Wie sicher ist ein Klettersteigset?
Foto: Jakub Cejpek / stock.adobe.com
von Riki Daurer
Vor dem ersten Einsatz am Berg sollte man sich unbedingt mit seiner Ausrüstung vertraut machen. Das Klettersteigset ist für alle Drahtseil-Abenteuer das zentrale Element. Alle Infos zur Handhabung und technischen Standards von Klettersteigsets lest ihr hier.
Das Klettersteigset
Alles, was uns beim Bergsteigen vor Absturz und Verletzungen schützen soll, fällt in die Kategorie „Persönliche Schutzausrüstung“ (PSA). Diese Produkte können nur verkauft werden, wenn sie bestimmte, europaweit gültige Normen (EN) erfüllen. Diese Normen sind Mindestanforderungen, die von den Herstellern eingehalten und von Prüfhäusern abgenommen werden müssen. Als Anwender haben uns diese Normen nicht besonders zu beschäftigen, sondern wir können uns darauf verlassen, dass wir – eine korrekte Bedienung vorausgesetzt – „sichere“ Ausrüstung erhalten.
Deswegen erfahren wir es normalerweise auch nicht, wenn es Änderungen bei einer bestimmten Norm gibt. Eine Ausnahme betrifft die aktuelle Norm von Klettersteigsets, die im April 2017 rechtsgültig geworden ist. Hersteller und Medien sind damals ausführlich auf die Thematik eingegangen und auch heute wird noch eifrig darüber diskutiert. Auslöser waren einige Unfälle, die mit den „alten“ Sets passiert sind.
Große Rückrufaktion
Im August 2012 kam es zu einem tödlichen Absturz, nachdem beide (!) elastischen Arme eines genormten Klettersteigsets bei einem Sturz gerissen sind. Anwendungsfehler lag keiner vor, die Ursache war eine andere: Aufgrund einer konstruktionsbedingten Schwächung der elastischen Lastarme war ein Bruch auch innerhalb der empfohlenen Gebrauchsdauer möglich. Daraufhin riefen neun Hersteller insgesamt 28 verschiedene Klettersteigsets zurück – der größte Rückruf in der Geschichte des Bergsports.
Im Februar 2013 wurden weitere Klettersteigsets vorsorglich – ohne expliziten Vorfall – zurückgerufen. Der Grund diesmal: Tests haben gezeigt, dass die Kombination der Fangstoßdämpfer aus Metall – der sogenannten Reibfallbremse, durch die das Seil gefädelt wird – mit unelastischen Lastarmen innerhalb der empfohlenen Gebrauchsdauer zu einem Komplettversagen führen kann.
Klettersteigset regelmäßig überprüfen
Die empfohlene Gebrauchsdauer eines Klettersteigsets variiert je nach Hersteller und Intensität der Nutzung. Wer also sein Klettersteigset schon seit längerer Zeit besitzt und noch nicht überprüft hat, ob es von einem Rückruf betroffen ist, sollte dies hier oder direkt auf der Homepage des Herstellers tun – oder im Bergsporthandel nachfragen. Im Zweifelsfall gilt: Das Set sofort austauschen, insbesondere weil die Klettersteigsets aus den Jahren 2012/13 das Ende ihres Lebenszyklus ohnehin bereits erreicht haben! Nachdem diese Probleme bekannt geworden waren, reagierten die betroffenen Hersteller umgehend und brachten – ohne dass es eine Änderung der Norm gab – verbesserte Sets auf den Markt.
Risikofaktor Gewicht
Neben diesen Materialproblemen wurde auch immer wieder diskutiert, ob die Sets für Kinder bzw. leichtgewichtige Personen geeignet sind, da bei einem geringeren Körpergewicht (unter 60 kg) die Belastungen bei einem Sturz massiv ansteigen. Grund dafür ist die Konstruktion – beziehungsweise die (alten) Normvorgaben des sogenannten Bandfalldämpfers, der dazu da ist, die Belastung auf den Körper bei einem Sturz zu reduzieren: Dabei handelt es sich um ein verwobenes Bandmaterial, das bei einer Sturzbelastung reißverschlussartig aufreißt und früher eine maximale Länge von 1,2 m haben durfte. Darüber hinaus war das Maximalgewicht eines Benutzers meist mit 100 kg festgelegt. Ein Wert, der inklusive Ausrüstung von einigen Klettersteiggehern überschritten wurde. All das wurde nun in der „neuen“, heute gültigen Norm für Klettersteigsets berücksichtigt.
Neue Normvorgaben 2017
Im Mai 2017 wurden die ersten Sets nach neuer Norm ausgeliefert. Die aktuelle Norm hat unter anderem folgende Änderungen und Vorteile:
Der Normsturz (Fallhöhe 5 m) ins Set wird nunmehr mit einer 40 kg und einer 120 kg Masse durchgeführt. Dabei darf der in Kilonewton (kn) gemessene Fangstoß, d. h. die Belastung auf den Körper, maximal 3,5 kN und 6 kN (ca. 600 kg) betragen. Entsprechend der alten Norm durfte sich bei einer nur 80 kg schweren Masse der maximale Fangstoß von 6 kN belaufen.
Die Aufreiß-/Bremslänge des Bandfalldämpfers beträgt max. 2,2 m. [davor: 1,2 m]
Das ganze System muss eine Festigkeit von mindestens 12 kN (ca. 1,2 t) aufweisen. [früherer Wert: 9 kN]
Elastische Lastarme werden mit einem Zyklustest auf Ermüdung geprüft. [davor: ø]
Nicht elastische Lastarme müssen mindestens 15 kN (ca. 1,5 t) aushalten. [davor: ø]
Das Set wird auch einem Nässetest unterzogen, der nach alter Norm nicht durchgeführt wurde.
Kindertauglichkeit
Weil sie für leichtgewichtige Menschen ab 40 kg geeignet sind, werden die aktuellen Sets auch immer wieder als „kindertauglich“ propagiert. Wer mit (seinen) Kindern unterwegs ist, wird sich aber vor allem um andere Punkte Gedanken machen müssen als um die mögliche auftretende Belastung, die auf das Klettersteigset zukommt. In der Praxis wird hoffentlich kein Kind – wie in der Norm überprüft – im freien Fall in das Set stürzen, sondern dem Stahlseil des Klettersteigs entlang nach unten rutschen und sich dabei mehr oder weniger schwer verletzen. Das betrifft übrigens auch Erwachsene und deshalb gilt: Ein Sturz am Klettersteig ist unbedingt zu vermeiden!
Das Klettersteigset ist wie der Airbag beim Auto ein „Notfallgerät“, das man hoffentlich nie benötigt!
Wer mit seinem Kind unterwegs ist, muss sich vor allem Gedanken darüber machen, wie verlässlich es das Set bedienen kann und sollte zumindest anfangs zusätzlich mit einer Seilsicherung arbeiten beziehungsweise diese als Backup verwenden. Das setzt natürlich voraus, dass man die entsprechende Seil- und Sicherungstechnik souverän beherrscht.
Unfallgeschehen
Die Statistik zeigt, dass schwere Unfälle am Klettersteig fast immer dann geschehen, wenn keine Sets verwendet oder diese falsch bedient werden.
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