So geht Snowkiten
Skifahren in der dritten Dimension: Snowkiten bietet Spaß, Spektakel und die große Freiheit am Berg. Wo und wie man es lernen kann. Plus: ein Selbstversuch.
Werner Jessner für das Bergwelten-Magazin Februar/März 2019
Inhalt
10 Tipps für den Start
Beim Snowkiten gleitet man auf Ski oder Snowboard dahin, gezogen von einem Lenkdrachen. So schwer ist das in den Grundzügen gar nicht zu erlernen.
Schnuppern in einer Kite-Schule lohnt sich. Die Lernkurve ist steiler als im Selbstversuch, und man kann sich das Equipment ausborgen.
Die Schirmgröße liegt zwischen 5 und 17 Quadratmetern und berechnet sich aus Körpergewicht, Können, Windstärke und Revier.
Der Schirm ist der „Motor“, die Ski sind „Reifen und Lenkung“. Anfänger neigen dazu, mit dem Schirm lenken zu wollen. Das geht nur bis zu jenem Punkt gut, wo er den Wind verliert.
Immer die Checkliste abarbeiten: Ist der Schirm in Ordnung? Ist das Gelände sicher? Und, der wichtigste Punkt: Traue ich mir das zu?
Drei Dinge sind absolut tabu: Skipisten, bewaldetes Gebiet und Stromleitungen in der Nähe.
Hände und Finger weg von den Leinen. Wenn der Wind zu ziehen beginnt, werden diese zu Messern.
Stark taillierte Rennski machen die Kontrolle am Boden schwieriger als Powder-Ski. (Für den Beginner passt jeder Ski, denn so schnell wird man am Anfang ohnehin nicht.)
Tourengeher greifen wegen des kleineren Packmaßes zum Soft-Kite (alias Mattenschirm), Freestyler wegen des Performance-Plus zum Tube-Kite.
Im Gelände muss man den Schnee anders „lesen“ denn als Tourengeher: Durch die Windrichtung ist man manchmal gezwungen, Hänge zu traversieren, die man eigentlich nicht traversieren möchte. Lawinengefahr!
Ein Rückenprotektor ist für Könner unabdinglich – spätestens wenn man abzuheben beginnt.
Hier kann man besonders gut snowkiten
Obertauern, Salzburg: Auf 1.900 m liegt das Snowkite-Areal der Hangon-Kiteboardingschule, die Kurse für Anfänger und Fortgeschrittene gibt. Das Gebiet ist recht windsicher, weil hier die Süd- auf die Westströmung trifft.
Zell am See, Salzburg: Am zugefrorenen Zeller See kann man bei genug Eisstärke snowkiten. Die Kiteschule Skywalker bietet Kurse für alle Könnensstufen an und hat auch eine speziell auf Kitesurfer abgestimmte Einheit, um den Umstieg von flüssigem auf gefrorenes Wasser bestmöglich zu schaffen.
Wipptal, Tirol: In der Gemeinde Gries am Brenner gibt es zwei Kite-Spots: Anfänger und Fortgeschrittene üben unten im Dörfchen Nösslach und freuen sich über einen Funpark, während Profis oben am Nösslachjoch auf 2.150 Meter Seehöhe Spaß haben.
Achensee, Tirol: Das Snowkite-Areal befindet sich am Nordufer des Achensees und zeichnet sich durch gleichmäßige Windbedingungen aus. Von Weihnachten bis Anfang März bietet ein buntes Team rund um Szenegröße Michael Vogel Einsteigern bis Fortgeschrittenen unterschiedlichste Kurse an.
Stuhleck, Steiermark: Das Wien nächstgelegene Kite-Revier befindet sich am Stuhleck in der steirischen Semmering-Region. Tourengeher wissen, wie windig der Höhenzug rund um das Alois-Günther-Haus sein kann – ideal fürs Snowkiten.
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Selbst-Test: Wir haben Snowkiten ausprobiert
Die Kraft des Windes nutzen, um Hänge bergauf zu fetzen. Bergab meterhoch abheben wie die tollkühnen Burschen in YouTube-Videos. Tourenberge nicht nur einmal bezwingen, sondern mehrmals täglich. Auch im flachen Gelände Speed aufbauen, weil der Wind dein Motor ist.
