Die Kaltenbachseen
3 Seen,13 Kirchtürme, Lamm in der Kiste und Käse im Krapfen. Zwischen Ennstal und Murtal liegt eine versteckte Wanderregion, die sich seit Erzherzog Johanns Besuchen gar nicht so viel verändert hat.
Tobias Micke für das Bergweltenmagazin März 2016
„Barbapapa!“, ruft Julia begeistert und zeigt hinunter zum Unteren Kaltenbachsee. „Der siehr aus wie ein Barbapapa.“ Julia ist fünf Jahre alt und mit ihrem großen Bruder Simon und ihren Eltern Sandra und Thomas Lemmerer schon zum zweiten Mal hier oben auf 2.066 Metern, beim höchsten der drei Kaltenbachseen in der Obersteiermark. Julia zeigt zum zweiten See: „Und der da sieht aus wie ein Krokodil!“
„Sicher nicht!“, protestiert der zehnjährige Simon. „Das ist dann aber ein ziemlich dickes Krokodil“, sagt der Papa, immer um einen Kompromiss bemüht. „Aber ein Krokodil“, besteht Julia.
Die Seen sind nicht die einzigen Formen, die man in diesem weitläufigen Panorama deuten kann. Wenn man nach etwa eineinhalb Stunden vom Parkplatz bei der Kaltenbachalm (1.560 m) hier oben angekommen ist, ist die Aussicht sensationell. Mit den Gipfeln im Hintergrund, die ein bisschen wie steinerne Schildkröten aussehen, und der Erzherzog-Johann-Straße eine große Schlange über den höchsten Pass der Steiermark (1.788m) in Richtung Murtal windet.
Für die fünfjährige Julia ist die Wanderung eine wirklich starke Leistung, die beim See mit einer kräftigen Jause und Gummibärchen belohnt wird.
Die meisten Erwachsenen, die nicht schon beim ersten oder zweiten See kehrtmachen, gehen von hier aus noch weiter über die Etrachböden zum Deneck (2.433 m). Evelyn und Michaela zum Beispiel, zwei Freundinnen aus Irdning. Sie sind kurz vor sechs Uhr aufgebrochen, waren in flotten zwei Stunden oben am Gipfel und sind jetzt schon auf dem Weg zurück in die sommerlich warmen Niederungen des Ennstals.
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Sandra und Thomas Lemmerer wohnen mit ihren Kindern in St. Nikolai. Er ist Tischler, sie arbeitet talauswärts in Mössna in der legendären Sölkstub’n von Gastwirtin Agnes Lemmerer. Die Tante von Thomas hat die Kochkiste wiederentdeckt – eine Holzkiste, in der Speisen wurde damit landesweit berühmt.
Und Sandras Kinder kommen jetzt in das Alter, in dem sich an schönen Tagen die Bergwelt der Sölktäler zu Fuß erkunden lässt. Thomas hat sich dafür heute extra freigenommen, für einen herrlichen Sommertag mitten in den Schulferien ist erstaunlich wenig los auf den Wanderwegen der Schladminger Tauern.
Eine malerische Sackgasse
Das liegt auch daran, dass es – nur so durch Zufall oder auf der Durchreise – heutzutage fast keinen mehr ins Großsölktal verschlägt. Von Schladming aus kommend, muss man am Ennstal-Highway B320 bei Espang oder Gröbming vom Gas gehen und besonders aufmerksam sein, denn die Abzweigung in die beiden Sölktäler versteckt sich hinterm Mitterberg im Örtchen Stein an der Enns.
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Wenn man dann glaubt, sich endgültig verfahren zu haben, lässt man sich entweder die malerische 18-km-Sackgasse – vorbei am legendären Marmorwerk – ins Kleinsölktal zeigen. Oder man findet doch noch selber die Erzherzog-Johann-Straße, die entlang des Großsölkbachs und dann über den Sölkpass ins südlich gelegene Murtal führt. Wie gesagt: Wer diese Route wählt, der hat sich meist vor der Passhöhe etwas vorgenommen. Und im Winter ist überhaupt Schluss mit Zufallsbesuchern und Durchreisenden. Da ist der Sölkpass unpassierbar. Da regiert seit allen Zeiten der Schnee.
Früher, so um 1500, war das anders mit dem Durchreiseverkehr. Da kamen die meisten Besucher mit schwerem Gepäck durchs Tal. Salz aus Aussee in die eine Richtung, Wein, Getreide und was das Volk sonst so aus den südlichen Gefilden begehrte, in die andere.
Aus dieser Zeit stammt zum Beispiel noch das Gasthaus Gamsjäger in St. Nikolai. Bis ins 18. Jahrhundert waren es vor allem die Säumer, die mit ihren Schätzen zu Fuß über den Pass kamen und beim Gamsjäger nächtigten.
Erzherzog Johann und die Hansis
Heute gehen die Gamsjäger-Gäste auch zu Fuß, nur sind die mühevollen Märsche über teilweise abenteuerliche Pfade jetzt zu lustvollen Wanderungen über gut gesicherte Wege geworden. Das Ziel ist nicht mehr die Überwindung der Höhe, sondern das Erreichen derselben.
Erzherzog Johann (1782–1859), der Habsburger, den mit der Steiermark eine besondere Liebe verband, der auch viel zur Erschließung der Alpen beitrug und der selbst gern wanderte, war oft in den Sölktälern. Nach ihm sind hier Straßen, Hütten, Gästezimmer, Gipfelkreuze, Weine, draußen in Aich sogar eine Schießstätte und bestimmt auch der eine oder andere Erstgeborene benannt.
Vom Gipfel des Gumpenecks, vermerkte im Jahr 1810 der überaus sportliche „steirische Prinz“, kann man 13 Kirchtürme sehen. Für den Ausblick musste aber schon Erzherzog Johann dreieinhalb Stunden Aufstieg in Kauf nehmen. Dafür ist die Aussicht – auch abgesehen von den Kirchtürmen – überaus beeindruckend: Totes Gebirge, Dachstein und der von dieser Seite aus besonders spektakuläre Grimming. Außerdem der Blick hinüber in die beiden Sölktäler und jenseits davon auf die Schladminger Tauern.
Die Zeiten haben sich zwar geändert, das Nächtigungsangebot in den Sölktälern beschränkt sich bis heute eher auf anspruchslose, aber gemütliche Unterkünfte. Denn die wirtschaftliche Bedeutung der Passstraße – erst 1964 wurde sie asphaltiert – hält sich in Grenzen. Wenn es heutzutage etwas aus den Sölktälern in die weite Welt zu exportieren gäbe, dann wäre es wohl der berühmte Steirerkas (nicht zu verwechseln mit Glundner oder Graukäse).
Denn in den Täler produzieren die Rinderbauern aus der Milch der Almkühe eine hocharomatische Käsespezialität, die besonders in Verbindung mit den ebenso legendären Steirerkrapfen („Woin S’ an Woazanen oder an Roggenen?“) ziemlich einzigartig im Geschmack ist.
Aber nach Süden hin gibt es nicht viel zu exportieren, denn die Murtaler haben ihre eigene Version von Steirerkas. Und nach Norden hin „versickert“ das „Gold der Almen“, wie es in der Steirerkas-Ausstellung im Schloss Großsölk so schön heißt, sehr schnell in den Bauernläden der Region.
Daher bleiben die Ruhe und die vergleichsweise beschauliche Einfachheit abseits des Schladminger Rummels der eigentliche Schatz der Sölktäler. Und von dem kann sich jeder Gast ein großzügiges Stück mit nach Hause nehmen.