Vom Ursprung des Bergsteigens
Foto: mauritius images/ Hans Herbig
von Christina Geyer
Heute ist es für uns selbstverständlich, Berge aus reiner Freude und Lust zu besteigen. Das war nicht immer so. Vor knapp 700 Jahren hat der italienische Dichter Francesco Petrarca eine Lanze für den modernen Alpinismus gebrochen.
Am 26. April 1336 erreichte Francesco Petrarca gemeinsam mit seinem jüngeren Bruder und zwei Dienern den Gipfel des Mont Ventoux in der französischen Provence. Die Besteigung des nur 1.912 Meter hohen Bergs mag vor den Leistungen des modernen Alpinismus verblassen. Trotzdem gilt sie als Geburtsstunde des Alpinismus. Zum ersten Mal nämlich wurde die Besteigung eines Bergs in überlieferter Form festgehalten – nicht etwa aus praktischen Gründen, sondern „allein vom Drang beseelt, diesen außergewöhnlich hohen Ort zu sehen“, wie es in Petrarcas Bericht heißt.
Kein Forscherdrang und keine militärische Notwendigkeit zwangen Petrarca auf den Mont Ventoux, nur sein „ungestümes Verlangen“. Aus diesem lässt sich die Bedeutung der Bergtour ablesen: Es kündigt den Beginn eines neuen Naturbewusstseins an, das in der lustvollen ästhetischen Erfahrung der Landschaft einerseits und der kontemplativen Betrachtung des eigenen Selbst andererseits besteht.
Kaum auf dem Gipfel angekommen, will Petrarca ein „faustgroßes Werklein voll unendlicher Süße“ gezückt haben: Die Bekenntnisse von Augustinus. Der Zufall lässt Petrarca das zehnte Buch aufschlagen: „Es gehen die Menschen hin, zu bewundern die Höhen der Berge – und verlassen dabei sich selbst.“ Sich auf Gipfeln aufzuhalten, so die Räson des Mittelalters, ist widernatürlich. Der Mensch hat seinen Platz unten einzunehmen – am Fuße der Berge, mit dem Blick von unten nach oben. Mit der Besteigung des Mont Ventoux hat sich Petrarca über diese Normen hinweggesetzt, wenn er sich auch prompt wieder von Augustinus bekehren ließ.
Mit jedem Schritt Richtung Gipfel hat Petrarca auch einen Schritt weg von der mittelalterlichen Denkweise getan. Seine Perspektive veränderte sich: Er sah nun von oben auf das Tal, gleichsam einem Gott. Und so veränderte sich auch seine Innenperspektive: Jeder Höhenmeter offenbarte ihm neue Erkenntnisse und verhieß Entdeckung von Neuland. Der Berg wirkt in diesem Fall wie ein Vergrößerungsglas auf die Fähigkeiten des Menschen: Hier zeigen sich Begehren, Mut und Furchtlosigkeit. Petrarca erlebte damit erstmals, was den modernen Alpinismus im Kern heute noch umtreibt: Den Aufstieg in unbekannte Höhen zur Offenbarung des Unbekannten im Menschen.
Knapp 700 Jahre später hat der Mensch das Bergsteigen an die Grenzen des Leistbaren getrieben und verschiedenste Spielarten entwickelt, vom Höhenbergsteigen im Himalaya bis zum Bouldern im Fontainebleau. Einer jener, der die Limits des Kletterns am radikalsten ausloten, ist der bayerische Extremkletterer Stefan Glowacz. So auch in der Schlucht von Verdon, nur etwa drei Autostunden von Petrarcas Mont Ventoux in der Provence entfernt.
Hier geht es zur Bilderstrecke: Mit Stefan Glowacz durch die Verdonschlucht.
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