15.700 Touren,  1.700 Hütten  und täglich Neues aus den Bergen
Foto: Samuel Trümpy
Bergportrait

Die Rigi im Herzen der Schweiz

• 30. Oktober 2021
5 Min. Lesezeit

Die Rigi im Herzen der Schweiz: Einst war sie Mittelpunkt der Erde und Luxusferienort für Betuchte aus ganz Europa. Heute ist sie ein bevorzugter Berg für Frühaufsteher und Geniesser.

Adi Kälin für das Bergweltenmagazin April/Mai 2018 aus der Schweiz

Der Tag beginnt früh auf der Rigi – nicht nur für die zahlreichen Älpler, auch für die Gäste des Rigi Kulm Hotels: Um die größte Sensation, die der Berg zu bieten hat, nicht zu verpassen, muss man je nach Jahreszeit zwischen 5.30 und 7 Uhr auf dem Gipfel stehen. Die Sensation ist der Sonnenaufgang, der seit weit über 200 Jahren Touristen aus aller Welt anzieht.

Längst sind es nicht nur Hotelgäste, die dieses Schauspiel genießen: Wanderer und Biker brechen bis zu drei Stunden vorher im Tal auf, um auf dem Gipfel zu stehen, wenn die Sonne zuerst tastend und zögernd, dann aber immer rascher und fordernder das Regiment übernimmt. Die Morgenstunden sind auch die Zeit von Renate Käppeli, die mit ihrer Familie das Hotel auf dem Kulm betreibt: Die Chefin zupft die Blumen auf der Terrasse zurecht und prüft das Frühstücksbuffet. 

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Ein Zug durchquert die Landschaft.
Foto: Samuel Trümpy
Die Rigi-Bahn ist auf alten historischen Bahnstrecken unterwegs.

Der tägliche Rummel behagt ihr weniger. Wenn die ersten Züge der Rigi-Bahn ankommen, ist es mit der Ruhe oft vorbei. Renate Käppeli vermisst dann die „Behaglichkeit früherer Zeiten, als die Gäste noch mehr Zeit hatten“. Obwohl die Zahl der Tagestouristen und Wanderer stetig zunimmt, will sie die Gastgeberkultur hochhalten, die seit 1947 von ihrer Familie gepflegt wird. Die Rigi ist nicht nur Kulm, mit 1.797 Metern der höchste Gipfel, und Staffel mit 1.586 Metern, sondern ein Gebirgszug mit zahlreichen Gipfeln, der bis gegen Schwyz reicht.

Alpintouristen, die auch etwas heiklere Touren mögen, zieht es auf die Hochflue, einen felsigen Gipfel, auf den drei anspruchsvolle Routen führen, darunter eine mit einer rund 15 Meter hohen, fast senkrechten Leiter, die 1888 vom Hotelier Robert Stierlin auf Rigi Scheidegg montiert worden ist. In der Nähe befindet sich ein Berg, der mit zwei verschiedenen Namen auf der Landeskarte angeschrieben ist. Je nachdem, von welchem Dorf aus man ihn betrachtet, wird er Gersauer- oder Vitznauerstock genannt. 

Ein Käser präsentiert den Käse.
Foto: Samuel Trümpy
Wie der Vater, so der Sohn: Käser Franz-Toni Kennel jun. bei der Arbeit auf der Alp Chäserenholz.

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Am Arschbaggenweg

Das dritte Alpinwandergebiet sind die steilen Felsen unter dem Kulm, die dem Berg auch den Namen gaben: „riga“ heisst althochdeutsch Linie oder Reihe, die „riginen“ bezeichneten die markanten Felsbänder. Dass sich der Name Rigi von Regina ableite, dem lateinischen Wort für Königin, ist falsch. Auch wenn schon um 1480 der Einsiedler Dekan Albrecht von Bonstetten (1443–1504) die Rigi nicht nur als den Mittelpunkt Europas abbildete, sondern sie auch als „Königin der Berge“ titulierte.

