Trailrunning-Tour für Einsteiger
Wie wandern, aber schneller: Trailrunning verbindet Fitness mit Landschaftserlebnis. Für die einen ist es Meditation, für die anderen ein Lebensgefühl. Unterwegs zwischen Engelberg und Grindelwald.
Marlies Seifert für das Bergweltenmagazin August/September 2018 aus der Schweiz
Links knapp an einem spitzen Stein vorbeinavigiert, rechts spritzt der Kiesel zur Seite, schon geht es auf weichem Gras den Hang hinab, dann folgt ein kleiner Hüpfer über die glatte Felsstufe, kurzes Ausscheren nach rechts, nach links und zurück auf dem schmalen Pfad. Vorsicht, Pfütze! Uff. Viel Zeit, um sich an dem umliegenden Bergpanorama zu ergötzen, bleibt beim Trailrunning nicht, selbst wenn nach jeder Linkskurve die vergletscherte Spitze des Titlis gleissend weiss hervorblitzt und um Aufmerksamkeit buhlt.
„Du musst immer mindestens zwei Schritte vorausdenken“, sagt Thomas Infanger. Mit kurzen Schritten trippelt der Engelberger Hotelier hoch über dem Engstlensee voran, die Hände zu lockeren Fäusten geballt und die Ellbogen leicht nach aussen gerichtet. „Deine Arme sind wie Flügel, sie verleihen dir Stabilität, wenn du über den Trail saust“, erklärt er. Für ihn liegt die Faszination am Trailrunning in der unmittelbaren Auseinandersetzung mit der Natur, dem Spiel mit dem Gelände.
Durch das Wetter, die Lichtverhältnisse und die Bodenbeschaffenheit verändern sich die Trails ständig. Man kann sie immer wieder neu entdecken. „Ich bin mit meinen Gedanken komplett am Berg. Nirgendwo sonst kann ich so gut den Kopf lüften.“
Ganz im «Flow»
Seit zehn Jahren ist der 39-Jährige mehrmals die Woche in den Hängen rund um Engelberg unterwegs. Anfangs sei er von Wanderern noch als „verruckte Cheib“ betitelt worden, inzwischen ist er kein Exot mehr. «In den letzten drei, vier Jahren ist die Community rasant gewachsen.» In lockerem Dauerlauf joggen wir über den schmalen Bergpfad Richtung Melchsee-Frutt, den Blick stets einige Meter voraus gerichtet.
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Eine kleine Brücke führt über den sprudelnden Bergbach, vorbei an blühenden Bergwiesen traben wir über den karstigen Untergrund der Hochebene. Auf 1.900 Metern geht der Atem etwas schwerer als im Flachland, dafür pumpen sich die Lungen mit frischer Bergluft voll. Links, rechts, links, rechts, einatmen. Links rechts, links rechts, ausatmen.
Das Tempo wird durch die Länge der Schritte bestimmt, deren Kadenz bleibt stets dieselbe. So stellt sich allmählich ein gleichmässiger Rhythmus ein. Wie von selbst setzt sich ein Fuss vor den anderen. Es knirscht unter den Sohlen, Sonnenstrahlen kitzeln die Haut. Alle Sinne sind geschärft. Und da ist er, dieser hochkonzentrierte Zustand, den Thomas zuvor als „Flow“ bezeichnet hat.
Das Gefühl, mit der Umgebung zu verschmelzen und nochewig so weiterlaufen zu können. Und die Einsicht: gar nicht so eine Qual, dieses Trailrunning.
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Wieso rennen die denn so?
Während einer Pause am Tannensee treffen wir auf Florian Spichtig. Der Oberwaldner Touristiker teilt die Leidenschaft fürs Laufen mit Thomas Infanger. In ihren weiten Shorts gleichen die beiden eher coolen Basketballspielern als verbissenen Extremsportlern. Das entspricht so gar nicht dem vorherrschenden Bild der Trendsportart.
