Die Richterhütte im Pinzgauer Rainbachtal
Einst verlustierte sich hoch über dem Pinzgauer Rainbachtal die frühe Berg-Boheme. Heute ist die Richterhütte ein Refugium für ein junges Wirtspaar der neuen Generation, die naturgemäßes Wirtschaften aufs Gastfreundlichste zu interpretieren versteht.
Stefan Schlögl für das Bergweltenmagazin August/September 2018
Tiroler können ja viel, eigentlich alles. Nur Ironie und verschlungene Doppeldeutigkeiten beherrschen sie bekanntlich nicht. Julia ist Tirolerin, also sehr gradaus, da sollte man ernst nehmen, wenn sie sagt: „Für uns war damals das Wichtigste, dass die Hütte nicht einfach zu erreichen ist.“ Was dann doch, zumindest aufs erste Hinhören, ein erstaunliches Kriterium dafür war, vor drei Jahren die Richterhütte zu übernehmen.
Eine von Gästen brummende Sonnenterrasse mit Seilbahnanschluss, gemeinhin als Glück des Bergwirten bekannt, war es also nicht, was Julia Stauder und Martin Falkner angetrieben hat, die Tiroler Heimat hinter sich zu lassen und hoch in den Zillertaler Alpen, im südwestlichsten Zipfel des Salzburger Pinzgaus, eine Existenz aufzubauen. Wie die beiden überhaupt für eine neue Generation von Hüttenwirten stehen: jene, die nicht in einen Betrieb hineingewachsen, sondern sich für die Abgeschiedenheit und den Verzicht ganz bewusst entschieden haben.
All das, was man im Tal unten wohl „Downshifting“ nennt – hier oben aber das gute alte „naturgemäße Leben“ meint. Ein weltentrückter Alpin-Ashram ist dort auf 2.374 Metern dennoch nicht entstanden. So eine Schutzhütte mit 50 Schlafplätzen und einem Wirtsraum für knapp ebenso viele Gäste versorgt sich schließlich nicht von selbst. „Wir haben aber von Anfang an darauf geschaut, dass dieser Ort für uns nicht nur ein reiner Arbeitsplatz ist“, sagt Martin, ein ruhiger, geerdeter Typ, dessen Biografie bislang eher nicht linear verlaufen ist.
Ein verschlungener Weg
Die Schule brach der heute 43-Jährige ab, nach Stationen als Automechaniker und Lkw-Fahrer wurde er Sozialarbeiter bei der Lebenshilfe Innsbruck. Auch die sechs Jahre jüngere Julia nahm ein paar Nebenpfade, schmiss nach der Matura gleich einmal ihr Studium, versuchte sich als Bühnenbildnerin und Kunsthandwerkerin. Vor vier Jahren fassten sie den Entschluss, sich während des Sommers oben am Berg als Hüttenpächter zu verankern. Damals hatte sich ihre Langzeit-Liaison dank der zwölfjährigen Tochter Dora und dem zwei Jahre jüngeren Rian bereits zu einer Familie ausgewachsen.
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Zwei ganze Sommer, von Anfang Juli bis Mitte September, haben die Kinder schon hoch über dem Rainbachtal verbracht, mittlerweile helfen sie ganz selbstverständlich und natürlich freiwillig mit. Dann etwa, wenn die Mama noch die Betten macht, während sich auf der Sonnenbank Neuankömmlinge niederlassen. Gerade lockern wieder ein paar Wanderer, von Rian und Dora mit Skiwasser versorgt, ihre Wadeln, blinzeln noch einmal hoch zur Sonne, die hinter der Reichenspitzgruppe, einem mit Gletschereis besprenkelten Dreitausenderspalier, versinkt.
Davor die dramatisch in den Karst hineingetupfte Hütte. Die ist weder von den umliegenden Schutzhäusern noch vom Tal aus richtig schwer zu erreichen. Ein wenig Ausdauer sollte man jedoch im Rucksack haben, nicht zuletzt, wenn man gut sechs Stunden lang von Krimml, vorbei an den Krimmler Wasserfällen, einem amtlichen Naturspektakel, aufsteigt.
