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Die Zellerhütte im Toten Gebirge: Eintritt ins Allerheiligste

Aktuelles

5 Min.

21.03.2018

Foto: Robert Maybach

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Wer höflich klopft, darf in die Stube mit dem Stammtisch. Wie es im Herzen der oberösterreichischen Zellerhütte im Toten Gebirge zugeht, erzählt diese Geschichte: mit ganz viel Liebe, einem fidelen Augenzwinkern und einem Hauch Wehmut. Die Story ist im Bergwelten Magazin (Februar/März 2018) erschienen.

Text: Martin Staudinger; Foto: Robert Maybach

Sitzen der Schlawiner, die Filzmoserin, die Heidi, der Weißkopfgeier, der Robert, der Fredl und ein paar andere bei der dritten Flasche Weißwein… So beginnt eine archetypische Geschichte auf der Zellerhütte, genauer gesagt eine, die in ihrem Allerheiligsten spielt – gleich neben der Eingangstür links, wo man anklopfen muss und Handys und Filmaufnahmen per Aushang untersagt sind; also in der Stube mit dem Stammtisch, den nur eine Durchreiche und eine Tür ohne Türblatt von der Küche trennt, in der schon das Gamsragout schmurgelt.

Draußen muss es finster sein und so kalt, dass die Scheiben beschlagen sind, und idealerweise schneit es auch noch auf den Nordhang der Warscheneckgruppe in Oberösterreich, sodass man die Lichter aus dem Windischgarstner Tal nur manchmal heraufblinzeln sieht.

Die, die hier zusammensitzen, kennen sich schon seit Jahren: Es sind Frauen und Männer mit ganz unterschiedlichem Hintergrund, die hier eine Art Basislager gefunden haben, zu dem sie immer wieder zurückkehren, wohin auch immer sie zuvor bereits aufgebrochen sind.

Der Fredl zum Beispiel, der voriges Jahr 32-mal hier eingekehrt ist: Jetzt plant er am Südende des Stammtischs mit der Ulli und dem Thomas eine Bergtour nach Nepal, es ist bereits die dritte des Trios. Oder die Vroni (vulgo Filzmoserin) mit ihrem Chris (vulgo Schlawiner) von der Alpinpolizei, der praktisch aus jeder Wand in den Ostalpen schon einmal jemanden aus Bergnot gerettet hat, und hier alle ein, zwei Wochen auftaucht – jetzt schnappt er sich die Steirische, die zur Grundausstattung der Wirtsstube gehört, und man hört sie geradezu erleichtert aufatmen, als die Luft in ihren Balg strömt.

Oder der Ernstl (vulgo Weißkopfgeier), der als glücklicher Pensionist jedes Jahr sicher 20-mal hier ist – und der wie immer das große Ganze (also auch die Bar jenseits des Stammtischs) im Blick hat. Und der Klaus, der auch in der Küche und an der Bar mit anpackt, wenn’s knapp wird.

Und über allem wachen die Heidi und der Robert, und das seit immerhin schon 15 Jahren. Eigentlich war nicht wirklich geplant, dass sie Hüttenwirte werden würden. Die längere Zeit ihres Berufslebens hatten sie unten im Tal verbracht, als Angestellte eines Automobilklubs. Aber dann geschah es, dass Robert eher überraschend auf der Straße stand und sich etwas überlegen musste, nämlich: Was willst du wirklich machen?

Nach einigem Nachdenken kam er darauf, dass er die Antwort im Grunde eh schon gewusst hatte, bevor er sie sich überhaupt selbst stellen musste. Sie lautete: Ein Hüttenwirt will ich sein.

Die Hüttenwirte Heidi und Robert Leiss: Nach 15 Jahren sind sie in ihrer letzten Saison


Am Gott-sei-Dank-Bankerl

Gedacht, getan. Robert Leiss machte sich auf die Suche nach einem Arbeitsplatz und fand schließlich den idealen – die Zellerhütte, auf 1.575 Meter Seehöhe im Toten Gebirge gelegen. Man erreicht sie am besten vom Schafferteich in Vorderstoder aus, über einen Weg, der recht gemütlich beginnt, zur Hälfte dann aber durchaus steil ansteigt.

Beim „Gott-sei-Dank-Bankerl“ erblickt man einige der markantesten Gipfel des Nationalparks Kalkalpen: die Südflanke des Großen Priel und die Spitzmauer beispielsweise. Da kann man nicht einmal im kalten Winter der Versuchung widerstehen, sich kurz einmal niederzulassen, um das Panorama zu genießen.

Ein paar Serpentinen noch, dann steht man vor der Zellerhütte, die sich die längste Zeit hinter einem Mugel im steilen Hang versteckt hat. Spätestens jetzt wird klar: Hier rennt ein Schmäh, für den die Bezeichnung „rustikal“ mutmaßlich eigens erfunden wurde. Gleich am Eingang thront eine Frauenfigur, die nicht nur aus Holz geschnitzt ist, sondern (man verzeihe den altvaterischen Kalauer) auch ziemlich viel vor der Hütte hat, Körbchengröße G, wenn nicht sogar mehr.

Zum harten Kern der Stammgäste gehören zehn bis fünfzehn Leute, die einander so gut kennen, dass die Zellerhütte für sie eine Art hochgelegenes Wohnzimmer geworden ist. Das strahlt auch auf die offizielle Gaststube aus, die im Winter vor allem von Ski- und Schneeschuh-Tourengehern frequentiert wird, deren Ziel das 2.388 Meter hohe Warscheneck am östlichen Ende des Toten Gebirges ist.

