Sokcho in Südkorea: Wo Ostasien noch exotisch ist
Foto: mauritius images/ ImageClick Corporation
von Frank Eberhard
Wenn von Nord- und Südkorea die Rede ist, dominiert zumeist der Konflikt. Dabei wartet knapp südlich der Grenze mit Sokcho und dem Seoraksan-Nationalpark ein buntes, friedliches Naturparadies darauf, entdeckt zu werden. Frank Eberhard war dort.
Sokcho gehörte bis vor dem letzten Krieg noch zu Nordkorea. Allein dieser eine Satz schafft jede Menge Bilder im Kopf – doch sie gehen alle an der heutigen Realität vorbei. Wieso dann dieser Einstieg in einem Bericht, der von einer der schönsten Gegenden Südkoreas handelt? Eine Region, in der steile, grün, rot und gelb bewachsene Berge aus goldenem Granit bis kurz vor das Ostmeer im Pazifik reichen. Ein Landstrich, der eine voll entwickelte Infrastruktur hat und dennoch weit weg ist von den Megacities Asiens. Nun, weil dieser Satz die Probleme verdeutlicht, unter denen der Ruf Südkoreas leidet. Eines schönen, sicheren und erstaunlich exotischen Landes.
Ostasien unverfälscht
Wer nach Südkorea reisen möchte, kann sich darauf gefasst machen, regelmäßig mit Phrasen konfrontiert zu werden. Entweder etwas in der Art von: „Braucht Ihr ein neues Samsung oder einen Kia?“ Oder: „Na, solange Ihr nicht nach Nordkorea geht!“ Die koreanische Halbinsel zwischen Japan und Nordchina wird allzu oft auf diese beiden Faktoren reduziert: Auf die menschenverachtende, an Atombomben tüftelnde Diktatur des Kim-Klans im Norden sowie auf die massenhaft hergestellten Industrieprodukte Südkoreas. Doch ausgerechnet dieses dichtbevölkerte Erste-Welt-Land hat mit Ecken wie Sokcho noch ein echtes, unverfälschtes Asien zu bieten - in atemberaubender Landschaft. Die Hafenstadt Sokcho – mit 90.000 Einwohnern für koreanische Verhältnisse fast noch ein Dorf – stellt für Langnasen aus dem Westen mit seinen quirligen Märkten und Streetfood-Meilen Exotik pur dar. Das bestätigen auch Zuzanna und Odrej, ein tschechisches Paar, das noch wenige Tage zuvor in Japan unterwegs war. „Hier gibt es noch viel mehr Leben und Unordnung auf den Straßen“, sagen sie. „In Japan ist alles aufgeräumt, hier herrscht manchmal noch ein bisschen Trubel.“
Doch der Star der Gegend liegt im Hinterland: der Seoraksan-Nationalpark. Vor allem im Herbst bietet er Wanderern und Kletterern eine Kulisse der Extraklasse. Die Gipfel der steilen Berge ragen bis über 1.700 Meter hoch in den Himmel. Zwischen ihnen donnern Wasserfälle in enge, über die Jahrtausende ausgespülte Täler. Diese wiederum sind von Tempeln und Schreinen gespickt.
Bevor es ans Wandern geht, steht in Sokcho aber das Organisieren auf dem Programm. Dank Busverbindungen im 20-Minuten-Takt sowie Karten, PDFs und Apps, kurzum allen Vorzügen eines Industrielands, eigentlich kein Problem sollte man meinen. Nicht ganz – denn wie gesagt: Korea ist exotisch. Dazu gehört, dass erstaunlich wenig Menschen Englisch sprechen. Obwohl Koreaner – mit Ausnahme der Busfahrer, die ihren eng getakteten Fahrplan einhalten müssen – extrem freundlich sind, gestaltet sich die Informationsbeschaffung schwierig. Versprochen: Es warten nette Gespräche mit dem aufrichtigen Wunsch des Gegenübers, einem zu helfen. Doch am Ende kann es gut sein, dass außer unzähligen Verbeugungen und guten Wünschen wenig Informationsgehalt, geschweige denn Planungssicherheit herauskommt.
Exotische Zeichen
Der zweite Knackpunkt ist die Schrift. Zwar tauchen in manchen Bussen und Bahnen Ortsnamen im lateinischen Alphabet auf. Häufiger jedoch sind als zweite Schriftsprache chinesische oder japanische Schriftzeichen zu sehen. Aber: Das koreanische Alphabet „Hangeul“ lässt sich leicht lernen. Das führt bereits bei der Reisevorbereitung zu Exotik und Erfolgserlebnissen. Die Basis von Hanguel besteht wie bei uns aus 24 simplen Buchstaben. Stets in Dreierblöcken zu Silben angeordnet, formen diese die Worte. Wer diese 24 Zeichen lernt, kann nach wenigen Stunden Worte lesen und damit Ortsnamen oder Speisen identifizieren und auseinanderhalten. Beides ist oft nicht auf Englisch ausgeschrieben. Dem Sprachkundigen springt dann bei einem Abendspaziergang durch Sokchos bunt beleuchtete Seitengassen zum Beispiel das Nationalgericht Bibimbab ins Auge. Es basiert auf Reis und ist mit verschiedenen Gemüsesorten und einem Eigelb geschmückt. Eine günstige Speise, die sich für Korea-Einsteiger auch deshalb empfielt, weil sie als eines der wenigen Gerichte mit ihrer Schärfe die Geschmacksnerven des Durchschnittseuropäers nicht überstrapazieren.
