Das Unikum am Steilhang: Die Enderlinhütte
Die Enderlinhütte oberhalb von Maienfeld ist eine Ausnahmeerscheinung unter den Hütten des Schweizer Alpen-Clubs: ungewöhnlich tief gelegen und im Blockhüttenstil erbaut. Ein weiteres Unikum: der langjährige Hüttenwart Nic Saxer.
Üsé Meyer für das Bergweltenmagazin März 2019
„Unter dieser Bodenluke befinden sich die Gebeine der Gäste, die sich nicht recht benommen haben.“ Kein Lachen. Nicht mal ein Grinsen, nur die Augen verraten den Schalk. Nic Saxer, der 66-jährige Chef der Enderlinhütte, ist nicht leicht zu lesen.
Selbst sein Äusseres hat mehrere Facetten: Das bärtige Gesicht versprüht friedlichen Alpöhi-Charme, während der korpulente Oberkörper im Edelweisshemd auch einem ehemaligen Schwinger gehören könnte. Er sei ein Hüttenwart der alten Schule. „Und manchmal, da kann ich dann auch noch mürrisch sein.“
Erbaut wurde die ursprüngliche Hütte unterhalb der schroffen Falknistürme um 1900 von dem Maienfelder Landwirt Fortunat Enderlin. Als Bergführer nutzte er sie als Stützpunkt für seine Touren auf den Gipfel des Falknis (2.560m). Seine Klientel setzte sich weniger aus ambitionierten Bergsteigern zusammen als mehrheitlich aus Kurgästen von Bad Ragaz, die es aus dem Talschatten heraus und hin zur Sonne zog. Im Jahr 1922 übernahm der SAC schliesslich die urige Hütte und ersetzte sie 1956 durch einen Neubau, der zwanzig Jahre später ausgebaut wurde.
Aus zwei Gründen ist die Hütte im Portfolio des SAC ein Unikum: Einerseits wurde sie im – für den Alpen-Club untypischen – Blockhüttenstil erbaut. Zweitens ist sie mit ihrem Standort auf 1.501 Metern eine der tiefstgelegenen Hütten des Alpen-Clubs. Mit dem Vorteil, dass die Gäste am Südhang abends noch lange die Wärme genießen können. „Draußen auf der Terrasse kann man problemlos bis halb elf Uhr noch einen Maienfelder zwicken“, sagt Hüttenwart Nic Saxer.
Wenn man sich nicht schon draußen beim Wein näherkommt, dann spätestens in der Hütte – denn die ist klein und intim. Gleich rechts von der Eingangstür befindet sich die offene Küche mit dem Holzofen, links davon der Essraum mit drei Tischen. Vom selben Raum geht es über eine steile Treppe mit schmalen Tritten hoch zu zwei Massenlagern und zum Zimmer von Nic. Nur eine Schiebetür trennt seinen Rückzugsort von den Schlafräumen der Gäste. „Wenn du diese Treppe abends rauf und morgens runter schaffst – unfallfrei –, dann bist du falknis-tauglich“, sagt Nic mit Augenzwinkern.
Beliebt auf Bergwelten
„Alpine Erfahrung, Trittsicherheit und Schwindelfreiheit erforderlich“, steht nicht umsonst auf dem Schild draußen an der Holzwand. Schon die Wanderung hoch zur Hütte ist ziemlich steil und anstrengend. Auch der weiterführende Weg via Fläscher Fürggli zum Gipfel des Falknis bleibt steil – und weil es dort zusätzlich noch ausgesetzt wird, ist der Weg auch weiß-blau-weiß gekennzeichnet.
Kein Wunder, sind viele Gäste der Enderlinhütte erfahrene Alpinwanderer. Die anderen Besucher sind Einheimische, die mal kurz auf einen Schwatz hochkommen. Oder Wanderer, die am nächsten Tag wieder den gleichen Weg hinuntergehen.