Dieses wird dominiert von Ultraläufern, die scheinbar unmenschliche Distanzen von 100 Kilometern und mehr zurücklegen, oder von Bergläufern, die sich im Eiltempo über steile Kreten hangeln. Klar, Trailrunning kann extrem sein. Muss es aber nicht. «Für mich ist es ein Lebensgefühl. Und zwar eines, bei dem der Genuss im Vordergrund steht, nicht die Leistung», sagt Florian. Wie zum Beweis bleibt er stehen, stemmt seine Hände in die Hüften und lässt seinen Blick über das Gental, die weidenden Kühe und die von den Hängen niederprasselnden Wasserfälle schweifen.
„Wärst du früher aufgestanden, müsstest du jetzt nicht rennen“, habe ihm ein Bergbauer schon nachgerufen. Ein Missverständnis, denn in Eile ist der 42-Jährige nicht. Er rennt fürs Erlebnis. Und wer läuft, kann in kurzer Zeit halt einfach mehr entdecken. So entstand die Idee für den Grand Trail of Switzerland, eine zusammenhängende Route durch die ganze Schweiz, die sich gerade im Aufbau befindet. Wir sind unterwegs auf der Pilot-Etappe von Engelberg nach Grindelwald.
In stetem Auf und Ab führt der Weg weiter via Balmeregghorn (2.255m) und Planplatten (2.233m) zur Mägisalp oberhalb von Meiringen. Hinunter ins Tal geht es schliesslich mit der Gondelbahn. «Das geht nicht gegen die Läufer-Ehre», versichert uns Florian lachend. Gar nicht so elitär, diese Trailrunner.
Es hat doch noch geknackst
Entgegen aller Erwartungen ist das Aufwachen am nächsten Morgen nicht geprägt von schreiendem Muskelkater. Dennoch kürzen wir die über 700 Höhenmeter bis zum Hotel Rosenlaui mit dem Postauto ab. Ist ja erlaubt. Kaum ausgestiegen, türmt sich vor uns ein gewaltiges Bergpanorama auf.
Nur wenige Sportarten verbinden Landschaftserlebnis und Fitness auf so simple Weise wie Trailrunning. „Alles, was man braucht, sind ein Paar gute Schuhe, ein Rucksack, vielleicht noch Stöcke – und es kann schon vor der Haustüre losgehen“, sagt Christine Weibel. Vor der Haustüre liegen in ihrem Fall einige der ikonischsten Gipfel des Landes, denn die 32-Jährige stammt aus Grindelwald und ist im Organisationskomitee des Eiger Ultra Trail. Jeder, der einen sicheren Tritt habe und gerne laufe, sei bereit fürs Trailrunning, versichert sie.
Mit postkartentauglichem Blick auf Well- und Wetterhorn nehmen wir den Aufstieg durch das wildromantische Rosenlauital unter die Füsse. Erst durch den moosigen Nadelwald, dann durch üppige Hochmoor-Landschaften, gespickt mit Heidelbeerbüschen. Wenn es steiler wird, wechselt Christine in ein flottes Marschieren und lässt ihre Arme zur Unterstützung kräftig mitschwingen.
„Gehen ist überhaupt nicht verboten!“ Grundsätzlich sei nur wichtig, dass jeder mit Freude sein eigenes Tempo laufe. Unseres ist reichlich gemächlich. Gut zwei Stunden benötigen wir bis zur Grossen Scheidegg und eine weitere von Pass hinunter zur Alphütte Ischboden, wo eine kräftige Kartoffelsuppe und wohlverdiente Meringues mit Rahm serviert werden.
Weil es sich mit vollem Bauch so schlecht rennt, nehmen wir das Postauto zurück ins Dorf. Im Hotel Lauberhorn angekommen, wartet schon ein kühles Fussbad im Brunnen. Perfekt! Denn am Ende der zweitägigen Trailrunning-Premiere gibt es einen verknacksten Knöchel zu beklagen. Allerdings nicht aufgrund der unebenen Bergpfade, sondern wegen eines akkurat gegossenen Betonabsatzes. Ganz schön gefährlich, diese Zivilisation.