Ladakh – Trekking im nordindischen Himalaya
Michael Wagener hat Ladakh, das ehemalige Königreich im westlichen Himalaya, besucht und sich in die dünne Luft der 5.000 m hohen Pässe vorgewagt. Ein Bericht über die Schönheit der nordindischen Bergwelt und die Schattenseiten des Trekkingtourismus.
Text: Michael Wagener
„Der geringste Fehltritt würde einen Reisenden in tiefen Abgründe hinabstürzen und sein Leben fordern oder ihm doch Arme und Beine brechen, wie es einigen meiner Reisegefährten widerfahren ist.“ Meiner Reisebekanntschaft Jörg erging es Gott sei Dank nicht so wie dem Gefährten des Italienischen Jesuiten Desideri. Der Jesuit selbst wanderte im Mai 1715 eher wenig begeistert durch die Bergwelt Ladakhs. Jörg und mich zieht es dagegen mit romantischen Vorstellungen in die Berge. Wir sind auf dem Weg von Lamayuru nach Chilling. Ameisen in den gewaltigen Bergmassiven, die sich in Nordindien auftürmen.
Jörg ist aus Hamburg, Hafenarbeiter und Mitte fünfzig. Im Gegensatz zu mir eine reine Sportskanone und erst seit fünf Tagen auf Urlaub in Ladakh. Ich hingegen bin schon seit einem Monat in der Region und habe eine NGO als Fotograf unterstützt, indem ich ihre Arbeit mit Menschen mit Behinderung dokumentierte. Das Nubra Valley und das Zanskartal konnte ich dadurch schon sehen. Nun stehe ich mit Jörg und Chotak, unserem jungen Guide, im Kloster von Lamayuru. Der riesige Tempelkomplex liegt auf einem Berg und ist umringt von Legenden. Ein See, wie es wissenschaftlich bestätigt wurde, hatte vor Jahrtausende das Lamayuru-Tal bedeckt. Es wird erzählt, dass ein gewonnener Kampf eines Buddhisten gegen im See lebende Schlangengeister, sogenannte Nangas, dazu führte, dass das Wasser abfloss. Ich schließe mich Jörg an diesem Kloster an. Er hat seine Trekkingtour zwei Tagen vorher gestartet. Unsere Route soll uns weiter nach Chilling führen. Von dort soll uns eine abschließende Raftingtour zurück in die „Zivilisation“ bringen.
Das Wanderabenteuer beginnt mit einem sanften Aufstieg, der mir mit der Zeit aber ganz schön viel Kraft abverlangt. Warum tue ich mir das an, denke ich mir alle 10 Minuten, um kurz darauf, beim Heben des Blicks, die Antwort zu bekommen: Ich schaue auf eine atemberaubende Landschaft. Während der Schweiß zwischen meinen Schultern hinabrinnt und die Kamera klickt, schlägt mein Geist förmlich Purzelbäume der Euphorie. Dann setze ich wieder einen Fuß nach den anderen und fluche innerlich. Die dünne Luft, der mangelnde Sauerstoff in den Höhen des Himalayas – meinem Körper fehlt er gerade sehr und das wird ein paar Tage so bleiben.
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Atemberaubende Ausblicke in dünner Luft
Der Tourismus hat sich erst seit der Öffnung Ladakhs 1974 entwickelt. Mittlerweile strömen vor allem indische Besucher in die Region, wobei längere Trekkingtouren oft nur von westlichen Touristen angegangen werden. Die Preise können in beachtliche Höhen steigen im sonst so günstigen Reiseland Indien. Jörg und ich haben uns für eine Variante entschieden. Knapp 40 Euro pro Person und Tag. Guide, Transport zum Trekkingeinstieg, Unterkunft und Essen inklusive. Was man wissen muss: Der Trekkingtourismus in Ladakhs Hauptstadt Leh ähnelt von Mai bis September immer mehr einer Bauernfängerei, die letztlich auch gefährlich werden kann. In vielen Adventureläden wird man davon überzeugt, jede Tour meistern zu können. Bergunerfahrene können hier und da doch an ihre Grenzen kommen. Man sollte sich deshalb umhören, welche Anbieter seriöse Angebote machen – an Erfahrungswerten zahlreicher Touristen mangelt es nicht.
Unser Weg führt uns zuerst über den 3.726 Meter hohen Prinkiti La nach Wanla. Während der Aufstieg zum Pass nur auf den letzten Metern steil ist und man einen unbeschreiblichen Ausblick auf die 5.000er hat, zieht sich der steile Abstieg durch eine enge Schlucht. Der Tag wird lang und wir übernachten bei einer Gastfamilie in Wanla. Während wir tagsüber keinen Wanderern begegnet sind, bietet sich in dem kleinen Bergdorf ein anderes Bild. Zahlreiche Trekkingtouristen werden fair auf die Unterkunft anbietenden Dorfbewohner aufgeteilt. Chotak findet für uns eine der letzten freien Bleiben.
