Georg Trakl: „Der Spaziergang“
Wir geben euch wieder ein Berggedicht mit in die Woche. Diesmal: „Der Spaziergang“ vom österreichischen Dichter Georg Trakl (1887-1914).
I
„Musik summt im Gehölz am Nachmittag.
Im Korn sich ernste Vogelscheuchen drehn.
Hollunderbüsche sacht am Weg verwehn;
Ein Haus zerflimmert wunderlich und vag.
Beliebt auf Bergwelten
In Goldnem schwebt ein Duft von Thymian,
Auf einem Stein steht eine heitere Zahl.
Auf einer Wiese spielen Kinder Ball,
Dann hebt ein Baum vor dir zu kreisen an.
Auch beliebt
Du träumst: die Schwester kämmt ihr blondes Haar,
Auch schreibt ein ferner Freund dir einen Brief.
Ein Schober flieht durchs Grau vergilbt und schief
Und manchmal schwebst du leicht und wunderbar.“
2
„Die Zeit verrinnt. O süßer Helios!
O Bild im Krötentümpel süß und klar;
Im Sand versinkt ein Eden wunderbar.
Goldammern wiegt ein Busch in seinem Schoß.
Ein Bruder stirbt dir in verwunschnem Land
Und stählern schaun dich deine Augen an.
In Goldnem dort ein Duft von Thymian.
Ein Knabe legt am Weiler einen Brand.
Die Liebenden in Faltern neu erglühn
Und schaukeln heiter hin um Stein und Zahl.
Aufflattern Krähen um ein ekles Mahl
Und deine Stirne tost durchs sanfte Grün.
Im Dornenstrauch verendet weich ein Wild.
Nachgleitet dir ein heller Kindertag,
Der graue Wind, der flatterhaft und vag
Verfallne Düfte durch die Dämmerung spült.“
3
„Ein altes Wiegenlied macht dich sehr bang.
Am Wegrand fromm ein Weib ihr Kindlein stillt.
Traumwandelnd hörst du wie ihr Bronnen quillt.
Aus Apfelzweigen fällt ein Weiheklang.
Und Brot und Wein sind süß von harten Mühn.
Nach Früchten tastet silbern deine Hand.
Die tote Rahel geht durchs Ackerland.
Mit friedlicher Geberde winkt das Grün.
Gesegnet auch blüht armer Mädge Schoß,
Die träumend dort am alten Brunnen stehn.
Einsame froh auf stillen Pfaden gehn
Mit Gottes Kreaturen sündelos.“
Georg Trakl
Georg Trakl wurde 1887 in Salzburg geboren. Nachdem er die Schule abgebrochen und erste Erfahrungen mit Drogen gemacht hat, begann er eine Ausbildung in einer Salzburger Apotheke. Das erleichterte ihm nicht zuletzt den Zugang zu Rauschmitteln. Es folgte ein Umzug nach Wien, wo er Pharmazie studierte und sich über erste Veröffentlichungen außerhalb seiner Heimatstadt Salzburg freuen durfte.
Drogen und Depressionen charakterisierten nichtsdestotrotz weiterhin das Leben – und Schaffen – des Dichters. Ab 1911 pendelte Trakl zwischen Innsbruck, Salzburg und Wien – wahlweise auf der Suche nach Arbeit oder Verlegern. Mit Ausbruch des Ersten Weltkriegs wurde er 1914 als Militärapotheker ins Heer einberufen. Trakl erlebte dort die Schlacht von Gródek mit: Die Erfahrungen im Lazarett traumatisierten den psychisch ohnehin schon schwer angeschlagenen Trakl so sehr, dass er zunächst einen Nervenzusammenbruch erlitt, gefolgt von einem Selbstmordversuch.
Nachdem er in ein Krakauer Militärhospital verbracht worden war, starb er dort 1914 an einer Überdosis Kokain.