Ein Berg. Ein Projekt. Ein Ziel
Im Rahmen der Präsentation der neuen Mammut „Eiger Extreme Kollektion“ haben Bergwelten und Mammut drei Plätze für die Besteigung des Eiger via Mittellegigrat ausgeschrieben. 3.730 Bewerbungen wurden eingesendet. 8 Monate, ein Bootcamp und viele Trainingseinheiten später, stehen die drei Gewinner auf dem Gipfel des Kalkgiganten und können ihr Glück kaum fassen.
DER BERG
Kein anderer Berg in den Alpen verkörpert mehr Extreme als der Eiger (3.967 m). So galt die Eiger Nordwand lange Zeit als das letzte große Problem des damals aufblühenden Alpinismus. Nicht zuletzt ist es aber der brüchige Felsens und das rasch wechselnde Wetter, warum die Besteigung des Eiger seinen eigenen Regeln folgt. 1995 entwickelt das Schweizer Bergsportunternehmen Mammut eine spezielle Outerwear-Linie für extreme Verhältnisse. nach dem Berg benannt hat: Eiger Extreme.
DAS PROJEKT: WIE ALLES BEGANN
Im Oktober 2017 präsentierte das Schweizer Traditionsunternehmen Mammut die vierte Generation ihrer Eiger Extreme Kollektion – Bergsportbekleidung speziell für hochalpine Abenteuer. Grund genug den Namen zum Programm zu machen. Und so rief man gemeinsam mit Bergwelten zur Besteigung des Eiger im Sommer 2018 aus. Zwar nicht durch die Eiger-Nordwand, aber über den nicht minder spektakulären Mittellegigrat. Anfang Dezember wählte eine Fachjury aus 3.730 Bewerbungen zwölf Kandidaten aus, die per anschließendem Online-Voting auf die Gunst der Bergwelten-Leser hofften. Am 1. Februar 2018 war es dann soweit und die drei Eiger-Aspiranten standen fest: Sonngrit Böhme (D), Corinna Haas (CH) und Christoph Miller (AT). Gemeinsam mit Bergführern der Mammut Alpine School sollten sie im Juli auf den Eiger steigen.
BOOTCAMP EIGER
Wer einen Berg wie den Eiger besteigen will, sollte ausreichend vorbereitet sein. Denn die Besteigung erfordert von den Teilnehmern nicht nur physisches Geschick und ausdauernde Kondition, sondern auch eine mentale Stärke, die der extremen Ausgesetztheit des Mittelegigrates standhalten soll. Und wo könnten sich die drei Gipfelstürmer besser vorbereiten, als am Fuße des Eigers selbst? Anfang März wurden Corinna, Sonngrit und Christoph in die Schweiz eingeladen, um an einem dreitägigen „Bootcamp“ teilzunehmen. Dabei wurden die Gipfelstürmer von Kopf bis Fuß mit der neuen „Eiger Extreme“-Kollektion ausgestattet, lernten ihre zukünftigen Bergführer kennen und übten den Umgang mit Steigeisen am Fels. Den abschließenden Höhepunkt stellte die Winterbesteigung des 4.107 m hohen Mönch in der Jungfrau-Region dar. Bei ungetrübt blauem Himmel und perfekten Bedingungen erreichen die drei Eiger-Aspiranten den Gipfel des Mönch – nun steht der Eroberung des Mittellegigrats nichts mehr im Wege.
DIE BESTEIGUNG
ANKUNFT
Die Teilnehmer und Bergführer haben sich bereits am Vorabend auf der Kleinen Scheidegg, am Fuße der Eiger Nordwand, eingefunden. Nach einem ausgiebigen Abendmahl werden die letzten Vorkehrungen getroffen: das Material wird überprüft, die Route ein letztes Mal besprochen und der Marschtee für den nächsten Morgen in die Thermoskannen gefüllt. Die untergehende Sonne lässt die Nordwände des Eiger und Wetterhorn (3.692 m) feuerrot aufleuchten. Die Vorfreude ist groß und doch ist die Stimmung ein wenig angespannt. Nur Christoph, der junge Mann aus dem Pinzgau sieht der Sache gelassen entgegen: „Wird scho ois guat gehen“, so seine letzten Worte bevor er sich ins Matratzenlager verzieht. Der Rest der Teilnehmer folgt ihm wenig später nach.