Jörg und ich sind zu müde, um noch das Dorfkloster zu besichtigen, das auf einem Felsen über dem Dorf thront. Dafür freuen wir uns umso mehr auf das Abendessen unserer Gastfamilie. Es sind meistens ladakhische Bauern, die sich mit der Beherbergung von Touristen etwas dazuverdienen und uns die Möglichkeit geben, einen kleinen Einblick in ihre Alltagskultur zu bekommen. Reis mit Dal oder eine Variante der im Himalaya beliebten Momos sind typische Gerichte der Gastgeber. Geschlafen wird in den Räumen von Familienangehörigen. Der Sohn der Familie arbeitet gerade beim Militär.
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Zu Gast bei Einheimischen
Am nächsten Morgen folgen wir einem Flusstal hinauf zum Ort Hinju. Während wir schon nach einigen Stunden anfangen zu keuchen – und das, obwohl diese Etappe als die einfachste unserer Route gilt – brüstet sich Chotak, unser junger Guide, damit ein paar Tage davor eine Gruppe Touristen auf den Stok Kangri, den 6.161 Meter hohen Hausberg Lehs, geführt zu haben. In diesen Momenten merkt man, dass der Umgang mit Touristen noch in den Kinderschuhen steckt. Die Guides überschätzen oft die Fähigkeiten der so stark und kräftig wirkenden „Westler“. Während der circa 165 Meter große Ladakhi mit Leichtigkeit über die Berge seiner Heimat hüpft, lastet auf Jörg und mir zunehmend die Höhenluft.
In Hinju, einem kleinen Bergdorf, passiert es dann. Jörg wird krank. Vielleicht war es der Schluck tibetischen Chang-Bieres am Abend, das Essen, die Anstrengung oder einfach alles zusammen. Während ich nachts nichts davon mitbekomme, wie Jörg sich mehrmals zum Plumpsklo davonschleicht, stehe ich am nächsten Morgen vor einer schwierigen Entscheidung: alleine mit Chotak weitergehen oder Jörg nach Leh zurückbegleiten? Mein Körper schreit förmlich nach einem Burger in Leh, doch mein Kopf lechzt nach Herausforderung. Gegen 7 Uhr morgens stehe ich auf dem Dach unserer Unterkunft und beobachte, wie sich viele kleine Gruppen auf den Weg zum Konzke La, den 4.950 Meter hohen Pass, den es an diesem Tag zu begehen gilt, machen. Jörg organisiert seine Rückreise nach Leh und spricht mir Mut zu, die Tour zu Ende zu gehen.
Chotak und ich gehen los. Hinju verschwindet langsam hinter uns, während es circa vier Stunden lang stetig bergauf geht. Gemächlich entlang eines Flusses. Wir entdecken Yaks auf höher gelegenen Sommerwiesen. Der Fluss verschwindet und wir gehen über das Geröll eines zunehmend trockenen Flussbettes. Die Sommer sind heiß und trocken in Ladakh.
Am Ende des Geröllfeldes startet der steile Aufstieg zum Pass. Zunehmend Zweifel ich an mir und meiner Ausdauer. Eine Trekkingtruppe aus thailändischen Soldaten schwankt vor mir den schmalen Serpentinenpfad entlang. Ich erlebe, wie ein Wanderer von seinem Guide den Weg hochgeschoben wird.
Ich gehe langsam und mache Pausen. Atmen. Immer wieder die Luft einsaugen. Chotak wird ungeduldig, schnappt sich meinen Rucksack und läuft zum Pass hoch. Mit 42 Jahren steigt in mir nun doch etwas Neid auf, über die Schnelligkeit des jungen Ladakhis. Aber er ködert mich und erinnert mich an eine Gruppe von Französinnen, denen wir am Vortag begegnet sind: „We can stay at the same place tonight“ , grinst er mich frech an.
Zwei Stunden später liege ich unter Gebetsfahnen. Geschafft. 4.950 Meter. Nach dem Kala Pattar am Mount Everest der zweithöchste Punkt, den ich erklommen habe. Ich bin voll Adrenalin und glücklich. Und „Wow“ – diese Landschaft: Ich blicke auf ein aufgewühltes Meer aus tausenden von Bergspitze und wilden Formen, die der Wind geschaffen hat. Leider kann ich diesen Ausblick nur kurz genießen. Wolken ziehen auf. Es wird kalt. Binnen wenigen Minuten stehe ich in einem Bombardement aus Regen, Schnee und Eis. Ein grauer Schleier verdeckt das Tal. Nass beginne ich den Abstieg.