In den Bändern gibt es keine markierten Wege, dafür heikle Felsstufen aus Nagelfluh, die es zu überwinden gilt. Die berühmteste dieser Routen heisst im Volksmund „Arschbaggenweg“, weil der Fels bei der Schlüsselstelle tatsächlich einem menschlichen Hinterteil ähnelt. Ab und zu trifft man auch ungeübte Kletterer, die sich in den heiklen Fels gewagt haben und nun nicht mehr vorwärts- oder rückwärtssteigen können.

 

Ein Mountainbiker in voller Montur.
Foto: Samuel Trümpy
Mountainbiker Pascal Schönenberger, trainiert auf der Rigi regelmässig.

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Wer die Stelle überwunden hat, fragt sich aber auch manchmal, wie er da eigentlich hinaufgekommen ist. Wer es gemütlicher und geruhsamer liebt, wählt den wohl bekanntesten Wanderweg auf der Rigi, der vom Kaltbad zur Scheidegg führt. Er verläuft auf dem Trassee der im Zweiten Weltkrieg abgebrochenen Rigi-Scheidegg-Bahn und weist deshalb kaum Steigungen auf. Immer wieder begegnet man dafür alten Bahneinrichtungen: Hektometertafeln am Weg und vor allem der schönen alten Stahlbrücke bei Unterstetten. 

Im 19. Jahrhundert hatte die Rigi ein ganz anderes Gesicht: Sie war ein Luxusferienort, der betuchte Gäste aus ganz Europa anzog. In Kaltbad, auf der Scheidegg und auf dem Kulm gab es große Hotelpaläste, deren Angebot sich mit den berühmtesten Häusern in den großen Städten messen konnte. Um 1890 standen rund 2.000 Hotelbetten zur Verfügung, die meisten davon in den oberen Kategorien. Mit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs 1914 blieben die Gäste aus, die Hotelbetriebe gerieten in eine Krise, von der sich die wenigsten erholen konnten.

Ein Stück Kuchen.
Foto: Samuel Trümpy
Im Chalet Schild wird selbst gemachter Kuchen angeboten.

Die verlotterten Hotelkästen brannten später ab oder wurden abgebrochen. Heute erinnert kaum mehr etwas an diese alten Zeiten: Immerhin haben sich aber im Rigi Kulm Hotel einige alte Teile des prunkvollen Vorgängerbaus erhalten, etwa das eiserne Eingangstor oder die Bibliothek neben der Reception. Was sich glücklicherweise auch erhalten konnte, sind die Rigi-Bahnen, die von Vitznau und Goldau her bis zum Kulm fahren.

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Die Vitznau-Rigi-Bahn wurde 1871 als erste Bergbahn Europas erbaut. Natürlich war sie damals eine Sensation, dank der sich die jährliche Besucherzahl innert kürzester Zeit von 40.000 auf etwa 80.000 verdoppelte. Die Rigi ist auch ein Berg der Alpen und Älpler. Und der bekannteste von ihnen ist Franz-Toni Kennel (55), eine eigentliche Institution auf der Rigi. Seit er 18 ist, betreibt er nicht nur die Alp Chäserenholz, sondern verarbeitet dort auch die Milch zu ganz unterschiedlichen Käsesorten.

Ein Vorfahre von ihm war noch einer der legendären Rigiträger, die nicht nur Material auf den Berg schleppten, sondern auch die noblen Damen in eigens hergestellten Sänften. Franz-Toni Kennel verarbeitet heute die Milch fast aller Rigi-Alpen, bietet aber auch Essen und Übernachtung und Rigi-Wellness an, unter anderem mit Molkebädern. Molkekuren waren schon im 19. Jahrhundert ein gutes Mittel, die Reste der Käseproduktion gewinnbringend zu verwerten.

Aber was bringt so ein Molkebad überhaupt? Kennels Antwort kommt wie aus der Kanone geschossen: „Mit eusem Molkebad bringsch jedi Falte grad!“ Kennels Käserei ist ein moderner Betrieb. Gelegentlich wird ihm das von Besuchern vorgeworfen, die sich „etwas mehr Romantik“ wünschen. Auf solche Kritik kann Kennel heftig reagieren: „Sollen die im Tal nach modernsten Methoden käsen und wir hier oben wie vor tausend Jahren?“

Kennel produziert ein gutes Dutzend Käsespezialitäten – vom Alpkäse über Chili- und Zwiebelkäse bis zu Ziegen-Camembert. 60 Prozent verkauft er ab Hof, den Rest in Läden auf der Rigi oder den umliegenden Dörfern. 