TAG 1 – AUFSTIEG ZUR MITTELLEGIHÜTTE
6.29 Uhr
Die Sonne bahnt sich gerade ihren Weg um die Ostflanke des Lauberhorns (2.472 m). Ein einsamer, weit gestreuter Lichtstrahl. Schön wie ich finde und noch viel schöner finde ich den Geruch von frischem Kaffee, der aus der Küche aufsteigt. Erst einmal frühstücken.
7:55 Uhr
Wir sitzen in der ersten Jungfraubahn des Tages in Richtung Eiger. Die im Jahr 1912 errichtete Zahnradbahn führt von der Kleinen Scheidegg durch den Eiger und Mönch bis auf das Jungfrauloch – der höchsten Eisenbahnstation Europas auf 3.454 m. Über 7 Kilometer Tunnelsystem verlaufen in einer großen Rechtskurve durch das mächtige Bergmassiv und überwinden dabei knapp 1.500 Höhenmeter. Archetoktinsche Meisterleistung oder Größenwahn angesichts des aufblühenden Bergtourismus Anfang des letzten Jahrhunderts? Der Kontrolleur reißt mich aus meinen Tagträumen und mit einem leichten Rumpler setzt sich die Bahn langsam in Bewegung.
8:33 Uhr
Wir verlassen den Zug bei der Station Eismeer auf 3.158 m. Hier werden Klettergurt sowie Helm angelegt und die Bergführer binden die Teilnehmer ins kurze Seil. Durch einen dunklen Stollen verlassen wir den Untertagebau und steigen hinab auf den Eismeer-Gletscher. Es geht los.
9:40 Uhr
Das Licht ist grell. Die Albedo von Schnee ist bekanntlich gen 1 und so wird beinahe jeder einzelne Photonenstrahl an der Oberfläche reflektiert, während die dunklen Gläser unserer Sonnenbrillen das Licht aufnehmen und gestreut zurückwerfen. Die Aussicht über den Gletscher ist weitläufig, fast schon malerisch. Die Szenerie erinnert mich an die Gemälde von Caspar Wolf, dem die Schweizer Gletscher in beliebtes Motiv waren. Unterhalb der Eiger-Südwand bahnt sich die Gletscherzunge ihren Weg Richtung Tal. Stumm und leise – möchte man meinen. In Wirklichkeit kracht und donnert die Eismasse alle paar Minuten auf, so als ob sie zu uns sprechen wollen würde: „Hallo ich lebe noch, auch wenn ihr mir in den letzten 100 Jarhen das Leben schwer gemacht habt, aber noch bin ich hier“, doch das ist eine andere Geschichte.
10:11 Uhr
Wir haben den Gletscher bereits verlassen und stehen vor der ersten Schlüsselstelle unserer Tour. Der Fels ist abgeschmiert oder brüchig, beides ungut. Doch die mit 4+ angeschriebene Kletterstelle entpuppt sich als ein leichtes Hindernis und so stehen wir wenig später unterhalb der Eiger-Südwand. Ein schmales Felsband weist uns den Weg, die Mittellegihütte bereits in Sichtweite.
10:32 Uhr
Der Fels ist noch immer brüchig und vermutlich wird sich daran nicht viel ändern, also stapfe ich meinem Bergführer Patrick fröhlich hinterher. Ich schätze er wiegt ca. 90 Kilogramm oder mehr, mein Kampfgewicht pendelt sich im Moment bei heißen 65 Kilogramm ein. Wenn ich stürze, wird er mich vermutlich halten können, sofern er einen Stand findet. Wenn er einen Fehler begeht, habe ich neben dem bröseligen Kalkstein ein weit größeres Problem. Ein Gedanke, der noch am selben Abend in der Hütte auf fruchtbaren Nährboden treffen wird.
