David Lama: Über den Entdeckergeist
Foto: David Lama
von David Lama
Via Google Earth ist die ganze Welt nur einen Mausklick entfernt. Trotzdem gibt es noch genug weiße Flecken für reale Abenteuer. David Lama hat die gewaltige Loska-Stena-Nordwand in Slowenien zu seinem Ziel erkoren.
Die großen Entdecker hatten es gut: Als Pioniere wie der Seefahrer Ferdinand Magellan oder der Polarforscher Robert Falcon Scott aufbrachen, konnten sie komplett unbekanntes und ein ungleich größeres Terrain erkunden als wir heute.
Aus den großen weißen Flecken auf der Landkarte von damals sind kleine unerforschte Pixel geworden. Wer im 21. Jahrhundert Kolumbus spielen möchte, muss wohl Astronaut werden. Trotzdem glaube ich, dass man als Alpinist den eigenen Entdeckergeist auch heute ausleben kann.
Peter Ortner und ich waren 2012 aus Patagonien von unserer erfolgreichen Cerro-Torre-Expedition zurückgekehrt, da schickte er mir ein Foto von der gewaltigen Loska-Stena-Nordwand in den Julischen Alpen in Slowenien. Im Gegensatz zum berühmten Cerro Torre ist diese schattige Kalkwand vergleichsweise unbekannt, und jegliche Besteigung würde trotz ihrer Schwierigkeit und Ernsthaftigkeit nie über eine mediale Randnotiz hinauskommen. Dies spielte für Peter und mich allerdings überhaupt keine Rolle.
Unser ganzes Interesse galt einem noch unerschlossenen Wandteil, der ein hohes Maß an Ungewissheit und Abenteuer versprach. Als wir nach Slowenien aufbrachen, drehten sich unsere Gedanken nur um die vor uns liegende Erstbegehung und um die Lösung der damit verbundenen Probleme.
In den Julischen Alpen bekamen wir, wonach wir gesucht hatten: Der Fels war extrem geschlossen, und wir konnten kaum Haken als Sicherungspunkte einschlagen. Oft verdeckte loser Schnee die wenigen Strukturen, die ein Weiterkommen ermöglicht hätten. Wir fühlten uns in der Wand viel schneller verloren, als uns lieb war. Weder Gipfel noch Einstieg schienen in Reichweite, um uns herum brach es steil ab, und es war kein klarer Weg ersichtlich.
Spätestens als wir – entgegen unserem ursprünglichen Plan – zum zweiten Mal in der Route biwakieren mussten, hatte uns die Ungewissheit zur Improvisation gezwungen. Dieses am Bildschirm kleine und wenig beachtete Pixel erwies sich als groß genug für ein ordentliches Abenteuer. Es brachte Angst und kalte Zehen mit sich und war damit genau das, wonach wir uns gesehnt hatten. Wir waren schon zufrieden, noch bevor wir den Gipfel erreichten.
Genau dieser Entdeckergeist war und ist die Motivation jeder Reise ins Unbekannte – egal, ob es sich um eine endlose Eiswüste, einen unbestiegenen Berg oder persönliches Neuland handelt, in das wir bei der Wiederholung eines Klassikers beim Klettern vordringen. Deshalb sind auch die Einsichten, die solche Reisen mit sich bringen, ähnlich: Entdecken heißt Erfahren und Erleben – und das findet nicht in Büchern oder am Computer statt. Die eigene Abenteuerlust treibt einen an.
Sind es vor dem Aufbruch vor allem Fragen wie „Was werden wir finden?“, die uns losziehen lassen, so sind es auf lange Sicht die dort gefundenen Erkenntnisse über uns selbst, die uns antreiben.
Sie sind für mich ein entscheidender Grund, überhaupt in die Berge zu gehen.
- Einen detaillerten Bericht über die Erstbegehung der Loska-Stena-Nordwand findest du auf David Lamas Webseite.
Weitere Blog-Beiträge von David Lama
David Lama: Über das Heimatgefühl
David Lama: Über den Risikofaktor Wetter
David Lama: Über Freundschaft
David Lama: Über Risiko
- Berg & Freizeit
Peter Habeler wird 80!
- Berg & Freizeit
Das Leben ist zu kurz für irgendwann!
- Anzeige
- Berg & Freizeit
Zum Gipfel des Manaslu: Lawinen an Emotionen
- Berg & Freizeit
Simon Messner: Hartnäckigkeit macht sich bezahlt