Klingt alles total gut, aber auch furchtbar kompliziert für jemanden, der nicht einmal als Kind gut im Drachensteigen war. „In zwei Stunden fährst du“, versichert Florian Schmaldienst, Chef der 1999 von Toni Ully gegründeten Kite-Schule Hangon in Obertauern. Blutig war nur sein eigener Anfang, als der ehemalige Windsurfer 1997 in Südafrika die ersten Kitesurfer sah und nachahmte: „Ich bin Autodidakt. Es ging nicht anders, als durch Versuch und Irrtum zu lernen. Kite-Schulen waren hierzulande unbekannt.“
In den letzten 20 Jahren habe sich da extrem viel getan, sagt er und grinst. Und überhaupt sei Kiten im Winter leichter zu erlernen als im Sommer: „Auf Wasser fährst du nach fünf Tagen, auf Schnee nach einem, maximal zwei.“ Warum das so ist? Bist du im Wasser zu langsam, gehst du unter. Auf Schnee musst du höchstens den Kite neu auslegen und frisch aufziehen.
Also gut, packen wir es an. Florian hilft beim Anschnallen des Trapezes, eines breiten, bequemen Gurts, der zwischen den Beinen gesichert wird und an dessen Front sich ein Metallhaken befindet, in den später der Kite eingehängt wird. Gesteuert wird wie mit einem Fahrradlenker, nur dass der hier Bar heißt, erklärt Florian.
Von den Bar-Enden laufen die Leinen zum Schirm. Damit man in der später unweigerlich auftretenden Hektik weiß, wo links und rechts ist, sind die Seiten unmissverständlich markiert – bei unserem Modell durch eine rote Kugel auf der linken Seite. Man muss also nicht einmal hinsehen, um zu wissen, in welche Richtung man den Schirm ausdrehen muss, sollte er sich verheddert haben – zu tasten reicht. So weit sind wir aber noch nicht.
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Wie viel Wind ist genug?
Die Verbindung zwischen Trapez und Schirm erfolgt durch einen speziell geformten Ring und einen Kunststoff-Finger, genannt Chicken Loop. Woher der Name? „Die Pioniere des Sports waren der Meinung, dieses Sicherheitssystem sei nur etwas für Feiglinge, auf Englisch ‚chicken‘.“
Tatsächlich erlaubt der Chicken Loop, die Hauptverbindung zum Schirm halb zu kappen, sodass er zusammenfällt, sollte es brenzlig werden. „Wird es aber nicht“, sagt Florian. „Entspannt bleiben!“ Ihm steht ein kupiertes Areal auf der Sonnenseite von Obertauern zur Verfügung, fast einen Quadratkilometer groß.
Eine große plane Fläche davon ist perfekt von Pistengeräten präpariert, „damit du auch bei geringem Wind schön ins Gleiten kommst“. Der Himmel ist tiefblau, die Luft klirrend kalt, die Berge tief verschneit. Postkartenwetter, allerdings nahezu windstill. Wie viel Wind brauchen wir?
„Fünf Knoten reichen. Das ist das Gute an Obertauern: Hier haben wir eigentlich immer leichten Wind – entweder aus Nordwest oder Südost. Wir liegen hier genau an der Wetterscheide zwischen Westund Südströmung. Das ist auch der Grund für die Schneesicherheit: Egal woher der Niederschlag kommt, wir kriegen eigentlich immer etwas ab.
Die besten Windverhältnisse gibt es im Frühling, aber zwischen November und April kannst du hier an 80 Prozent aller Tage kiten.“ Das wollen wir auch, aber zuvor gilt es, den Schirm auszulegen und die Leinen zu kontrollieren. Beim Aufleinen des neuen Schirms könne man nur einen einzigen Fehler machen, sagt Florian, nämlich die Powerlines, die den Schirm beschleunigen, mit den Lenkleinen zu vertauschen.
Dann wird die Sache unkontrollierbar. Sicherheit hat auch hier absolute Priorität – am kleinen rot-weißen Softkite ist, wie zu erwarten war, alles in Ordnung. Jetzt hebt Florian die Anströmkante in den Wind: Der nur 500 Gramm schwere Mattenschirm fasst Luft und erhebt sich.
Erstmals bricht leichte Hektik aus: Wie steuert man dieses Ding? „Ruhig bleiben, entspannen!“, ermahnt Florian mit der Autorität seiner 48 Jahre und eines Lebens mit dem Wind. Die Arme ausstrecken, die Finger liegen ganz locker an der Bar: „Wenn du dich an der Bar festklammerst, machst du etwas falsch. Das ist beim Après-Ski nicht anders als beim Snowkiten.“
Durch Zug an den Enden dreht er den Kite in den Wind und wieder hinaus, in großen, schwingenden Manövern. „Immer in Bewegung halten, damit Zug aufgebaut wird. Mit diesem Zug wirst du in zwei Stunden hier herumfahren.“ Noch unvorstellbar, aber bitte, er wird’s schon wissen.