10:49 Uhr
Die Gruppe bewegt sich harmonisch über das holprige Gelände. Plötzlich zieht ein Helikotper über unsere Köpfe hinweg. Patrick murmelt irgendetwas in Schwizerdütsch, das ich nicht verstehen kann. Schon interessant: Österreich und die Schweiz verbindet eine gemeinsame Grenze, doch in sprachlicher Hinsicht liegen kleine Welten zwischen den beiden Alpenländern. Die Mittellegihütte scheint in greifbarer Nähe.
11:03 Uhr
Wir erreichen die Hütte und werden von Hüttenwirtin Kai-Leonie herzlichst empfangen. Die junge Frau aus Bern ist den ganze Sommer hier heroben, allein. Die Hütte liegt auf 3.355 m, bietet 36 Schlafplätze und fasst nicht mehr als 60 m2 Fläche auf dem exponierten Nordostgrat. Letzte Woche hat das Wetter überraschend umgeschlagen und Kai musste mehrere Tage auf der Hütte ausharren. Mutterseelenallein. Während dem Unwetter hat der Blitz zweimal eingeschlagen und Kai hat die ganze Nacht kein Auge zugemacht. Ich frage mich, was eine junge Frau an so einen entlegenen Ort treibt? „Ich bin eigentlich nur durch Zufall hier gelandet“, wird sie später erzählen, denn die stuiderte Juristin, wollte schon immer auf einer Hütte arbeiten und irgendwie ist sie dann hier gelandet. Hier bleibt sie auch, sehr zur Freude vieler Bergsteiger, denn Kai kocht nicht nur hervorragend, sie hat auch ein bezauberndes Lächeln und eine herzerwärmende Ausstrahlung, die so gar nicht an einen rauen Ort wie den Mittellegigrat passt. Aber Gegensätze ziehen sich an bekanntlich an.
14:30 Uhr
„Aufpassen Robert, da geht’s weit hinunter“, ruft mir Bergführer „Moses“ zu, als ich mich an den Abgrund setze. Manche Menschen haben Probleme mit abfallenden Höhen, ich platziere mich am liebsten immer so knapp wie möglich an die Kante, irgendwie fühlt es sich dann fast wie fliegen an. Apropos fliegen, über der Hütte, weit oben in der Luft ziehen Paragleiter mit ihren bunten Schirmen ihre Runden. Manche segeln gediegen dahin und lassen sich von der Thermik tragen, während andere in steilen Kurven hinabfallen und wieder schnell nach oben steigen. Moses hat sich mittlerweile zu mir gesellt. In Wirklichkeit heisst Moses Markus Moosbrugger und ist der einzige Nicht-Schweizer unter den Bergführern. Er stammt aus dem Bregenzerwald und strahlt, seinem Spitznamen gerecht werdend, eine unglaubliche Ruhe und Gelassenheit aus. Seine Art erinnert an die vieler Bergführer, die ich in den Bergen kennenlernen durfte. Auf den ersten Blick reserviert, doch wenn das zwischenmenschliche Eis erst einmal gebrochen ist, sind sie alle ganz gesellige Menschen. Moses erzählt von anderen Bergen in weiter Ferne und warum es ihn trotzdem immer wieder zurück in die Heimat zieht. Konrad hat sich zwischenzeitlich zu uns gesetzt und spinnt den Erzählfaden weiter: aufgewachsen in Lenk im Simmertal, einer kleinen Gemeinde am Fuß des Wildstrubels, diente ihm die 3.243 m hohen Gebirgskette als Spielplatz erster alpiner Abenteuer. Die Liebe zu den Bergen hat Konrad frühzeitig erkennen lassen, dass ein Leben ohne Berge nicht vorstellbar ist und so lag die Berufswahl auf der Hand. Über 30 Jahre später hat er viele Berge bestiegen und Reisen in seinem Leben unternommen, unter anderem hat es ihn nach Tansania, Bolivien und Nepal verschlagen. Den Eiger besteigt er aber immer noch gerne, „vor allem seitdem Kai hier oben ist“, gibt er mir augenzwinkernd zu verstehen. Über die Nordwand des Eigers ziehen bereits dichte Wolken empor und schlussendlich kommen wir in unserem Gespräch zu dem Punkt, dass die Erstbesteiger nicht zwingend die besseren Kletterer oder Alpinisten gewesen sind, aber die Abenteuerlust damals unbändig und der Entdeckungsdrang unendlich groß war. Und vielleicht mag sich genau darin die Faszination rund um diese Menschen und diesen Berg begründen. „Der Eiger ist eben eigen“, meint Moses trocken und deutet an, dass wir aus der Sonne gehen sollten – die Strahlung hier oben ist doch weit stärker als unten im Tal. Just in dem Moment ruft Kai nach uns, frischer Kaffee ist aufgekocht und schon stehen wir alle drei wie gehörige Schulbuben in der Hütte.