Unmöglich zu beziffern, wie oft Nic Saxer selbst den Hüttenweg gelaufen ist. Schon sein Vater war von 1945 bis 1976 Hüttenchef. „Eigentlich bin ich hier reingeboren worden“, erzählt er, der seit 1988 die Position des Hüttenwarts innehat. Dabei trägt er auch heute noch, trotz operierter, etwas steifer Hüfte, die frischen Lebensmittel hoch zur Hütte.
Denn der Helikopter kommt nur einmal zu Beginn der Saison, und die ehemalige Materialseilbahn wurde mangels Geld für eine Sanierung Ende der 1980er-Jahre abgebrochen.
Auch beliebt
Bis zu seiner Pensionierung fuhr Nic zweigleisig: Neben dem Posten des Hüttenchefs war er hauptberuflich als Lokführer der Rhätischen Bahn RhB unterwegs. Er bezeichnet sich selbst als „passionierten Bähnler“ – weshalb wohl auch das unterhalb der Hütte gelegene WC-Häuschen sein besonderer Stolz ist: Hier dürfen die Gäste auf einer Original-RhB-WC-Schüssel sitzen.
Wann wird er denn nun muffig, der Chef der Enderlinhütte? „Nein, das sage ich dir jetzt gerade nicht.“ Dabei muss er aber selbst ziemlich lachen. „Ja, waisch. A chli hässig kumm i, wänn d’Lüt sich nit an- oder abmäldet.“ Wobei er dann nicht laut austeile, sondern eher vor sich hinbrummle, erklärt er. Nic spricht eine Mischung aus Churer- und St.-Galler-Rheintaler-Dialekt. Mit seiner sonoren Stimme und der lebhaften Sprache hätte er sicherlich das Zeug zum Märchenonkel.
Familie hat er aber keine. Er sei ein Altlediger: „Bähnler und Hüttenwart – immer weg, das ist doch der Horror für die Frauen.“
Auf der Suche nach Heidi
Und was ihn außerdem aufregt: wenn jemand mit mangelhafter Ausrüstung unterwegs ist. „Du, da stehen dir manchmal die Haare zu Berge!“ Sagt’s und erzählt: von jener Frau etwa, die, vom Fläscher Fürggli kommend, mit Kind in der Rückentrage und blutdurchtränkten Turnschuhen an den Füßen daherkam.
Gerade der Weg von oben hier herunter sei gar nicht ohne – selbst für gute Alpinisten. Viele würden das Gebiet aufgrund der geringen Höhe unterschätzen: „Die haben das Gefühl, hier sei eine Heidi-Alp.“ Tatsächlich hat Nic schon erlebt, dass Japaner oder Chinesen auf der Suche nach der „echten“ Heidi-Alp oberhalb von Maienfeld aus Versehen plötzlich bei ihm in der Hütte aufgetaucht seien.
Aber nein, weder die Japaner noch die schlecht Ausgerüsteten oder die Unangemeldeten landen bei ihm im Hohlraum unter der Bodenluke. Dort befindet sich lediglich die Batterie der Solaranlage.
Urgemütlich wird es auf der Terrasse der Enderlinhütte gegen Abend: wenn man aus der Küche das Knistern und Knacken des Holzfeuers im Herd hört, Nic dort mit scheppernden Pfannen und Töpfen zugange ist, draußen die Schweizer Fahne im Wind flattert und die Gäste mit einem kühlen Calanda-Bier in der Hand das Panorama mit den Gipfeln von Calanda, Ringelspitz, Pizol oder ins Rheintal genießen und sich auf das Nachtessen freuen.
Bei Nic gibt es übliche Hüttenkost wie Älplermagronen, Spaghetti oder Voressen. Doch manchmal, wenn ihm danach ist, auch spezielleres wie Piccata, Fleisch vom Grill des Terrassen-Cheminées oder zur kühleren Jahreszeit Raclette oder Fondue.
Zum Essen setzt sich der Hüttenwirt gerne zu seinen Gästen, und sogar der Abwasch wird zusammen gemacht. „Was söll i sääge? Ja, chli än Ruche bin i schoo. Aber sie händ mi alli gärn, waisch. Sie chömmed wieder.“