Bergberuf: Wie arbeitet der Lawinenwarndienst?
Foto: Landeswarnzentrale Vorarlberg
Wie kommt der Lawinenwarndienst an seine Informationen? Was genau sind seine Aufgaben? Und wie zuverlässig sind seine Prognosen? Wir haben mit Andreas Pecl von der Landeswarnzentrale Vorarlberg gesprochen.
Bergwelten: Herr Pecl, was genau macht der Lawinenwarndienst?
Andreas Pecl: Im Vordergrund steht in der Wintersaison die Erstellung des täglichen, aktuellen Lawinenlageberichts. Dafür gilt es ein entsprechendes Mess- und Beobachtungsnetz zu organisieren, zu pflegen und zu erhalten, damit die relevanten Schnee- und Witterungsparameter erfasst werden können. Weiters bietet der Lawinenwarndienst auch Grund- und Fortbildungskurse sowie Beratungstätigkeiten für die Lawinenkommissionen des Landes an. Auch die Erhebung und Dokumentation von Lawinenereignissen gehört zu den Aufgaben – ebenso wie die Öffentlichkeits- und Präventionsarbeit.
Wie kommt man zum Lawinenwarndienst? Wer darf dort mitarbeiten und welcher Kompetenzen bedarf es?
Interesse für Naturgefahren und Bezug zu Wetter, Schnee sowie zu den Bergen sind eine gute Voraussetzung. Auch meteorologische Kenntnisse und ein fundiertes Wissen über Schnee- und Lawinenkunde sollten vorhanden sein. Respekt vor Natur und Umwelt, Bergtauglichkeit für Geländeerkundungen zu Fuß und mit Ski sind natürlich ebenso Voraussetzung.
Gibt es Unterschiede zwischen den sieben Lawinenwarndiensten Österreichs?
Im Wesentlichen folgen die Lawinenwarndienste der gleichen Arbeitsweise. Das heißt: Anhand verschiedener meteorologischer und schneespezifischer Daten und Informationen wird eine aktuelle Beurteilung beziehungsweise Prognose zur Lawinengefahr gemacht. Die europäischen Lawinenwarndienste haben sich dabei auf einen gewissen Mindeststandard geeinigt. Dieser betrifft vor allem die Veröffentlichung sowie den Aufbau und die Inhalte des Lageberichts.
In den Bundesländern Österreichs sind die personellen und finanziellen Ressourcen dafür jeweils unterschiedlich. Primär sind die Länder zuständig, in manchen allerdings – beispielsweise in Salzburg, der Steiermark und in Niederösterreich – wird aber der Sachverständigendienst von der ZAMG im Auftrag der Katastrophenschutzabteilungen wahrgenommen. Der Lawinenwarndienst Tirol ist sicher der größte, jene von Kärnten und Vorarlberg sind hinsichtlich der personellen Besetzungen die kleinsten.
Wie kommt es zur Einschätzung der Lawinengefahr?
Die aktuelle Beurteilung der Situation erfolgt auf Grundlage von Auswertungen. Dazu zählen Daten, Rückmeldungen, Wetterprognosen sowie eigene Erhebungen und Beobachtungen im Gelände. Daraus ergibt sich auch eine Einschätzung von Art, Anzahl und Größe der Lawinen und des vorherrschenden Lawinenproblems sowie der Auslösewahrscheinlichkeit. Also beispielsweise, ob Lawinen spontan abgehen oder eher nur von einzelnen Wintersportlern ausgelöst werden können.
In Vorarlberg stehen uns dazu mehr als 30 automatische Mess-Stationen zur Abfrage von schnee- und wetterspezifischen Daten im ganzen Land zur Verfügung. Zudem liefern sieben geschulte, langjährige Beobachter und „alte Füchse“ – vom Skiguide, Pistenretter bis hin zu Mitarbeitern von Bergbahnen – jeden Morgen aktuelle Informationen und Messwerte aus den einzelnen Gebirgsregionen. Jeder Beobachter gibt dazu auch eine Einschätzung der Gefahrensituation in seinem Gebiet ab. Darüber hinaus stehen Mitglieder von Lawinenkommissionen sowie Berg- und Skiführer in Kontakt mit dem Lawinenwarndienst und teilen mögliche Besonderheiten mit.
