Alpiner Notfall: Basic-Ablauf in 5 Punkten
Foto: mauritius images / Aurora Photos / Menno Boermans
von Riki Daurer
Bergsteigen ist ein Risikosport: Egal, ob blutiger Anfänger oder erfahrene Expertin – jeder und jede kann mit einem Notfall in den Bergen konfrontiert werden. Auf solch eine Situation sollte man vorbereitet sein, denn im Ernstfall zählt jede Sekunde! Bergwelten stellt einen grundlegenden Ablauf in 5 Schritten vor, an dem man sich in alpinen Notsituationen orientieren kann.
1. Überblick verschaffen - kurzen Notruf absetzen
Ist man mit einem Unfall oder einer Notsituation konfrontiert, gilt vor allem eines: Seine Ruhe wiederfinden und sich einmal einen Überblick über die Situation verschaffen. „10 Seconds für 10 Minutes“ ist dabei ein Grundsatz, der verdeutlichen soll, dass zu Beginn investierten Sekunden helfen, später wertvolle Minuten zu sparen. Je nach Situation sollten z.B. folgende Fragen geklärt sein, bevor die ersten Handlungen gesetzt werden:
Sind der Unfallort und seine Umgebung für mich und meine Gruppe sicher oder drohen weitere Gefahren?
Befindet sich die verunfallte oder betroffene Person noch in einer Gefahrenzone?
Hat man eine weitere Gefährdung ausgeschlossen, kann je nach Notsituation die verunfallte Person aufgesucht und angesprochen werden bzw. mit der Lawinenverschütteten-Suche, Spaltenbergung etc. begonnen werden.
Möchte man für verschiedenste Notfallszenarien eine möglichst allgemeingültige Reihenfolge angeben, dann erfolgt spätestens hier, d.h. bevor mit Berge- oder Suchmaßnahmen begonnen wird, ein „kurzer Notruf“. Wenn es ohne Zeitverlust möglich ist – also vor Ort eine Mobilfunkabdeckung besteht – wird die entsprechende Notrufnummer gewählt:
Alpin-Notrufnummern:
EU/Deutschland/Frankreich: 112
Österreich: 140 oder 112
Schweiz: +41 333 333 333
Italien: 112
Die Leitstelle wird unter anderem folgende Dinge wissen wollen:
Wo befindet sich der Unfallort?
Was ist passiert?
Wieviele Personen sind am Unfall beteiligt?
Wer ruft an?
Besteht die Gruppe aus mehreren Personen, übernimmt eine davon den Notruf. Der oder die Anrufende folgt dabei einfach den Anweisungen der Leitstelle, was einige Minuten in Anspruch nehmen kann.
Wenn man als Ersthelfer vor Ort allein ist oder wenn alle verfügbaren Personen dringend für die Suche oder Bergung benötigt werden, ist es wichtiger, der verunfallten Person zu helfen als zu telefonieren. In dieser Situation informiert man die Leitstelle, nachdem man den wichtigsten Informationen mitgeteilt hat (Wo ist der Unfallort? Was ist passiert?), dass man den Notruf unterbrechen muss, aber am Telefon erreichbar bleibt. Dabei ist ein kleines Headset (einstellbarer Kopfhörer mit Mikro) ideal, um erreichbar zur bleiben, während man die Suche oder Rettung durchführt.
2. Verletzte Person bergen - Erste Hilfe
Je nach Notfallsituation im Gelände, ist es mehr oder weniger schwierig, zur verunfallten Person zu gelangen, um Erste Hilfe leisten zu können: Während die verunfallte Person in manchen Fällen schnell erreichbar ist, kann es in anderen Fällen nötig sein, dass man sie erst orten und bergen bzw. ausgraben (Lawinenverschüttung) oder sich zu ihr abseilen muss (Spaltensturz).
Hat man die verunfallte Person erreicht, arbeitet man das bewährte ABCDE-Erste-Hilfe-Schema ab.
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Das Ziel dieser Erste-Hilfe-Maßnahmen ist es, den Zustand der verunfallten/betroffenen Person bis zum Eintreffen der Rettungskräfte so stabil wie möglich zu halten.
Dabei kann der Punkt „Wärmehaushalt“ (bereits in C des Schemas) nicht stark genug betont werden: Selbst im Sommer und bei vermeintlichen Bagatellverletzungen kühlen Verletzte extrem schnell aus – davor gilt es sie mit allen Mitteln (Bekleidung, Biwaksack …) zu schützen.