Ein Wirtshaus mit Außenbereich.
Foto: Samuel Trümpy
Der große Garten des Chalet Schild, einst das gern frequentierte Klubhaus eines Skiklubs. Einige der Möbel hat Wirt Stefan Winiger selbst angefertigt.

Endlich wieder selber kochen

Wer die Rigi besucht, kann unter zahlreichen, ganz unterschiedlichen Gasthäusern wählen. Eines der neueren kulinarischen Angebote bietet das Chalet Schild auf Rigi First. Hier wirtet Stefan Winiger, der nach dem Ende seines Wochenmarktes und der Markthalle in Luzern ganz zufällig das Chalet Schild entdeckte. Sofort habe er gewusst: „Das ist genau der Ort für mich.“ 

Solche Gelegenheiten darf man sich nicht entgehen lassen. Er wollte weg vom Lebensmittelhandel und wieder selber kochen. Dabei kam ihm zupass, dass er von der früheren Tätigkeit viele regionale Produzenten kannte, mit denen er auch jetzt wieder zusammenarbeitet. Etwa mit dem Hildisrieder Urs Amrein, der auf seinem Archehof Rätisches Grauvieh züchtet. Oder dem Haldihof oberhalb von Weggis, wo die Familie Muff neben Schnaps, Brotaufstrichen und Dörrfrüchten auch Seifen oder Badekugeln produziert.

Wichtig ist ihm der Kontakt mit den Gästen, auch wenn es, wenn viele von ihnen kommen, etwas eng werden kann zwischen der Arbeit in der Küche und im Service. Auf der Rigi werden geführte Wanderungen in großer Zahl angeboten: von der Vollmondwanderung zum Sonnenaufgang bis zur botanischen Exkursion entlang des Blumenpfades, der über einen spektakulären Felsenweg führt. Langweilig wird es einem auf diesem Berg jedenfalls nicht so schnell. 
 

Ausblick auf die Berglandschaft.
Foto: Samuel Trümpy
Der Felsenweg bietet den Wanderern einen spektakulären Blick auf den Vierwaldstättersee. Anton Bon, Ende des 19.Jahrhunderts einer der einfussreichsten Hotelpioniere der Schweiz, hat ihn in den Felsen hauen lassen.

Enziane, Orchideen, Lilien

Luzia und Christoph Winter von der Vereinigung „Pro Rigi“, die über die Pflanzenschutzgebiete wacht, sind für den Unterhalt einer Teilstrecke des Blumenpfades verantwortlich. Wir treffen die zwei oberhalb des schönen Aussichtspunktes beim Chänzeli, wo die Blumenvielfalt im Frühsommer besonders eindrucksvoll ist: Enziane, Orchideen und Lilien trifft man auf einer kurzen Wegstrecke an.

In den letzten Jahren machte den Orchideen allerdings die Trockenheit zu schaffen, und auch einzelne Exemplare des Türkenbunds sind im letzten Sommer verdorrt. 200 bis 300 Stunden pro Saison wenden die beiden für ihre Tätigkeit auf, schauen nach, was blüht oder bereits verblüht ist, und versetzen, wo nötig, die Schrifttäfelchen. Bis in den August hinein werden die Blumentouren angeboten, dann ist es vorübergehend vorbei mit der Pracht, und die Nebel schleichen sich langsam wieder über die Bergrücken der Rigi.

Viele Stammgäste schätzen Herbst und Winter noch mehr als die sonnige, heiße Zeit. Die Rigi weist aber eine so große Vielfalt auf und zeigt je nach Jahreszeit so unterschiedliche, aber immer faszinierende Gesichter, dass die meisten sowieso finden: „Rigi geht immer!“

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