Aus dieser Fülle an Informationen und regelmäßigen eigenen Geländeerkundungen erarbeitet der jeweilige Diensthabende frühmorgens den aktuellen Lawinenlagebericht, der dann täglich gegen 7.30 Uhr veröffentlicht wird. Er beinhaltet unter anderem eine umfassende Beurteilung der Lawinengefahr, Hinweise zu Gefahrenstellen und typischen Lawinenproblemen, Informationen zur Schneedecke und natürlich die aktuellen regionalen Gefahrenstufen für die verschiedenen Gebirgsregionen.
Welche Faktoren werden bei der Festsetzung der Lawinengefahr berücksichtigt?
Dabei spielen der Ist-Zustand der Schneedecke – also Oberfläche, Aufbau und allfällige Schwachschichten – und die zu erwartende Entwicklung der Witterungs- und Niederschlagsbedingungen die Hauptrolle.
Was genau verbirgt sich hinter dem Begriff Lawinenforschung?
Forschung gehört nicht zur Haupttätigkeit der österreichischen Lawinenwarndienste. Natürlich entwickeln die größeren Warndienste das ein oder andere mit, geforscht wird aber hauptsächlich am Institut für Naturgefahren in Innsbruck und bei unseren Nachbarn in der Schweiz. Davon profitieren dann natürlich auch die kleineren Lawinenwarndienste. Sie können neue Erkenntnisse in ihre Arbeit einfließen lassen.
Was meint man genau mit Feldversuchen?
Darunter versteht man bei den meisten Lawinenwarndiensten die Durchführung von Schneedeckenuntersuchungen im Rahmen des operationellen Dienstes. Solche Untersuchungen helfen bei der Beurteilung des Schneedeckenaufbaus. Stabilitätstests erleichtern die Einschätzung der Schneedeckenstabilität und der damit verbundenen Auslösewahrscheinlichkeit von Lawinen.
Wie darf man sich die Tätigkeit beim Lawinenwarndienst vorstellen?
Beim Vorarlberger Lawinenwarndienst hat primär einer der drei Sachverständigen Dienst. In dieser Zeit ist er für die Dateneinholung, Kontakte mit den Beobachtern, Dokumentation sowie für die aktuelle Berichterstattung zuständig und verantwortlich. Die anderen sind in dieser Zeit für andere Aufgaben der Landeswarnzentrale oder des Umweltinstituts tätig. Auch für Auskünfte zur Situation an die Medien sowie die Erhebung bei Lawinenereignissen ist der Diensthabende verantwortlich.
Wenn er also beispielsweise nach der morgendlichen Berichterstattung in einer der Gebirgsregionen im Gelände unterwegs ist, werden dort eigene Beobachtungen und Eindrücke zur Situation eingeholt oder auch Schneedeckenuntersuchungen durchgeführt. Natürlich sind im Hintergrund auch andere Mitarbeiter der Landeswarnzentrale tätig – speziell im IT-Bereich für die Verbreitung und Visualisierung des Lawinenlageberichts. Auch im Bereich der Messdatenvisualisierung geht es nicht ohne Spezialisten.
Wie exakt treffen die Prognosen zu? Darf man sich als Wintersportler zu 100% auf die Informationen der Lawinenwarndienste verlassen?
Wir sind bemüht die Situation und Lawinengefahr anhand der aufgezeigten Arbeitsweise bestmöglich zu beurteilen und einzuschätzen. Die Trefferquote des Lawinenlageberichts liegt jedoch nicht bei 100% – wie ja auch der Wetterbericht nicht. Unsere Übersicht trifft nach meiner persönlichen Meinung realistischerweise zu circa 85% zu. Etwa 10% der Einschätzungen und Einstufungen sind zu hoch, die restlichen 5% aber auch einmal zu niedrig angesetzt. Die Materie Schnee sowie die Wechselwirkung der vielen relevanten Faktoren machen die Sache recht komplex.
Als Wintersportler sollte man die Informationen auf jeden Fall beachten. Es muss ihm aber auch bewusst sein, dass wir nur eine wertvolle Übersicht liefern und potentielle Gefahrenstellen und -Bereiche aufzeigen. Im Gelände ist die Einzelhangbeurteilung und das daran angepasste Verhalten zentral.
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