Auf der Zellerhütte werden ganz eigene Hochfeste gefeiert. Jeden 8. Dezember trifft man sich zum Beispiel traditionellerweise zum FKK. Dabei handelt es sich aber nicht, wie man nun annehmen würde, um leicht bekleidetes Schneetreiben – die Abkürzung steht vielmehr für „Fremde Kekse kosten“ – und hat schon bis zu 65 verschiedene Sorten Backwerk auf den Tisch gebracht.


Rupicarpa Rupicarpa

Es geht also ausgelassen zu im Allerheiligsten der Hütte. Davon zeugt etwa auch ein kleiner Wandbehang, in den taxativ eingestickt ist, welcher Stammgast welchen mit jener Verbalinjurie bedenken darf, die das Wort „Gesäß“ etwas derber zum Ausdruck bringt. Es gibt auch eine Hüttenzeitung mit vielen Fotos, die nicht für alle Welt bestimmt sind.

Was es nicht gibt, sind Standesunterschiede (wehe dem Gast, der hier mit seiner gehobenen Stellung für Eindruck oder schnellere Bedienung zu sorgen versucht – darauf kann der Wirt durchaus ungehalten reagieren) oder Beschränkungen der freien Meinungsäußerung und die Gefahr, dass jemandem eine hüttenmilieubedingte Äußerung, die man unterhalb von 1.000 Meter Seehöhe bestimmt missverstehen könnte, krumm genommen wird.

All das sind gute Gründe, weshalb für das Allerheiligste (wie gesagt: links vom Eingang, bitte klopfen) das gleiche Grundgesetz gilt, wie auch für Las Vegas: „What happens in the Zellerhütte stays in the Zellerhütte.“ Und das ist auch gut so.

Wer hier einkehrt, sollte übrigens auch kein Vegetarier sein. Nicht, weil es auf der kleinen, feinen Karte nichts für seinen Geschmack gäbe, sondern weil ihm die Spezialität des Hauses entgehen würde – die Wildgerichte. An die zwanzig Gämsen verkocht Robert Leiss pro Saison zu Ragout und dazu noch ein paar Hirschen.

Mit dem Verkochen von Gämsen hat Robert Leiss schon begonnen, als die Wirten im Tal kulinarisch noch nichts mit der Gattung Rupicapra rupicapra anzufangen wussten. Inzwischen steht sie auch dort auf vielen Speisekarten, was schon einmal zu Nachschubproblemen führt.

Auch Vegetarier werden auf der Zellerhütte glücklich, etwa mit den Kasnocken

Aber heute, an diesem Wintersamstag, der alle Kriterien für den perfekten Zellerhüttenabend hat, zieht schon der Duft von Gamsragout in die Stube. Der Wirt hat also Zeit und Lust, sich die Gitarre umzuschnallen und sein Lieblingslied anzustimmen: „Una festa sui prati, una bella compagnia, panini, vino un sacco di risate, e luminosi sguardi di ragazze innamorate.“ Zu Deutsch: „Eine Party auf der Wiese, eine schöne Gesellschaft, Brötchen, Wein und viel Gelächter und strahlende Blicke verliebter Mädchen.“ Daran stimmt nur eines nicht, nämlich der Umstand, dass die Party nicht auf einer Wiese stattfindet. Alles andere passt, auch die letzte Zeile – wie die Heidi den Robert anschaut, ihm den verrutschten Gitarrengurt richtet und dann sagt: „Des is der Wirt. Des is es, was wir an ihm lieben“, während er einfach weitersingt. Was den Schlawiner, der eigentlich längst mit der Filzmoserin ins Tal abfahren will, dazu bringt, den Airbag seines Lawinenrucksacks auszulösen, dass es nur so schnalzt, um sich dann doch noch auf ein Fluchtachterl niederzusetzen.

Und die Geschichte, von der zu Beginn die Rede war? Sie wird jedes Wochenende im Winter neu erzählt und handelt von eingefleischten Freunden und ihrem Schmäh, von einem Refugium, das ein paar hundert Höhenmeter über dem Alltag liegt, wo es auch keine Rolle spielt, wer wen gewählt hat und was er im Tal macht und denkt; also so, wie Hütten sein sollten.

Die Geschichte wird aber nicht mehr lange erzählt. Diese Wintersaison ist nämlich die letzte für Heidi und Robert, im Frühjahr beginnt auf der Zellerhütte etwas Neues, was sich erst finden muss, aber keine Bange: Auch das wird eine gute Geschichte sein.


Die Zellerhütte im Detail

  • Höhe: 1.575 m
  • Standort: Region Pyhrn-Priel, Totes Gebirge, Oberösterreich
  • Pächter: Robert und Heidi Leiss
  • Ausstattung: 8 Betten in zwei 4-Bett-Zimmern, 28 Plätze in Matratzenlagern und 15 im Notlager. Biwakraum für Notfälle.
  • Geöffnet: jedes Wochenende (Fr. – So.)
  • Preise: Inklusive Frühstück von EUR 15,50 (Notlager) bis EUR 29,50 (Bett). Für Alpenvereins-Mitglieder EUR 13,50 bis EUR 19,50.
  • Kontakt: Tel.: +43/664/411 27 17
Panoramablick von der Zellerhütte
Österreich, Vorderstoder

Zeller-Hütte

HütteBewirtschaftet

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