17:05 Uhr
Ich sitze auf dem Dach der Biwakschachtel neben der Hütte. Die Aluminiumkonstruktion hat sich untertags von der Sonne aufgeladen und strahlt nun angenehme Wärme ab. Ein leichter Wind ist aufgezogen, die Sonne hat sich hinter den Wolken versteckt. Mittlerweile sind alle Bergsteiger auf der Mittellegihütte angekommen. Die letzten Ankömmlinge sind zwei junge Deutsche aus Stuttgart, die über den Ostgrat aufgesteigen sind. „Saubrüchig, aber cool“, so ihre Worte. Zwei junge Südtiroler sind kurz vor ihnen über dieselbe Route aufgestiegen, allerdings in Turnschuhen und von Grindelwald aus. „Seil haben wir dabei, aber bei solch brüchigem Fels gehen wir lieber seilfrei“, meint einer von ihnen, der trotz 2.000 Höhenmeter Kletterei so aussieht, als ob er gerade aus der Gondel ausgestiegen wäre. Am nächsten Tag werden die beiden als erste Gruppe starten und bereits in der Mönchshochhütte sitzen bevor wir den Gipfel erreicht haben.
18:30 Uhr
Abendessen: es gibt Gerstensuppe, Kartoffelpüree mit Bratwurst und Pflaumenkompott zum Nachtisch. Kai hat in der kleinen Küche ein dreigängiges Menü für 25 Menschen gezaubert, als ob es das einfachste auf der Welt wäre. Die vollen Mägen zeigen ihre Dankbarkeit indem sie ihr beim Abwasch zur Hand gehen. Kai strahlt zufrieden und beginnt mit der Vorbereitung des Frühstücks.
20:02 Uhr
In der Stube wird wild diskutiert, aber auf eine andere Art als ich es von österreichischen Berghütten gewohnt bin. Kein leeres Fachgesimpel, sondern ein bedachtes Artikulieren und Darlegen der unterschiedlichen Sichtweisen. Thema: das Gehen am kurzen Seil. Eine bergsteigerische Thematik, die seit Jahrzehnten debattiert wird und wohl auch an diesem Abend zu keiner einvernehmlichen Lösung kommen wird. Es ist ein ewiges Für und Wider. Die jungen Südtiroler Turnpatschenkletterer auf der einen Seite des Tisches, die älteren Bergführen und ihre Gewohnheiten auf der anderen. „Ein kurzes Seil ist Hundeleine“, geht es einem der Osttiroler dann doch durch und die Bergführer brechen in schallendes Gelächter aus. Hier treffen nicht nur zwei unterschiedliche Generationen von Bergsteigern, sondern auch verschiedene Herangehensweisen des Sicherns aufeinander. Während sich die einen in brüchigem Gelände ohne Sicherungshaken lieber seilfrei bewegen, sind die anderen davon überzeug einen Sturz im kurzen Seil aufzufangen und halten zu können. Die Unterhaltung wäre noch länger gegangen, wenn sich nicht die untergehende Sonne ihren Weg durch den Nebel gebahnt hätte und uns alle hinaus aus der Hütte zog. Vor unseren Augen liegt Grindelwald im Dunkeln, während die letzten Sonnenstrahlen die Mittellegihütte noch einmal küssen und vom Nebelschleier gestreut alles in sanftes Orange tauchen. Ein Anblick, den wir wohl nicht so schnell vergessen werden.