3. Notruf absetzen oder Hilfe holen
Wenn es bislang nicht möglich war, einen kurzen Notruf abzusetzen, muss spätestens jetzt – nach der Erstversorgung bzw. Stabilisierung der verunfallten Person – ein Notruf abgesetzt werden, um die Rettungskräfte zu alarmieren. Hier gilt es den Anweisungen der Leitstelle Folge zu leisten (hat man dies bereits getan und herrscht Flugwetter, wird man vermutlich schon den Helikopter knattern hören).
Wenn man über kein Mobilfunknetz verfügt, hat man keine andere Wahl als den Unfallort zu verlassen und entweder einen Punkt mit Empfang zu suchen (Tipp: in Richtung einer Erhebung aufsteigen) oder schlimmstenfalls ins Tal bzw. zur nächstgelegenen Hütte abzusteigen. Besteht die Gruppe aus mehreren Personen, ist das meist kein Problem, ist man allerdings allein mit der verletzten Person, ist das eine schwierige Situation.
Wer unabhängig von der Netzabdeckung einen Notruf absetzen möchte, kann den Erwerb eines Satelliten-Messengers in Erwägung ziehen. Viele Bergsteiger und -führer im Alpenraum verwenden das inReach-System von Garmin, das leistbar ist.
4. Auf sich aufmerksam machen
Nähern sich die Rettungskräfte mit dem Hubschrauber, Auto oder zu Fuß, gilt es, mit allen verfügbaren Mitteln auf sich aufmerksam zu machen: vom bewährten Yes-Zeichen für den Helikopter über das Winken mit Signalfarben oder lautes Rufen bis zum neuerlichen Anruf bei der Leitstelle zur genauen Anweisung. Wichtig ist, dass die Rettungskräfte möglichst schnell zum genauen Unfallort gelangen!
Das Gegenteil gilt für alle Gruppen und Personen, die in keiner Notsituation sind: Werden sie langsam und suchend von einem Rettungshubschrauber überflogen, bitte nicht winken, sondern mit dem No-Zeichen signalisieren, dass man keine Hilfe benötigt.
5. Sicher absteigen - Angehörige informieren
Sind die Rettungskräfte vor Ort, übernehmen sie alle weiteren Maßnahmen, bei denen man sie entsprechend unterstützt. Sobald die verunfallte Person professionell versorgt und abtransportiert worden ist, sollte man sich selbst ein paar Minuten Zeit geben, um sich zu sammeln und das Erlebte zu verdauen. Denn: Man selbst muss auch noch sicher ins Tal kommen und manchmal auch noch länger konzentriert absteigen können. Wer sich das – aus welchen Gründen auch immer – nicht mehr zutraut, sollte das Angebot der Rettungskräfte, gemeinsam mit ihnen abzusteigen bzw. sich mit dem Helikopter ausfliegen zu lassen, ohne Zögern annehmen.
Was einem noch bevorsteht, wenn die verunfallte Person aus der eigenen Gruppe kommt: Auch die Angehörigen müssen darüber informiert werden, was passiert ist. Bei leichten Verletzungen geht es meist um logistische Dinge, d. h. wo kann die verunfallte Person abgeholt werden, in welchem Krankenhaus befindet sie sich oder wer kümmert sich um das verbliebene Fahrzeug am Parkplatz. Bei schweren Unfällen sieht die Situation leider anders aus: Die Nachricht vom schweren Unfall eines Freundes an dessen Familie zu überbringen ist etwas, das man niemandem wünscht und selbst nicht erleben möchte. Die Rettungskräfte und Alpinpolizisten vermitteln hier aber die Unterstützung von Kriseninterventionsteams und stehen mit Rat und Tat zur Seite.
Tipp
Das Was-Wäre-Wenn-Spiel hilft, sich auf mögliche Notsituationen – zumindest mental – vorzubereiten. Fragt euch im Rahmen eurer nächsten alpinen Unternehmung, wie ihr konkret mit einem auftretenden Notfall umgehen würdet.
Spielt man solche Notfallszenarien regelmäßig im Kopf durch, reagiert man erwiesenermaßen gelassener und effizienter in echten Notfällen.
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