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Mit Ski und Zelt durchs Steinerne Meer

Regionen

4 Min.

22.11.2021

Foto: Elias Holzknecht

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Manche Gipfel sind nicht direkt von den Vorposten der Zivilisation aus erreichbar: eine winterliche Durchquerung des Steinernen Meeres in Salzburg, weit weg von Rucksackkruschtlern und Dauerschnarchern.

Christian Thiele für das Bergwelten-Magazin Februar/März 2017

Chicken Tikka? Couscous? Pasta Primavera? Oder Irish Stew? Die Entscheidung fällt verdammt schwer.

Andererseits: Es ist ein Luxusproblem, auf 2.000 Meter Seehöhe – in völliger Einsamkeit, abgesehen von ein paar Milliarden Sternen, die auf uns aufpassen – zwischen Indisch, Italienisch und Irisch wählen zu müssen.

Also machen wir es, wie es Bergkameraden nun einmal tun: Jeder kriegt irgendwas, und dann probiert und teilt man alles. Ein kurzes Prost – immerhin gibt es die Wahl zwischen Sangiovese und Cabernet, – und plötzlich ist die vorher noch so lustige Runde ganz still, nur die Löffel klappern.

In Daunenjacken eingepackt, schauen wir in unsere Essensportionen, die Stirnlampen leuchten ein kleines weißes Loch in die Dunkelheit der Nacht, die Wärme des Essens kriecht in den Bauch, den Kopf, die Zehen. „Sehr fein, dein Chicken Tikka!“ – „Ned schlecht, deine Primavera!“ – „Du, dein Stew kannst selber zsammessn.“

Plötzlich wird die Runde wieder wach und laut, es wird gescherzt und gelacht, der Tag hat ein gutes Ende genommen. Wir – vier Tiroler, eine Tirolerin und ein Bayer – sind mit Skiern und Zelt in Salzburg unterwegs. Vom Dießbach-Stausee ober Weißbach bei Lofer über das Riemannhaus Richtung Hochkönig soll es gehen.

Eine einsame, mühsame, aber schöne Durchquerung des Steinernen Meeres, das ist das Ziel. Zwei Tage haben wir Zeit – für länger reichen die Chicken Tikkas, die Irish Stews, die Kaminwurzen und die Gummibärchen nicht – obwohl: die Gummibärchen vielleicht schon.

Aber allein damit macht man auch keine Höhenmeter. Die erste Überraschung, als wir noch vor dem Morgengrauen aus Lofer hinaufgefahren sind: Das Hochplateau liegt unter einer fetten, festen weißen Decke.

Hier hat jemand Schnee für uns gebunkert – viel mehr, als im Tal zu erahnen war. Die zweite Überraschung: Niemand außer uns scheint sich dafür zu interessieren. Wir sind und bleiben zwei Tage komplett allein.

Was den Genuss natürlich gleich verdreifacht, mindestens. Außerdem ist das Wetter viel besser als angesagt: Schicht um Schicht lädt uns die aufgehende Sonne zur Entmummung ein, dabei ist der Weg durch den Lärchenwald gar nicht so steil.

„Gewaltig ist das hier“, sagt Andi, „nicht so steil und so finster wie bei uns im Ötztal.“ Für den Aufschwung nach dem See haben wir die Harscheisen angelegt. Der Durchschlupf zum Ingolstädter Haus, den Adrian gefunden hat, ist hingegen so flach und so bequem, dass man ihn auch mit Filzpatschen gehen könnte.

Hier zeigt sich bald, woher das Steinerne Meer seinen Namen hat: Buckel und Mulden wechseln einander so rhythmisch ab, als wären es Wellen. Nur eben in Weiß. Und ohne Fischbude.


Sturm ist angesagt

Die Rucksäcke drücken schwerer auf den Rücken als erhofft. Sturm ist angesagt. Also nehmen wir bald ein Hochplateau in den Blick, auf dem wir unsere Zelte aufbauen. Schnee schmelzen, Wasser kochen, selbst beim Expeditionskaffee haben wir die Auswahl zwischen brasilianisch und äthiopisch.