TAG 2 – TAG DER TAGE
4:20 Uhr
Noch ist es stockdunkel, doch auf der Mittellegihütte herrscht bereits reges Treiben. Während wir noch in der Küche an unserem Tee schlürfen, sind die ersten Bergsteiger bereits losgezogen. Da wir die größte Gruppe sind, werden wir die Hütte zuletzt verlassen.
4:42 Uhr
Im Licht der Stirnnlampen setzen wir uns in Bewegung. Beni und unser Kameramann Stephan ziehen vorne weg, dicht gefolgt von Konrad und Sonngrit sowie Moses und Chris. Die zweite Gruppe bilden Bergführer Flo, der Corina gerade ins Seil einbindet und zu guter Letzt sind Patrick und ich an der Reihe. Gut, dass meine Stirnlampe gerade jetzt beschließt den Geist aufzugeben und ich dazu gezwungen bin Patricks Schritten im Dunklen zu folgen. „Kletterst einfach auf Gefühl“, meint Patrick und grinst. Da ich kein Morgenmensch bin und auch ungern im Dunkeln tappe, sehe ich keinen Grund dafür sein Grinsen zu erwidern.
6:13 Uhr
Das Prozedere ist immer dasselbe: Losklettern, Sicherungen mitnehmen, im Standplatz einhängen (sofern vorhanden) und warten. Vor allem warten. Die Zeit zwischen den kurzen Kletterpassagen kommt mir teilweise wie eine halbe Ewigkeit vor und mein Körper kommt einfach nicht wirklich auf Touren. Aber so bleibt mir mehr Zeit die Aussicht zu genießen und Fotos zu machen. Nur leider will die Sonne heute nicht so recht zum Vorschein kommen. Im Westen stehen bereits Gewitterwolken, „wir sollten uns beeilen“, sage ich zu mir selbst.
6:44 Uhr
Beni hat gerade einen mannsgroßen Felsen unabsichtlich aus der stabilen Lage gebracht und der hat sich mit einem lauten Krawall in Richtung Südwand verabschiedet. Der Eigerfels wird vermutlich kein Gütesiegel hinsichtlich Stabilität und Kompaktheit erhalten, dafür ist die Sonne nun endlich zum Vorschein gekommen und wärmt uns den Rücken.
7:02 Uhr
Wir stehen am Fuße des großen Turms – der letzte große Anstieg vor dem Gipfel. Hinter uns liegt der Mittellegigrat und die Hütte. Geradlienig zieht der Grat nach unten, mit unzähligen Höckern und Zacken – wie der Rücken eines urzeitlichen Dinosauriers. Der höchste Zacken ist direkt vor uns und da wo der Kopf des Urzeitwesens sein könnte, führt der eisige Firngrat auf den Gipfel. Die Sonne hat sich wieder hinter den Wolken versteckt, dafür kann ich Chris und Moses am höchsten Punkt des Turms erkennen, während Corina und Flo noch im Fixseil ober unseren Köpfen klettern. Wieder warten.
7:31 Uhr
Kurz vor dem Gipfel. In einer kleinen Scharte haben wir unsere Steigeisen angelegt und stapfen den Grat entlang. Der Grat ist wesentlich breiter als ich es mir ausgemalt habe und vom eisigen Firn ist auch nicht mehr viel übriggeblieben. „Sehr wenig Schnee“, glaube ich von Patrick vor mir gehört zu haben. Wir gehen sehr knapp hintereinander, er macht einen Schritt vorwärts und ich steige in seine Fußspuren nach. Schritt für Schritt, so wie früher, als ich hinter meinem Vater hergegangen bin.