Licht und Schatten
Eine halbe Stunde später ist alles vorbei und die Sonne strahlt durch die Wolken. Vier Stunden später streite ich mit Chotak. Meine Schokolade ist am Ende, mein Körper und meine Nerven auch. Zehn Stunden bin ich schon unterwegs und Chotak antwortet mir auf die Frage „How far?“ zum sechsten Mal „Not far, just three kilometer“. Wie hieß es noch in Leh? Jeder kann das schaffen? Ich muss mir eingestehen, dass es der Himalaya in sich hat. Wie Desideri stehe ich jetzt auf schmalem Pfad, kann kaum meine Füße bewegen und blicke steile Abhänge hinunter. Demut und Respekt vor der Natur schleichen sich immer mehr in meinen Geist und verdrängen die Abenteuerlust.
Zwei Stunden später sind wir in Sumda. Ein paar traditionelle Häuser, umgeben von grünen Feldern, die im starken Kontrast zum Ocker der Berge stehen. Hier und da ein Aprikosenbaum. Auch die die Französinnen sind da! Aber ich habe nur Augen für mein Essen.
Am nächsten Morgen entscheiden Chotak und ich den Fluss entlang weiter nach Chilling zu gehen und zwei weitere Pässe zu meiden. Estelle und Marie entschließen sich ebenfalls dazu. Eine Zeit lang stehlen sie den Gipfeln des Himalayas eindeutig die Show, doch schlussendlich vermag mich auch die Farbenpracht der Schlucht, durch die wir wandern, zu begeistern. Die Felsen, gefärbt von den unterschiedlichsten Mineralien, erstrahlen in Blau-, Grün-, Rot- und Ockertönen. Am Ende des Tages ringe ich Chotak doch noch etwas Respekt ab, indem ich mich ins kalte Wasser eines Bergbachs lege.
Der Tag endet wieder entspannt bei einer Gastfamilie. Ich besuche eine kleine Dorfschule und spiele mit den Kindern. Mehrere Trucks mit nepalesischen Bauarbeitern donnern vorbei. Indien baut eine neue Straße in das schöne Zanskarvalley. Gelegentlich hört man Explosionen, die die Felsen spalten. Ladakh soll bequemer zu bereisen werden. Hier wird Chotak nachdenklich. Auch wenn er sich über das Geld der Touristen freut, die Unmengen an Müll und zunehmende Umweltverschmutzung, die sie mitverursachen, sieht der praktizierende Buddhist kritisch.
Am nächsten Morgen fahren Estelle und Marie zurück nach Leh, während mich in einem kleinen Bus Jörg anlächelt, der sich wieder aufgerappelt hat und jetzt mit mir auf dem Zanskar-Fluss raften will. Das werden wir auch tun – und es wird äußerst turbulent und alles andere als trocken werden. Doch das ist eine andere Geschichte.
Infos und Adressen: Ladakh, Indien
Beste Reisezeit: Juni bis September.
Flugverbindung: Air India fliegt von Frankfurt nach Neu-Delhi, von dort bieten mehrere Linien eine Flug-Verbindung nach Leh im Himalaya (BundesstaatJammu und Kashmir). Bucht man direkt mit Air India, spart man sich die erneute Gepäckaufgabe.
Weiterreise: In die Himalaya-Region kommt man auch auf dem Landweg, nämlich über den Manali-Leh-Highway. Anstrengend, aber mit spektakulären Aussichten. Lohnenswert ist dabei der Besuch des Kinderdorfes für tibetische Flüchtlingskinder in Choglamsar oder das Kloster Alchi mit bewundernswerten buddhistischen Gemälden – beides in der Nähe von Leh.
Tourenanbieter:
Himalaya Aperture Travel: Individuell geführte Touren mit dem ladakhischen Fotografen Jigmet Lhundup.
Übernachten: Homestays können über alle Trekkinganbieter organisiert werden. Eine Buchung von Deutschland aus würde ich nicht empfehlen. Vor Ort ist es immer billiger.
Essen und Einkaufen (Leh):
- Amigo: Kleines Restaurant mit koreanischer Küche.
- Open Hand Cafe und Shop: NGO-geführter Laden, in dem junge Inder zu Köchen ausbildet werden und handgefertigte Kleidung angeboten wird. Auch gutes Essen!
NGOs:
- Woman's Alliance bietet die Teilnahme an landwirtschaftlichen Projekten.
- Michael Wagener hat für die NGO Ladakh-Hilfe e.V. fotografiert, die sich um hilfsbedürftige Menschen mit Behinderung kümmert.
Hier geht’s zur Webseite von Michael Wagener.