Es dauert gefühlte siebenmal so lang wie unten im Tal. Schmeckt aber dafür siebenundsiebzigmal so gut hier heroben bei den Hardcore-Skitourengehern. Wer will, kann ein paar Nachmittagshöhenmeter fürs Tourenbuch runterreißen.

Wer nicht will, kann ein Erholungsnickerchen machen. Oder einfach nur in die Dämmerung stieren. Und sich nach dem Essen schnell ins Zelt kuscheln. Wegen Wärme. Und wegen Nachtschlaf: Um vier Uhr wird der Wecker klingeln. Warum eigentlich auf Skitour zelten?, habe ich mich mittags gefragt, als wir uns hinaufmühten zum Ingolstädter Haus. Warum das Mehr an Material, Gewicht und Logistik?

Aber die Sinnfrage sollte man sich als Alpinist ohnehin nicht stellen – die führt zu nichts. Außerdem ist es ein schönes Erlebnis, so reduziert in der Höhe zu schlafen – weit weg von Dauerschnarchern, Ruchsackkruschtlern,  Mitternachtspieslern, die einen auf Hüttentouren so umgeben.

Sich selbst zurechtfinden ohne Lawinenlagebericht, Handyempfang und vorgezeichneten Tourenpfad. Und manche Gipfel sind eben nicht direkt von Hütten, Straßen oder anderen Vorposten der Zivilisation aus zu erreichen. Im Geist überlege ich mir schon die nächsten Touren mit Zelt.

Wohlig und zufrieden kuschle ich mich in den Schlafsack, das E-Book packe ich nach drei Sätzen weg und sinke in den Schlaf. Vielleicht, weil es hier heroben keinen Kirchturm gibt, klopft der Föhnsturm punkt Mitternacht an. Genauer gesagt: Er reißt und zerrt an unseren Zelten.

Im Geiste sehen wir die Ski und die Stecken quer über das Hochplateau wirbeln.Genauer nachsehen mag jetzt niemand. Ganz so wild war der Sturm dann doch nicht, am nächsten Morgen ist alles noch an seinem Platz. Und auch sonst war die Nacht kuscheliger als befürchtet:

Das Zelt hat stand-, die Matratze warm, der Schlafsack trocken gehalten. Nur der Gaskocher hat über Nacht geleckt, so gibt es nur eine Gemeinschaftstasse Kaffee. Tee kochen? Die Zeit nehmen wir uns jetzt nicht. Zelt abbauen, Felle aufziehen, Stirnlampen einschalten.

Wie ein Rudel übergroßer Glühwürmchen ziehen wir durch die verblassende Nacht auf den Doppelgipfel der  Schindlköpfe hinauf, das erste und einzige Gipfelziel unserer Tour.


Durchquerungskitzel

Milchiges Morgengrauen weicht bald klarem Himmel. Und dann geht es in die erste Abfahrt, die Sonne hat schon ein paar Zentimeter Firn aufgebacken, „Mascarpone“ würden die Italiener zu diesem Schnee sagen – zum Dahinschmelzen. Nebel zieht herauf, schnell noch einmal Karte und Kompass herausholen, damit wir orientiert sind, bevor wir in der Suppe verschwinden.

Einer peilt von hinten, einer legt vorn die Spur, von der wir hoffen, dass es die richtige ist – Durchquerungskitzel! Aber kaum haben sich unsere Peil- und Orientierungsroutinen eingespielt, reißt der Himmel auf. Und wir stellen fest: So schlecht sind wir nicht gelegen – wir sind auf direkter Spur zum Riemannhaus.

Aber wir sind langsamer unterwegs als geplant, für Nachmittag ist wieder Schlechtwetter angesagt. Also fahren wir ab. Der Schnee ist eher so na ja, wir mogeln uns zum Riemannhaus – zum Glück ist hier keiner, der diesem skifahrerischen Trauerspiel beiwohnen muss.

Dann geht es steil hinab nach Maria Alm, ein paar letzte südseitige Schwünge – und schon ist unser Abenteuer zu Ende. Ich freue mich auf die nächsten Skitouren ohne Zelt – und dann bald wieder auf eine mit. Und mit doppelter Ration Chicken Tikka.