8:05 Uhr
Und auf einmal stehen wir auf dem Gipfel. Kein Gipfelkreuz oder irgendeine andere markante Stelle, bloß die höchste Erhebung eines Grates. Patrick beschließt kurzerhand seinen obligatorischen Gipfelkopfstand zu vollführen und ich drücke auf den Auslöser der Kamera. Plötzlich ein lautes Donnern, direkt über unseren Köpfen. Die Wolkenfront weiter westlich ist mittlerweile zu einer schwarzen Wand geworden und auf einmal schlägt die Stimmung um. Wir packen unsere Sachen zusammen und beginnen im Laufschritt mit dem Abstieg. Donner und Blitz sind an sich schon keine menschenfreundliche Umgebung und erst recht nicht auf knapp 4.000 Metern Höhe. Also runter, so schnell wie möglich.
9:10 Uhr
Schneesturm, Nebel. Wir haben uns nahe des nördlichen Eigerjochs hinter Felsen versteckt, die Steigeisen und Pickel zur Seite gelegt und versuchen uns warm zu halten. Solange Ladung in der Luft schwebt, ist an ein Weiterklettern nicht zu denken, also bleibt uns nichts anderes übrig als auszuharren. Da Corina und Flo vor Patrick und mir abgeseilt und etwas länger gebraucht haben, sind wir gerade erst zum Rest der Gruppe dazu gestoßen. Die Gewitter waren eigentlich für heute Nachmittag angekündigt, aber so ist das nunmal in den Bergen und schließlich hat der Eiger ja sein eigenes Wetter. Vor uns liegen noch drei Türme und eine Gletscherquerung bis zur schützenden Mönchsjochhütte. „Insgesamt noch 3 Stunden“, klärt mich Flo auf.
9:30 Uhr
Der Schneefall hat sich gelegt und der Nebel gelichtet. Die Gruppe beginnt sich wieder in Bewegung zu setzen und geschlossen treten wir den weiteren Abstieg an.
10:10 Uhr
„Yeah, richtig geile Winterbedingungen!“, ruft mir Benni zu, während wir auf einem Standplatz unterhalb des zweiten Turms warten. Ein Hoch auf seine Euphorie. Meine Handschuhe sind mittlerweile so nass (an dieser Stelle danke an Herrn Haselböck), dass ich sie wie ein altes Wettex auswinden kann, der Wind pfeift uns weiterhin um die Ohren und obwohl ich klettern zu meiner liebsten Fortbewegungen zählen darf, sehnt es mich im Moment eher nach einem warmen Tee und einem Dach überm Kopf. Aber Bergsteigen ist eben nicht klettern. Bergsteigen ist das ganze rund herum um einen Berg und ein bisschen klettern. Aber gerade dieses drum herum macht ein alpines Erlebnis aus und sorgt für eine Überdosis Endorphine wenn man wieder auf sicherem Untergrund steht. Bis dorthin heißt es eben Zähne zusammenbeißen und durch. Ein Tee wäre jetzt trotzdem nicht schlecht.
10:39 Uhr
Der Fels der Eigerjöcher ist anders, rauer Granit. Schöne Leisten, große Henkel und überall Tritte um die Zacken der Steigeisen richtig zu platzieren. Fast schon Genußkletterei, wenn meine Finger nicht schon längst taub wären. Ich frag mich wo die zwei Deutschen Kletterer sind, irgendwann auf halbem Aufstieg haben wir sie überholt und seit dem Gipfel waren sie nicht mehr gesehen. Vielleicht sind sie ja über den Westgrat und nicht die Eigerjöcher abgestiegen, sowie die französischen Bergführer vor uns.
10:51 Uhr
Der letzte Turm vor uns. Die Einstiegsstelle ist ein luftiger Boulderzug über die rechte Schulter und um die Ecke. Danach geht es in eine kleine steile Schneerinne nach oben und wenige Meter senkrechten Fels später stehen wir oben. Das wars, ich kann den Gletscher vor uns erkennen, ab jetzt nur noch bergab. Sonngritt, Chris und ihre Bergführer kann ich im Nebel vor uns erkennen: sie haben sich zu einer 4er-Seilschaft verbunden und queren bereits im Schnee über den Gletscher. Ober- und unterhalb ihrer Spuren klaffen Gletscherspalten so groß wie Omnibuse aus dem ewigen Eis. Eigentlich ein bizarrer Anblick. Was sucht der Mensch hier?