Doch Natur ist bekanntlich nicht nur Spektakel, sondern auch Gewalt: Gleich zwei Richterhütten putzte selbige hinfort. Den ersten Versuch des deutsch-böhmischen Textilfabrikanten Anton Franz Richter räumte 1896 eine Lawine weg. Der zweite, nach nur einem Jahr fertiggestellt und 300 Meter tiefer gelegen, war nicht weniger als ein mondänes Chalet für Boheme-Bergler, mit einzeln beheizbaren Zimmern, Kleinkraftwerk und Telefonanschluss. Standesgemäße Kurzweil versprach die mit Samt ausgekleidete Kegelbahn, die Getränkekarte führte Champagner. Das Highlife beendete ein nächtlicher Orkan in der Zeit des Ersten Weltkrieges, zurück blieb eine Ruine.
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Gerstensuppen-Doping
Es dauerte bis 1928, bis Richard Richter, der Sohn des Fabrikanten, das steinerne Hauptgebäude in ein zweckmäßiges Schutzhaus, die heutige Richterhütte, umbauen ließ. Die trotzt seit mittlerweile 90 Jahren dem Zeitlauf und strahlt im Schankraum und in den auf zwei Stockwerke verteilten Gästezimmern und Bettenlagern jene zirbenholzvertäftelte, wohlig-knarrende Behaglichkeit aus, in der sich Energie für den nächsten Tag am Berg sammeln lässt.
Hilfreich dabei sind nicht zuletzt die Schmankerln, die Julia und Martin kredenzen. Herzhafte Kaspressknödel oder ein zartes Gulasch mit Polenta etwa, die Gerstensuppe mit Selchfleisch steht schlicht unter Doping-Verdacht. Der Ziegenkäse mit selbst gemachtem Chutney würde glatt Richters verblichene Nobelhütte schmücken, das mild-würzige Krimmler Märzen ist ein würdiger Schampus-Ersatz. Einmal die Woche bugsiert Martin seinen Allradler von seinem Platz unterhalb der Hütte ins Tal und fängt frische Ware von Almen und Händlern ringsum zusammen.
Lieber jedoch ist der durchtrainierte Tiroler mit dem Mountainbike unterwegs,kontrolliert Steige und Wege – schwingt aber auch gern einmal zwischen Felsen und Scharten hinab und klopft mit dem Hinterrad die Granitblöcke weich. „Da komm ich in einen richtigen Flow“, sagt der ausgebildete Mountainbike-Lehrer, dessen Ausgeglichenheit sich ohne Reibungsverluste auf die Gäste zu übertragen scheint.
„Als Selbstfindungstrip kannst du das Bewirtschaften einer Berghütte nicht anlegen“, erzählt Julia, „nicht zuletzt wegen der Kinder. Die waren natürlich die Ersten, die wir gefragt haben, ob sie sich das vorstellen können. Aber sie haben sofort Ja gesagt.“ Mehrere Jahre haben sie sich zudem vorbereitet; Martin hat zusätzliche Mechanikerkurse gemacht, Julia die Prüfung zur Bergwanderführerin abgelegt. Gerade steht sie vor dem Abschluss ihres Lehramtsstudiums, damit der Traum von der Berghütte auch abseits der Sommersaison von einem sicheren Einkommen unterfüttert wird.
Martin hingegen bringt dann in der Winter-Talstation in Schwaz Gerätschaften und Inventar in Schuss – und tüftelt mit Julia an Umbauplänen für die Hütte.
Bald sollen Waschgelegenheiten und die Küche auf den letzten Stand gebracht werden, eine Dusche mit Warmwasser soll zudem für mehr Komfort sorgen. Bloß die heimelige Gaststube bleibt unangetastet. „Der Charakter der Hütte soll auf alle Fälle erhalten bleiben“, sagt Martin. „Ihre Vergangenheit ist ja auch ein Erbe. Und damit wollen wir bewusst umgehen.“
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