Nächste Übung: „Den Kite auf 12 Uhr stellen.“ Damit ist eine Art Ruheposition gemeint, in der der Kite stabil, aber nahezu schwebend über dem Kopf steht. Gar nicht so einfach, den Balancepunkt zu finden. Anfangs sind die Bewegungen viel zu hektisch; und statt ruhig zu schweben, trudelt der Kite zu Boden.
Aber auch das gehört zum Lernprogramm: den Schirm selbständig starten und die Leinen entwirren. Ganz schön anstrengend – sowohl geistig als auch körperlich. Eine Stunde lang in Skischuhen über ein Schneefeld zu stolpern fällt durchaus unter Sport, falls es daran Zweifel gab.
Dann kommt Florian mit den Skiern. „Stell dich 90 Grad gegen den Wind und steig in die Bindung.“ Snowkiten mit Skiern ist durch die gerade Körperposition sogar ein wenig leichter zu erlernen als mit dem Snowboard.
Wie die erste Fahrstunde
„Stell den Kite auf 12 Uhr.“ Leichter gesagt als getan, denn die Ski machen das Manövrieren schwieriger. „Und jetzt lass den Kite in großen, ruhigen Bewegungen zwischen 11 und 13 Uhr pendeln.“ Es tut sich was: Der Kite setzt sich in Bewegung – allerdings in die falsche Richtung. Also umdrehen, und zwar den Schirm – aber wie ging das noch schnell? Die Leinen verheddern sich, der Schirm trudelt zu Boden.
Also noch einmal. Starten, 12 Uhr, diesmal fliegt der Kite praktischerweise in die richtige Richtung los. Tatsächlich: Wir bewegen uns! Und immer an Florians Worte denken: Hände locker an der Bar, fließende, ruhige Bewegungen, Kite zwischen 11 und 13 Uhr pendeln lassen.
Aber wo war das noch einmal genau? Die eigene Positionsveränderung lässt das Hirn des Snowkite-Rookies auf Vollgas rechnen, selbst bei sehr geringen Geschwindigkeiten. Es fühlt sich geistig so anstrengend an wie die erste Stunde in der Fahrschule.
Der erste Richtungswechsel erfolgt dann beinahe von selbst. Der Kite will irgendwie die Richtung wechseln, also soll er halt. Platz genug ist ja. Erstaunlicherweise zeigen die Ski auch schon bergauf, und es geht mit Windkraft den Hügel hinauf. Jetzt nur nicht den Zug am Schirm verlieren!
Tatsächlich, Snowkiten ist in wenigen Stunden erlernbar – zumindest so weit, dass es dafür reicht, am Anfängerhügel hin und her zu kreuzen. Florian hat inzwischen seinen Schirm ausgepackt, einen mächtigen Tube-Kite mit 17 Quadratmeter Fläche, der durch ein System aufgepumpter Luftkammern schon am Boden seine Form bekommt.
Auch sein restliches Material ist auf die gemischten Bedingungen aus Tiefschnee und Piste ausgelegt: Freeride-Ski und bequeme Schuhe ohne allzu viel Vorlage. Während der Anfänger hin und her schneckt, zeigt der Meister mit seinem Monster, was in diesem Sport steckt: Er lässt sich durch den Tiefschnee hochziehen, kracht unter dem Pfeifen des Schirms durch den Powder, hebt ab, fliegt mehrere Meter durch die Luft, setzt kurz auf und fliegt schon wieder bergauf.
„In dem Gelände hier ist das wie Motocrossfahren“, sagt er und grinst unter seinem Vollbart. „Mir wird nie langweilig.“ Und schon ist er wieder weg. Mit einer einzigen Bewegung ist der Kite in der Luft und Florian selbst gleich mit. Kopfüber steht er kurz, er überkreuzt die Ski und tobt herum, wie es nur einer kann, der diesen Sport völlig verinnerlicht hat.
Aus Sicherheitsgründen dürfen Kiter nicht auf die Piste. Aber der Schirm ist für Tourengeher interessant: „Wo andere zwei Stunden raufgehen, bin ich in 20 Minuten oben. Dann packe ich den Schirm in den Rucksack, fahre durch den Powder ins Tal, und wenn ich mag, fliege ich einfach noch einmal rauf.“
Die besten Kite-Reviere sind aufgelassene Skigebiete, sagt Florian. In den Nockbergen oder auf der Saualpe in Kärnten; am Reschensee in Tirol sei Snowkiten beinahe die normale Art der Fortbewegung. „Für mich ist Snowkiten die große Freiheit. Skifahren in der dritten Dimension: Wie kann man das sonst schon?“