Richtig anziehen auf dem Rad: Erkenntnisse einer Einsteigerin
Was ist ein Gilet? Sollten die Socken kurz oder lang sein? Und zieht man unter die Fahrradhose eigentlich eine Unterhose an? Protokoll eines Selbstversuchs mit dem Ziel, sich beim Radfahren nicht nur entspannt auf dem Sattel, sondern auch souverän zwischen Mode und Funktion zu bewegen.
Von Anke Eberhardt, Fotos Julian Rohn
Als ich vor drei Jahren für einen Bergwelten-Artikel mein erstes Fahrrad-Outfit übergestreift habe, fühlte ich mich wie beim Fasching: Viel zu eng, mit dieser albernen Weste und dann noch eine Windel im Schritt – so soll man ernsthaft vor die Tür gehen? Ja, soll man! Und inzwischen verstehe ich sogar, warum.
Um anderen Menschen den Einstieg in die Fahrrad-Welt zu erleichtern, habe ich mich nun sogar freiwillig unter die YouTuber begeben. Film ab für den Blockbuster zum Thema „Richtig anziehen auf dem Rad“:
Alles klar? Sonst hier noch mal zum Mitschreiben:
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1. Jetzt wird’s eng! Fahrradklamotten müssen wie eine zweite Haut sitzen
Tight lautet die Devise! Denn überall, wo Luft zwischen Haut und Kleidung ist, kann Reibung entstehen. Bei Bein rauf, Bein runter, bei tausenden Umdrehungen pro Fahrt, da gibt es sonst schnell wunde Stellen. Sitzen Short und Shirt aber wie eine zweite Haut, bewegen sie sich schlichtweg mit.
Deswegen gilt auch: Nein, unter eine gepolsterte Fahrradhose zieht man KEINE Unterhose an. Sonst kann, siehe oben, unangenehme Reibung entstehen und aufgrund der antibakteriellen Polster sind Kronjuwelen und Co. ohnehin gut aufgehoben.
Überall, wo Luft an die Haut kommt, kann es zudem auch kalt werden. Enge Kleidung schützt daher auch vor ungewolltem Frieren.
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2. Der Wind, der Wind: Natürliche Temperaturregelung
Apropos frieren: Sowohl Heizung als auch Klimaanlage funktionieren beim Radfahren immer über Luft. Oder besser gesagt: Wind. Ist es zu kalt, gilt es Wind vom Körper abzuhalten, wird es zu warm, lässt man ihn heran.
Wunderwaffe in dieser Hinsicht: die Weste (auch Gilet genannt). Denn ob man friert, hängt im Sommer vor allem vom Oberkörper ab. Mit einer winddichten Vorderpartie wird Fahrtwind von einer Weste effektiv abgehalten, über den Rücken und die Achseln kann gleichzeitig Dampf abgelassen werden. Der Reißverschluss ist mit einem Handgriff geöffnet, bergauf kann man flattern lassen und im Nu geschlossen bei der Abfahrt wieder warm bleiben.
Tipp: Westen, die sich von oben und von unten aufzippen lassen, bieten noch mehr Flexibilität – und man kommt z.B. noch einfacher während des Fahrens an die Rückentaschen im Jersey heran.
3. Nur keine Sauna: Auf Atmungsaktivität achten
Egal, ob man nun lieber im Fahrradjersey oder T-Shirt fährt: Ein atmungsaktiver und schnell trocknender Stoff ist immer eine bessere Idee als Baumwolle. Schlimmer als kalte Luft auf der Haut ist schließlich nur kalte Luft auf nassem Stoff auf der Haut. Und wenn nach der Mittagspause die Klamotte wieder trocken ist (ganz zu schweigen vom nächsten Morgen bei einer Mehrtagestour) rollt es sich einfach besser.
Gern übersehen wird die Atmungsaktivität bei Wind- oder Regenjacken – was einen Gratis-Saunabesuch zur Folge hat. Klar, Wassersäule ist wichtig, denn ist die oberste Schicht nass, sind alle Schichten nass (ab einer fünfstelligen Wassersäule bewegt man sich grob im sicheren Bereich, je mehr, desto länger trockener). Wer sich darin bewegen will, sollte aber auch bei Überziehgarderobe darauf achten, dass die Teile nicht nur wind- oder wasserabweisend sind, sondern auch atmungsaktiv.
Tipp: Jerseys, Jacken und Westen immer in Fahrradposition anprobieren! Im Stehen wirken manche Schnitte merkwürdig, sobald man in Lenkerhaltung ist, merkt man hingegen gleich, ob etwas sitzt und z.B. die Rückenpartie lang genug ist.
