Wintersport rund um den idyllischen Schliersee
Foto: Julian Rohn
Rund um den bayerischen Schliersee kann man auf Ski und auf Schneeschuhen Gipfel sammeln oder kilometerweit langlaufen. Zur Belohnung gibt es die berühmtesten Sahneschnitten der Schlagergeschichte und mild-würzigen Whisky.
Sissi Pärsch für das Bergweltenmagazin Dezember/Jänner 2017/18
Die Holzscheite, mit denen Markus Stehböck den Ofen anfeuert, wirken wie Zahnstocher in seinen tellergroßen Händen. Der Sportwissenschaftler ist ein Bär von einem Bayern. In der Ecke des Häuschens in Fischbachau, eine Stunde südlich von München, sitzt sein Hund Sam – auch kein Schoßhund. Selbstverständlich sind beide die sanftesten Erscheinungen vor dem Herrn – und die Kälteresistentesten. Sie „haben’s gern frisch“. Eingeheizt wird nur schnell für die Gäste, Corinna und Julia, die zur Tourenplanung in Markus’ Stube sitzen.
Nach kurzer Lagebesprechung haben wir den Jägerkamp als Ziel auserkoren, „und dann schau’ ma, ob wir noch ein, zwei weitere Gipfel mitnehmen“, meint unser Guide. Draußen schlägt uns wieder die Kälte entgegen. Auf der Fahrt hinauf zum Spitzingsee macht die Temperaturanzeige eisige Rückschritte, bis sie bei minus 18 Grad hängen bleibt. Der Parkplatz der Taubensteinbahn ist in aller Herrgottsfrühe schon gut gefüllt, obwohl der Lift vor zwei Jahren stillgelegt wurde. Das Gelände gehört nun ausschließlich den Tourengehern.
Die lieben den leicht erreichbaren Sattel oberhalb vom Schliersee, der von einer ganzen Brigade verlockender Skitourengipfel umzingelt ist. Und der mit seinen 1.100 Metern ein recht schneesicherer Ausgangspunkt ist, vor allem weil er obendrein noch so wunderbar im klirrend kalten Schatten liegt.
Wie ein Mantra wiederholen wir, während wir in unsere steifen Schuhe steigen: Je kälter, desto besser der Schnee. Es wird ja schnell warm beim Gehen. Gleich spüren wir die Sonne auf der Haut. Markus fröstelt nicht, er frotzelt stattdessen augenzwinkernd. Handschuhe? „Ne, ich find’s gar ned so kalt.“
Eher idyllisch
Und dann kommt es, wie es kommen muss – Gott sei Dank: Nach dem Eiskaltstart laufen wir uns rasch warm, blinzeln in die Sonnenstrahlen und entledigen uns der ersten Schichten. Ein guter Anlass, sich in Ruhe umzuschauen und die Bergwelt endlich bewusst aufzunehmen. Die Aussicht ist weit und breit.
Das bayerische Alpenvorland entfaltet sich eher idyllisch als imposant. Eher bedächtig als mächtig grüßen Bodenschneid (1.668 m) und Rinnerspitz (1.611 m) von gegenüber. Vor uns liegen flauschige Hänge statt felsiger Wände. Wir spuren weiter über offene Felder, an ruhenden Almen vorbei zum Jägerkamp.
Als wir oben über den Grat spitzeln, gibt es nichts, was wir nicht sehen. Von jeder Seite dockt eine andere Landschaft an den Schliersee. Der flache Norden wellt sich langsam zu Hügeln auf, erste Berge flankieren den See, und im Süden zeigt der felsige Wendelstein schon einmal an, in welche Richtung es weitergeht: Der Zahme und Wilde Kaiser sind nur einen Steinwurf entfernt. Markus sondiert die Lage. „Den Rauhkopf nehmen wir auf jeden Fall noch mit“, bestimmt er und bekommt keine Einwände zu hören.
Es ist einfach das perfekte Skitourenrevier: Wer noch nicht so lang auf Tourenski steht oder nur wenig Zeit hat, der genießt einen Gipfel. Wer noch nicht genug hat, der sammelt einfach weiter. Unzählige Erweiterungsmöglichkeiten tun sich hier im Spitzinggebiet auf. Wir bleiben bei unseren zweien, genießen die Abfahrten und schwingen – ebenso zufrieden wie hungrig und verschwitzt – am Parkplatz ab.
