Winter im Gasteiner Tal
Foto: Sam Strauss
Bad Gastein im Salzburger Pongau, einst das Monte Carlo der Alpen, erlebt eine Renaissance. Auf dem Graukogel und den Hausbergen der Einheimischen öffnen sich herrliche Hänge zum Freeriden und schöne Anstiege für Tourengeher.
Anja Kröll für das Bergwelten Magazin Dezember/Jänner 2018/19
Der 2.492 Meter hohe „Monte Grau“ oder einfach „Grau“, wie der Graukogel von Einheimischen liebevoll genannt wird, zieht einen schon bei der Anreise in seinen Bann. Mächtig rückt sich der Hausberg der Bad Gasteiner von links ins Panoramabild. Ein Platzhirsch, in dessen Schatten sich die Häuser Bad Gasteins wie Spielzeugmodelle in den Steilhang fügen.
Warum der Ort im Salzburger Pongau als „Monte Carlo der Alpen“ gilt, erschließt sich allen, die diesen Anblick genossen haben. Bad Gastein bildet mit Bad Hofgastein und Dorfgastein das an die vierzig Kilometer lange Gasteinertal. Es hat bewegte Zeiten hinter sich: einst das Urlaubsdomizil von Kaiserin Sisi, mondäner Weltkurort und Tummelplatz von Prominenten wie Liza Minnelli, dem Schah von Persien oder Falco, bis für die 4.000-Einwohner-Gemeinde der Stillstand kam.
Der Verfall schien unaufhaltsam, als das Ortszentrum an einen Wiener Investor verkauft wurde und die einst so strahlenden Belle-Époque-Bauten nur noch vor sich hin bröckelten. Diese Gefahr ist mittlerweile gebannt. Der morbide Charme, der den ehemaligen Weltkurort lange umgab, hat neue Investoren und Gäste angelockt. Sommerfrischler, Kunstliebhaber – all jene, die das Unverfälschte abseits der Massen suchen.
1. Gasteiner PremierenDer erste Sessellift, die erste Ski-WM im TV
Unverfälschtheit – ein Gefühl, das einem auch am Graukogel begegnet: Naturschnee statt Schneekanonen. Sessellift statt Skizirkus. Ein Charakterberg mit Geschichte erschließt sich mit jedem Höhenmeter, den man zurücklegt – und mit jeder Erzählung, die von Doris Höhenwarter, Geschäftsführerin des Tourismusverbands Bad Gastein, beigesteuert wird.
„1958 wurde der Hausberg der Bad Gasteiner zum Schauplatz der ersten Ski-WM, die im Fernsehen übertragen wurde“, sagt Höhenwarter und setzt einen Ski vor den anderen. Bereits 1946 war es eine andere alpine Premiere, die hier stattfand: die Errichtung des ersten Sessellifts Österreichs. „Weil die Urväter diesen der amerikanischen Besatzung im Pinzgau abkauften und am Graukogel neu errichten ließen“, erzählt die Tourismusexpertin.
Eine Art Urvater der Jetztzeit erwartet einen auch, wenn man nach einem Anstieg von gut 900 Höhenmetern die Tourenski abschnallt und vor der Graukogelhütte durchschnauft. „Ja griaß enk“, sagt Franz Weiss, seines Zeichens Hüttenwirt. Die charakteristische Zirbenlandschaft findet sich wenig später hoch konzentriert in einem Stamperl wieder – als Zirbenschnaps, natürlich selbst gebrannt.
Dazu gibt es Hausmannskost und Erzählungen vom Toni – das Sailer versteht sich hier von selbst: Die Kitzbüheler Ski-Legende hat bei der Gasteiner Weltmeisterschaft vor sechzig Jahren drei Goldmedaillen gewonnen. Neben einer Statue vor der Graukogelhütte wurde im Inneren sogar ein eigenes Stüberl für den Toni eingerichtet.
Nicht nur das Innere der Hütte, auch das Innere des Berges hat es in sich: Die Gasteiner Thermalquellen, die Bad Gastein seinen Status als Weltkurort einbrachten, haben hier ihren Ursprung. Im Bereich von Graukogel und Hüttenkogel in rund 1.800 Meter Höhe versickert das Niederschlagswasser, sinkt bis in eine Tiefe von 2.000 Metern ab, erwärmt sich und kehrt in 1.000 Meter Höhe im Bereich des Badbergs, eines Vorbergs des Graukogels, aus 18 verschiedenen Quellen wieder an die Oberfläche zurück: fünf Millionen Liter pro Tag mit einer wohlig warmen Temperatur von 44 bis 47 Grad Celsius.
Und während man sich gedanklich schon in den heißen Becken der Felsentherme Bad Gastein sieht, holt einen Hüttenwirt Weiss mit seinen Erzählungen wieder auf die Skipiste zurück: Mit Medaillen und Rennen kennt er sich nämlich aus. Franz Weiss ist es zu verdanken, dass auch heute Jagd auf Trophäen in Bad Gastein gemacht wird.