4. Zwiebeln, was das Zeug hält: Mit Unterziehshirts tricksen
Den wichtigsten Beitrag zum Feuchtigkeitstransport leistet die erste Schicht auf der Haut. Funktionsshirts transportieren Nässe weg vom Körper und helfen ihm so, seine Temperatur wieder selbst zu regulieren. Hört sich absurd an, aber gerade an sehr heißen Tagen kann eine zusätzliche Schicht Wunder wirken. (Und ja, gerade die sollte auch hauteng sein.) Merino kühlt zum Beispiel im Sommer, wärmt im Winter und ist geruchsresistent; technische Kunstfaserstoffe sind wiederum extrem leicht auf der Haut.
Tipp: Mit zwei verschiedenen First Layern lässt sich die Temperaturspanne eines Jerseys verdreifachen. Einmal mit dem wärmeren, einmal mit dem leichteren und einmal ohne Unterhemd angezogen, wird aus einem drei!
5. Känguru auf Rädern: Ein Hoch auf Taschen
Ob nun in Jersey, Shorts oder Gilet: Man kann nie genug Taschen haben. Darin lässt sich nicht nur die Überziehgarderobe verstauen, sondern auch Telefon, Werkzeug, Geld, Schlüssel und Snacks. Auch wenn ich mich am Anfang gefühlt habe wie ein Känguru verkehrt herum, man merkt das Gewicht auf dem Rücken tatsächlich nicht.
6. Nicht schön, aber praktisch: Arm- und Beinlinge
Über kein anderes Teil habe ich so gelacht und es dann so zu schätzen gelernt: Arm- und Beinlinge sehen zwar merkwürdig aus (optisch halbwegs akzeptabel sind sie nur, wenn man sie farblich zu Jersey und Hose wählt), sind aber enorm praktisch.
Klein, leicht und packbar; an einem kühlen Morgen übergezogen, mittags in der Sonne im Biergarten ausgezogen und am Abend, wenn die Sonne verschwindet, wieder übergestreift: Gerade im Frühling und Herbst sind sie die effektivste Möglichkeit, um auch bei großen Temperaturschwankungen entspannt auf Touren zu kommen.
Tipp: Um die Bündchen nicht auszuleiern, werden Arm- und Beinlinge immer vor Shorts und Jersey angezogen. Dazu gibt es den Beziehungscheck gleich gratis dazu: Denn wer dich nur in Arm- und Beinlingen liebt, der liebt dich wirklich!
7. Fashion over Function: Der Kleinkram
Ungeschriebene Gesetze gibt es im Radsport genug, Streitfragen in Sachen Mode noch viel mehr. Nur einige der Klassiker:
Brillenbügel immer über die Helmstraps. Vielleicht, weil dann der Strap den Bügel nicht gegen das Gesicht drückt. Vielleicht, weil die Brille dann bei einem Sturz ungehindert davonfliegen kann. Vielleicht aber auch, weil man es eben so macht. Hach.
Beim Helm gibt es allerdings keine Diskussionen: Der sitzt nicht im Nacken, sondern tief in der Stirn, damit er im Fall eines Aufpralls überhaupt schützen kann. Immer schön an Udo Lindenberg denken!
Socken sind ein Politikum. Eine Glaubensfrage. Fast schon Religion! Meine Entourage sagt: immer lange Socken, bloß keine Söcklinge. Dementsprechend halte ich mich daran. Denn so ist das mit der Mode: Man will schließlich von seinesgleichen akzeptiert werden, egal ob man nun Fashionista oder Fahrradfahrer ist.
Unterm Strich gilt: Hauptsache man fährt!
So schön der Dresscode auch ist: Hochwertige Fahrradklamotten sind oft nicht billig. Bevor man aufgrund des Budgets zu Hause bleibt, lieber etwas improvisieren. Auch ein günstiges Funktionsshirt lässt sich zum Radfahren anziehen, es muss nicht immer gleich das teuerste Komplettoutfit sein. Ohne Helm geht nichts, aber ansonsten funktioniert Fahrradfahren auch fröhlich im Hawaiihemd. Happy Cycling!
Weitere Tutorials zum Thema Radfahren, wie man ohne Anfängerfehler einen Schlauch wechselt und was ein Mini-Pony mit der Sattelhöhe zu tun hat: All das findet ihr bei „How to fahrRad“. Der ersten Fahrrad-Tutorial-Serie, deren Kernkompetenz auf Inkompetenz beruht.
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