11:07 Uhr
Corinna, Flo, Patrick und ich legen die Rucksäcke ab, wir haben den Fels hinter uns gelassen und werden für die letzte Stunde Gletscherwandern auch eine gemeinsame Seilschaft bilden. Zwischen jedem Seilpartner werden Bremsknoten gebunden, sodass im Falle eines Spaltensturzes mehr Reibung und folglich eine erhöhte Reaktionszeit entsteht. So eine Gletscherspalte kann schon recht dunkel und kalt sein, darauf hat jetzt keiner mehr von uns Lust, lieber warm und trocken.
11:58 Uhr
Die letzten Meter zur Hütte, seitdem wir am Gletscher sind ist kein Wort mehr gesprochen worden. Jeder geht in sicherem Abstand zum nächsten für sich. Die Gedanken kreisen, ich dreh mich zu Patrick um und er hebt freudig den Arm in die Luft. Der Mittellegigrat, Gipfel und die Eigerjöcher tanzen ein Spiel mit den Nebelwolken. Da erkenne ich zwei gelbe Punkt im Abstieg des letzten Turms – unsere zwei deutschen Freunde. Bald haben sie es auch geschafft.
12:03 Uhr
Umarmungen, Handschläge, Schulterklopfen, großes Grinsen, viele strahlende Gesichter und irgendwo geht ein Zirbenschnaps die Runde. Wir sind alle am Ziel, gesund und glücklich. Die Endorphine spielen Ping-Pong in meinem Blutkreislauf. Ich muss mich hinsetzen, raus aus den Schuhen und dem nassen Gewand.
15:10 Uhr
Wir verteiben uns den Nachmittag mit trinken, essen, schlafen, lesen und Mikado spielen. Chris erweist sich als ein Goßmeister der Stäbchenkunst, während an Stephan und mir XYZ verloren gegangen ist. Irgendwann sind auch unsere Kräfte und Konzentration vorüber und wir suchen das Bettenlager auf. Abendessen ist sowieso erst in ein paar Stunden.
22:30 Uhr
Normalerweise treten nach einem langem Tag am Berg und anschließendem Essen komatöse Zustände bei mir auf. Heute Abend überwiegt jedoch die Euphorie – nicht nur bei mir, sondern bei der gesamte Gruppe. Nach dem Essen wurde die ein oder andere Flasche Wein geöffnet und der selbsgebraute Hüttenschnaps unter die Lupe genommen. Der Rest des Abends ist Geschichte und bedarf keiner weiteren Erläuterung. Schön war's auf jeden Fall.
TAG 3 – ABSCHIED
6:30 Uhr
Tagwache. Der Kopf brummt ein wenig, doch der Blick aus dem Fenster wirkt Wunder: Die Sonne zeigt sich von ihrer besten Seite und lässt die Gletscherlandschaft rund um uns in hellem Glanz erstrahlen. Der Mönch thront hinter der Hütte, ein paar Bergsteiger sind schon längst unterwegs zu ihm. Wir haben aber keine Eile, heute müssen wir bloß zum Jungfrauloch spazieren und mit der Bahn ins Tal abfahren. Während ich die Treppen zum Frühstücksraum hinabsteige melden sich meine Oberschenkel zu Wort. Ich bin eben doch Kletterer und kein Wanderer.
10:20 Uhr
Bahnhoff Kleine Scheidegg. Ein letztes Gruppenfoto, viele Umarmungen, großes Verabschieden. Hier trennen sich wieder unsere Wege und irgendwo habe ich das Gefühl sie werden sich wieder kreuzen. Nicht unbedingt hier, aber vielleicht auf irgendeinem anderen Berg. Bevor Stepahn und ich in den abfahrenden Zug nach Grund-Grindelwald steigen, drehe ich mich nochmals um und blicke auf die Nordwand des Eiger. Und irgendetwas sagt mir, dass ich wiederkommen werde/ wir uns auch nicht zum letzetn Mal gesehen haben.
Merci.
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