Zwar verfügt die Hafenstadt über sehenswerte Ecken am Meer. Dazu gehören etwa die Lagune Yeongnangho mit ihren Kranichen und eine Pagode auf den Klippen. Doch wollen die meisten Bibimbab-gestärkten Reisenden den Seoraksan-Nationalpark im Hinterland ansteuern. Diesen werden sie selten für sich allein haben, gerade wenn sie ihn durch den üblichen Osteingang Seorak-dong betreten. Denn die Koreaner bereisen ihr Land viel und gerne. Dazu trägt auch bei, dass sie nicht einfach mal schnell mit dem Auto über eine Grenze fahren können. Wegen des noch immer anhaltenden Kriegszustands mit den Nachbarn im Norden können sie nur per Schiff oder Flugzeug in ein anderes Land gelangen.
Land der Stufen und Treppen
Also wandern zahlreiche in neueste Outdoorkleidung gehüllte Binnenreisenden an ihren freien Tagen durch die Wälder des Seoraksan. Doch der bunte Trubel verteilt sich hinter der 19 Meter hohen Buddha-Statue am Eingang schnell. Manche sehen sich die nahen Tempel an, andere wandern zum beliebten Aussichtsberg Ulsanbawi oder auf dem Weg der Wasserfälle. Beide Touren stehen in ihrem Aufbau stellvertretend für viele andere Touren im Land: Durch Wälder, die sich im Herbst in einen farbenfrohen Fleckenteppich verwandeln, geht es ins Reich des kompakten Granits. Und sobald es steil wird, steht Treppensteigen auf dem Programm. Stufen durchziehen das ganze Land mit seinen zwar nicht hohen, aber stets steilen Bergen. Wo diese gut erschlossen sind, führen Holztreppen in die Höhe, andernorts hohe, ungleichmäßige Felsstufen.
Fast alpine Landschaft
Wer weiter in den Nationalpark vordringt, staunt über die beinahe alpine Landschaft. Doch Schriftzeichen im Fels oder eine kleine Höhle mit Buddha-Statue und einem dort lebenden Mönch halten stets das Fernreise-Gefühl aufrecht. Die Zahl der Wanderer hält sich mittlerweile in Grenzen, sodass Entgegenkommende mit einem freundlichen „Annyeonghaseyo“ – „Guten Tag“ – grüßen. Mit etwas Übung lässt sich auch dieses Wort bald problemlos aussprechen. Manchmal öffnet es – wie vielerorts in der Welt – die Tür zu einem Gespräch. Nicht beleidigt sein sollten Reisende aus Europa, wenn eine der ersten Fragen des Gegenübers „American?“ lautet. Denn für Koreaner sehen weiße Westler mehr oder minder gleich aus. Und noch heute befinden sich rund 30.000 US-Soldaten in Südkorea, gehen in dem 50-Millionen-Volk aber geradezu unter. Im herbstlichen Sokcho jedenfalls dominieren keine monochromen Bilder von Militär oder Industrie. Vielmehr prägen die bunten Blätter der Natur und die Neonlampen des 90.000-Seelen-Dorfs die Optik. Geruch und Geschmack der exquisit-scharfen Küche verwöhnen und fordern Nase und Gaumen. Der Klang der Sprache in den Ohren will so gar nicht in bekannte Muster passen. Und noch lange werden sich die Hände an ihre Versuche erinnern, mit Stäbchen zu essen.
Reise-Infos und Adressen: Sokcho, Südkorea
Lage: Sokcho liegt nördlich des berühmten 38. Breitengrads, der größtenteils die beiden koreanischen Staaten voneinander trennt, am Ostmeer – auch als Japanisches Meer bekannt.
Anreise: Flüge nach Südkorea kommen in den meisten Fällen in der Hauptstadt Seoul an. Jeden Tag fahren von dort aus mehrere Busse nach Sokcho. Die Reisezeit beträgt rund drei Stunden. Einziger Haken: Der Bus kommt im Süden der Stadt an, mehr Leben und die besseren Unterkünfte finden sich jedoch nördlich des Hafens.
Beste Reisezeit: Im Herbst ist die Temperatur zum Wandern angenehm, das Wetter stabil und die Natur am schönsten. Zudem ist es etwas wärmer als in Mitteleuropa. Alternativ bietet sich der Frühling an. Die Sommer sind heiß und feucht, die Winter eisig.
Unterkunft: Im Nationalpark gibt es Wanderhütten, die jedoch gerade im Herbst rechtzeitig im Voraus gebucht werden sollten. Ansonsten bieten sich Tagestouren von Sokcho aus an. Alle 20 Minuten fährt ein Bus zum Nationalparkeingang Seorak-dong. In der Stadt stehen zahlreiche Hotels, Motels und Hostels zur Auswahl.
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