreiches Straßerl sowie ein üppiges Quantum an Weidevieh, Aussicht und Idylle gemeinsam haben.
Zweite Überraschung: Kann man Höhe fühlen? Anfahrt, Panorama und Vegetation ergeben wohl so etwas wie ein Bauchgefühl über die Seehöhe des Standortes. In der Krakau sind es zum Beispiel gefühlte 800 m. Auf dem Schild an der Tourismusinfo in Krakaudorf steht aber: 1.320 m! Und auch die Berge, die das Krakautal einrahmen, unterschätzt man ihrer eher sanften Formen wegen. Den Preber etwa, den höchsten Gipfel der Umgebung, taxiert der Bauch auf gut 2.000 m Höhe. Tatsächlich sind es 2.740 m.
Dritte Überraschung: Mit den Temperaturen scheint auch etwas nicht zu stimmen: Für die Höhe ist es tagsüber zu warm. Doch das Thermometer lügt nicht. Das breite Hochtal ist nach Süden offen und wird gen Norden von den Schladminger Tauern gut abgeschirmt. Ein alter Wetterspruch in der Krakau lautet: „Hot da Preber an Huat, wird’s Wetter guat. Hot da Preber an Sabl, wird’s Wetter miserabel.“
Vor allem im Herbst hängt sich der Preber nur selten einen Säbel um, setzt sich dafür aber meistens einen Wolkenhut auf, man erfreut sich also sehr stabiler Schönwetterlagen. Dazu kommt, dass der Nebel unten im Murtal hängen bleibt, am Hochplateau hat es deshalb gerne zehn, fünfzehn Grad mehr als unten im Tal.
Der Vorteil des Spätzünders
Hinter den Gipfeln im Norden liegt Schladming, und es trifft es ganz gut, wenn man die Krakau als die ruhigere, bodenständigere und vor allem entspanntere Schwester von Schladming bezeichnet. Der Tourismus hat hüben wie drüben recht früh hergefunden, Anfang des letzten Jahrhunderts nämlich. Aber während in den 1950er-Jahren auf der Planai die ersten Skilifte gebaut wurden, gab es in der Krakau noch nicht einmal eine asphaltierte Straße.
„Die Gäste sind damals noch von Murau mit Pferdekarren abgeholt worden“, erzählt Peter Siebenhofer, unser Wanderführer zum Hochmoor. In den 1970er-Jahren sind dann auch in der Krakau zwei Skilifte errichtet worden, mehr sind es bis heute nicht. Die meisten Urlauber sieht das Hochplateau denn auch in schneefreien Monaten, wenngleich die Gegend als Skitouren-Dorado gilt und der Winter im Beliebtheitswettbewerb aufholt.
Wie in anderen abgeschiedenen Tälern wurde die spät gewachsene Infrastruktur lange Zeit als Fluch empfunden. Inzwischen entdeckt man aber die vorteilhaften Seiten der Entwicklung. Im Krakautal gibt es nichts, was auf Masse oder Mega zielt. Das größte Hotel hat 85 Betten, es gibt viele kleine Vermieter und Urlaub-am-Bauernhof-Betriebe. Investiert wird in sanfte Formen des Naturerlebens, wie in die Beschilderung und Pflege der Wanderwege oder die Anschaffung von E-Bikes.
Kurz: Der Tourismus präsentiert sich in der Krakau in freundlichem Ausmaß. Wenig wird hier inszeniert, vieles präsentiert sich noch sehr ursprünglich. Denn auch wenn im Hochsommer viel zu tun ist, ist man hier weit entfernt von Massenabfertigung. Wanderer, die beispielsweise von der Schladminger Seite über die Niederen Tauern ins Hochtal kommen, empfinden die Unaufgeregtheit, mit der sie in den Hütten und Wirtshäusern der Region empfangen und bedient werden, als ziemlich angenehm.
Die Krakauer aus der Steiermark sind mit ihrer Region stark verbunden (ein Indiz ist das hier noch intensiv gepflegte Brauchtum), aber gleichzeitig auch sehr offen. Eine sympathische Mischung: Die Gastgeber freuen sich sichtlich über Besuch und haben stets Tipps und Empfehlungen parat. Etwa, dass man seinen Besuch danach ausrichten sollte, am Schattensee das berühmte Wasserscheibenschießen zu erleben: Von einem Ufer des Sees wird auf das Spiegelbild einer Zielscheibe am anderen Ufer geschossen – die Kugel prallt auf der Wasseroberfläche ab und trifft die Scheibe.
Verwunschene Wälder
Der entspannte, aufmerksame Umgang mit der Natur, der Zeit und den Gästen entwickelt einen eigenen Reiz, der eine begehrte Klientel anlockt. „Wir haben in der Krakau einen ungewöhnlich hohen Anteil an Stammgästen“, meint Werner Stiller, der Patron des Stigenwirths, der selbst eine Art Stammgast ist: Vor 29 Jahren hat er ins Krakautal gefunden und ist der Gegend seither treu geblieben. Zu den Stammgästen zählen auch Filmcrews. „In den letzten Jahren haben wir eigentlich immer mindestens ein Team zu Gast gehabt“, erzählt Stiller.
Ein wesentlicher Grund für die Beliebtheit der Krakau bei Locationscouts dürfte wohl die Vielfalt an Landschaften sein. Auf dem Weg zu den Wildenkarseen wandert man etwa durch einen der größten Zirbenwälder Österreichs. Auf der anderen Seite des Hochtals liegt am Rand des Überlinger Hochmoors ein Lärchenwald mit uralten Bäumen, vom Wind gebeugt, von Flechten behangen, vom Blitz gespalten und mit großer Wahrscheinlichkeit von Feen und Kobolden behaust.
Zwischen den Wäldern schmiegen sich Almen an die Hänge, jetzt im Herbst vom Weidevieh verlassen, aber noch voll von seinen Spuren: kurzgefressene Weiden, Fladen, Hufspuren in feuchter Erde. Über der Baumgrenze breiten sich riesige Latschenfelder aus und darüber flechtenbedecktes Gestein, das den Gipfeln eine grünlich graue Färbung verleiht.
Und überall finden sich Seen, jeder mit ganz eigenem Charakter. Wenig durchflossene Seen wie der Schattensee, die sich schnell erwärmen können und daher im Sommer als Badeplätze genutzt werden. Moorseen wie der Dürrenecksee, die schon fast vom Sumpf erobert worden sind und deren Ufer von schwimmenden Torfmoosbeständen gesäumt sind, die mattenartig miteinander verfilzt sind und beim Begehen zu schwingen begingen.
Romantische Waldseen wie der Etrachsee, in dem am Abend die zahlreichen Forellen nach Mücken schnappen. Und natürlich die vielen Bergseen wie die beiden kristallklaren Wildenkarseen, die sich in der Früh mit einer Eisschicht präsentieren, auf dem Rückweg aber – Stichwort Südlage – überraschend vom Eis befreit sind. Aber im Überraschen ist die Steirische Krakau ja besonders gut.
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