Seit dem Jahr 2001 gastiert der Snowboard-Worldcup auf eine Initiative des Hüttenwirts hin alljährlich auf der gegenüberliegenden Seite des Graukogels, am Fuße des Stubnerkogels. Stubnerkogel, Graukogel, Sportgastein: Sie sind jene drei Skigebiete, die Bad Gastein bestimmen.
2. Gasteiner GoldVon Knappenrösseln und frühen Snowboards
„Aber das erste Snowboard, das findet man in Böckstein“, sagt Michael Hemm mit einem verschmitzten Lächeln. Hemm hat sein Reich gut 15 Minuten entfernt vom Graukogel, in der ehemaligen Bergbausiedlung Böckstein, die am Beginn der Mautstraße nach Sportgastein liegt. Mit einer Bergstation auf fast 2.700 Metern ist es das höchstgelegene Gebiet des Skiverbunds Amadé und das Freeride-Mekka des Gasteinertals.
Im 16. Jahrhundert war es noch die Heimat von gut 3.000 Bergleuten, die hier nach Gold schürften. Von deren Leben berichtet Hemm seit 27 Jahren bei Führungen durch das Montanmuseum Böckstein, dessen Kustos der 88-Jährige ist. Was auch die Geschichte mit dem ersten Snowboard erklärt. In der Vitrine vor Hemm ist ein unscheinbares Holzbrett zu sehen. „Mit dem sind die Bergleute früher den Berg hinuntergerutscht. Sie nannten es damals Knappenrössel. Aber heute könnte man wohl Snowboard dazu sagen“, erklärt Hemm.
Zwischen 1342 und 1945 seien insgesamt 60 Tonnen Gold aus den Gasteiner Bergen geholt worden. Auch jetzt würde noch einiges an Gold in den Dreitausendern liegen. „Aber Gold lässt sich nur mit Gift trennen – und wer will hier schon eine Giftindustrie haben“, sagt Michael Hemm. Hellwach wirkt er, und auch wenn es eiskalt in dem mit Schindeln gedeckten Haus ist, hat er immer wieder eine neue Geschichte auf Lager.
So wie jene von den 29 Knöpfen auf der Uniform der Bergarbeiter. „Die heilige Barbara ist die Schutzpatronin der Bergleute. Sie wurde mit 29 Jahren von ihrem Vater geköpft, weil sie gegen seinen Willen zum Christentum ‚übergelaufen‘ war.“
3. Gasteiner PowderFreeriden für Fortgeschrittene
Weit weniger grausam sind da die Erzählungen von Hannes, der als Guide für den heutigen Tag auf einem „echten“ Snowboard auf gut 2.700 Meter Höhe neben der Sportgasteiner Bergstation wartet. „Die Menschen suchen immer mehr das Unverbrauchte, die Nähe zur Natur, das einzigartige Panorama der Berge, und genau das finden sie in Sportgastein“, erklärt Hannes, ehe er die ersten Schwünge in die Tiefschneehänge der Nordabfahrt zieht.
Steil und wegen ihrer Länge konditionell herausfordernd, ist die Abfahrt nur für geübte Skifahrer zu empfehlen. Ebenso wie der zweite Freeride-Run, der für Sportgastein legendär ist: jener ins Weißenbachtal. An der Bergstation geht es unter der Gondelbahn durch Richtung Süden. Gerade im Frühling locken Firnhänge, die ihresgleichen suchen. Aber auch Felsabbrüche, die Vorsicht verlangen.
Das Skigebiet Sportgastein am südlichen Ende des Gasteinertals, das neben dem Graukogel als der Lieblingsplatz unter Einheimischen gilt, wurde im Jahr 1972 vom Bad Gasteiner Bürgermeister Anton Kerschbaumer erschlossen. Schneearme Winter hatten die Verantwortlichen zum Handeln gezwungen – bereits damals mit dem Hintergedanken, eine Verbindung zum Schareck zu nutzen.
Bis heute gibt es diese Verbindung nicht, Thema bleibt sie weiterhin, und regelmäßig lässt sie die Gemüter hochgehen. Was Sportgastein als Freeride-Gebiet auszeichnet, ist, dass man nicht mit anderen Off-Piste-Fahrern im Stau steht. Es ist ein Mikrokosmos, in dem das Wetter wie die Natur rau ist, in dem der Wind so heftig blasen kann wie in keinem anderen Teil des Tals. Dann bleibt die Gondel außer Betrieb. Weil hier die Natur Regie führt.
4. Gasteiner GenussEin Wirt reist um die Welt und kommt zurück
Doch heute lautet die Regieanweisung: perfekter Sonnenschein. Und den genießt man während einer Pause in Sportgastein am besten im Valeriehaus am Talplateau. Man sitzt im Liegestuhl direkt neben der Höhenloipe, wo Langläufer im klassischen Stil oder beim Skating ihre Runden ziehen, und lässt sich von Otto und Liene Klaffenböck kulinarisch verwöhnen.