„Das ist eine gute Ausgangslage“, sagt Markus. Er will uns ins Winklstüberl in Fischbachau ausführen, „der Grund, warum ich niemals schlank werde“. In dem unscheinbaren Hof steckt Deutschlands erfolgreichste Konditorei. Hier werden an 365 Tagen im Jahr Torten hochgestapelt, und außerdem erzählt man sich, dass das Stüberl als Inspiration für Udo Jürgens’ berühmten Hit „Aber bitte mit Sahne“ diente.
Um die Kalorien wieder abzutrainieren, müssen Berge erklommen und Kilometer gelaufen werden. Markus schlägt die Route 36 vor – eine Langlaufloipe, die sich über 36 Kilometer durch das Tal zieht. Bei unserem Sättigungsgrad ist aber ein leichtes Dahingleiten kein Thema. Wir plädieren für eine Verdauungsschneeschuhtour und hoffen, dabei nicht allzu tief einzusinken.
Gut gefüllt sind inzwischen auch die Straßen – primär mit Münchener Kennzeichen. „Es ist Fluch und Segen zugleich“, meint Markus über die Nähe zur bayerischen Landeshauptstadt und grinst. Trotz des regen Verkehrs geht es rund um den Schliersee angenehm unaufgeregt zu. Es fehlen die massentauglichen Skistätten. Stattdessen wandert man vom Ursprungstal in 30 Minuten zum Sillberghaus auf 1.050 Meter Höhe. Oder man zieht seinen Schlitten zum köstlichen Kaiserschmarrn auf den Firstalmen.
Après-Ski-Buden oder Hotelbunker gibt es hier nicht. Im kleinen Skigebiet am Spitzing kehrt man in einer Alm ein oder in der nahen Albert-Link-Hütte, die für ihr Holzofenbrot und den geräucherten Käse berühmt ist. Gemütlich sind auch die nostalgischen Lifte am Wendelstein. Dort liegt der Tannerhof, ein Naturhotel, in dem Gäste in Hütten am Hang nächtigen.
Gegründet hat die Anlage 1904 der Lungenfacharzt Christian von Mengershausen. Seine Urenkelin Burgi beschreibt ihn als „Hippie von damals“ und zeigt Fotos, auf denen sich ihr Urahn fröhlich in seinem Element zeigt – einmal mit Lederhose, einmal wie Gott ihn schuf.
In vierter Ärzte-Generation praktiziert die Familie Alternativmedizin und feiert alles, was sich gegen die „oberflächliche Wurschtigkeit“ richtet: Bio-Essen, Kultur, Yoga. „Am Schliersee“, sagt Burgi über ihre Heimat, „genieße ich die richtige Balance. Wir haben auf der einen Seite eine wunderbare Bergwelt und auf der anderen Seite den offenen Blick für Neues.“
Ausbalancierte Kontraste
Mit der Ausgeglichenheit ist das am Schliersee so eine Sache, wie wir bei einem hochprozentigen Tropfen erfahren. Der stammt von unserem Skitourengipfel, dem Jägerkamp. Sein glasklares Bergwasser speist die Quelle der Destillerie Slyrs, die seit 1999 in Schliersee Single-MaltWhisky brennt.
Als „charaktervoll würzig, aber angenehm mild“ beschreibt Destillateurmeister Hans Kemenater seinen Slyrs und erklärt: „Das liegt an den Temperaturschwankungen im Tal.“ Wieso stimmen die Gegensätze den Whisky milde? Sollten sie ihn nicht vielmehr härter, rauer machen? „Tatsächlich balancieren die Kontraste sich aus“, sagt Hans Kemenater.
Wenn sich ein Whisky von der Natur zähmen lässt, wirkt sie dann auf die Menschen ebenso? Der Brenner bejaht: „Wir können zunächst schroff wirken, doch im Grunde sind wir sanft und geruhsam.“ Und wirft hinterher: „Aber auch charakterstark.“ Darauf hebt Markus sein Glas und nickt.
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