Im März und April sind die besten Plätze für Sonnenanbeter nicht selten schon am frühen Morgen belegt. Seit sieben Jahren führen die dreifachen Eltern das Valeriehaus und haben aus einer einst zugigen Schupfe eine Skihütte gemacht, die mit viel Holz an den Wänden und Hirschmotiven auf den Eckbänken Wärme und Gemütlichkeit ausstrahlt.
Dass Wirt Otto einmal in Bad Gastein sesshaft wird, war dabei nicht immer absehbar. Er leitete Restaurants in Amsterdam und in New York und begleitete den Formel-1-Zirkus rund um die Welt, ehe es ihn zurück in die Heimat verschlug. Den Gästen des Valeriehauses kommen die Auslandserfahrungen des Chefs zugute: Hier ist kein Tiefkühlgermknödel-Skihütten-Flair angesagt, sondern Service auf höchstem Niveau.
„Es ist für mich einfach schön, meine Gäste vor dieser einzigartigen Kulisse der Alpen zu verwöhnen“, sagt der 41-Jährige, während er Kasnocken und Tiroler Gröstl serviert.
Wie notwendig die kulinarische Stärkung ist, merkt man wenig später, wenn einem Manuela Petutschnig zum x-ten Mal ein Wort zuruft: „Matte“. Diese Matte soll dafür sorgen, dass man bremst, während man, gezogen von vier Siberian Huskys, auf den Kufen eines Hundeschlittens steht.
Die 37-Jährige, die von allen nur Manu genannt wird, und ihr Team bieten in Sportgastein Interessierten die Möglichkeit, die ersten Versuche als Musher, als Schlittenhundeführer, zu wagen. Wer nun glaubt, man sitze dabei gemütlich im Schlitten und lasse sich ziehen, irrt. „Das hier heißt Hundeschlittensport. Die Betonung liegt auf Sport“, sagt Manu, rückt ihre Haube mit der Aufschrift „Happy Dog“ zurecht und widmet sich wieder ihren Vierbeinern Barbie, Niki, Eagle, Camper, Sniper, Chris und Kola.
Die Hunde winseln schon seit Minuten vor lauter Vorfreude, endlich losrennen zu dürfen. Doch noch ist Geduld angesagt. Denn vorher gibt es für den Laien eine genaue Einschulung. Petutschnig weiß, wovon sie redet: Seit 2009 fährt die Dorfgasteinerin selbst Schlittenhunderennen. In der Klasse von sechs bis acht Hunden tut das neben ihr nur noch eine weitere Frau in Europa. Grob geschätzt sind gerade einmal zehn Prozent der Musher Frauen.
5. Gasteiner RudelMit Matte und O-Beinen – Hundeschlitten fahren
Zwei Stunden dauert es, bis man die Einschulung hinter sich hat. Möglichst elegant versucht man, auf den Kufen des Hundeschlittens zu balancieren, im Schlittschuhschritt zu bremsen, mit Matte oder ohne. Und im schlimmsten Fall die Krallenbremse zu betätigen. Allerdings mit der Warnung von Manu im Hinterkopf, dass es einen dann in den vorderen Teil des Schlittens katapultieren könnte.
Also Augen gerade nach vorn auf die Hunde, die Hand elegant und flink zur Matte gleiten lassen, O-Beine machen, die Matte dazwischen hinunterfallen lassen, Blickkontakt zu den Hunden nicht verlieren, im eleganten Schlittschuhschritt auf die Matte steigen, nicht die Balance am Schlitten verlieren und bremsen. Klingt kompliziert, ist nach ein paar Übungsrunden aber verinnerlicht.
Vor zwanzig Jahren entdeckte Manu ihre Liebe zu den Hunden. Weil der Familien-Jagdhund bei ihren Expeditionen in den Bergen immer so fror, kam sie auf einen Husky. „Der hat mich bei der ersten Skitour gleich davonzaht“, sagt Manu und lacht. Und weil ein Husky eben ein Rudelhund ist, kamen immer mehr Artgenossen dazu.
Heute lebt die Familie Petutschnig mit zwanzig Tieren. Dreimal die Woche sind Manus Kenntnisse für Touristen buchbar. Zweimal trainiert sie mit ihrem Rudel, indem sie zwölf Kilometer fährt, und an den restlichen zwei Tagen haben die Tiere ihre verdiente Ruhe. Die Familie Petutschnig züchtet mittlerweile auch selbst Hunde, mit einem polnischen Husky.
„Die Hunde aus dem Osten sind enorm gut. Die haben in ihren Ländern den Status von Weltklasse-Fußballern“, sagt Manu. Wobei Fußballer Lionel Messi ihrer Hundedame Niki, der tierischen Schönheit mit einem blauen und einem braunen Auge, niemals das Wasser reichen könnte, ist die Schlittenhundeführerin überzeugt.
Mit der Jagd auf Gold hat übrigens auch die Familie Petutschnig Erfahrungen. 2017 holte Manus Tochter Alina bei der Schlittenhunde-Weltmeisterschaft Bronze. Erzählt ihre Mutter davon, dann strahlt der Sieg noch ein bisschen mehr. Fast wie eine der drei Goldmedaillen vom Toni am Graukogel.
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